Auf TikTok sind Nutzer*innen zu sehen, die der Kamera den Rücken zuwenden. Sie stehen in der Küche, im Schlafzimmer, im Krankenhaus oder Badezimmer. Dazu spielt ein Song, in dem eine Frauenstimme "OMG, OMG, OMG" singt. Manche User*innen tanzen zur Musik oder schütteln ihre Haare. In dem Moment, wenn der Beat aussetzt, ziehen sie ihre Kleidung zusammen, sodass sie an der Taille spannt. Dazu schreiben sie "Body Positivity", "Size does not matter", "Love my Body", "Waist" oder auch "Weight Loss".

Videos dieser Art sind Beiträge zur Challenge "OMG …! Show Your Waist", auf Deutsch: "Oh mein Gott! Zeig deine Taille". Vor allem Frauen nehmen an diesem Wettbewerb auf TikTok teil.

Challenge reproduziert altes Ideal

Das Schönheitsideal der möglichst schmalen Taille, auch Wespentaille genannt, gibt es schon sehr lange. Durch Ausgrabungen auf der griechischen Insel Kreta weiß man, dass bereits 2.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung eine frühe Form des Korsetts existierte. Im 17. Jahrhundert wurde die Taille als Schönheitsideal immer schmaler und an den Königshöfen Europas schnürten Frauen ihre Körper ein. Das barocke Mieder wurde dazu an den Seiten mit Stahlfedern versteift. So war die Haltung der Frauen immer aufrechter und ihre Taille schmaler.

Ab dem 19. Jahrhundert warnten Ärzt*innen vor dem schädlichen Einfluss des Schnürens. Frauen fielen in Ohnmacht, Organe wurden gequetscht und die körperliche Bewegung stark eingeschränkt. Erste Todesfälle von Frauen drangen an die Öffentlichkeit, die durch die Folgen des Korsetts starben, weil sich zum Beispiel eine Rippe durch ihren Körper bohrte.

Dass Frauen ihr Korsett ablegen konnten, war mitunter ein Verdienst der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen auch Designer*innen, in ihren Kollektionen auf das Korsett zu verzichten – allen voran die französische Modedesignerin Coco Chanel.

Zeiten der Unterdrückung nicht vorbei

Auch wenn die Zeiten des Korsetts längst vorbei scheinen, lebt das Schönheitsideal der Wespentaille weiter. So werden immer wieder Fälle bekannt, dass sich Frauen stundenlang in Stahlkorsetts zwängen, um den Umfang ihrer Taille zu verkleinern. Auch Zeitungen titeln das Comeback des Korsetts.

Mit der aktuellen Challenge auf TikTok wird ein Urgestein der Modegeschichte und ein Symbol der Unterdrückung der Frau reproduziert. Damit geht automatisch auch der Gedanke einher, Frauen sollten möglichst klein, dünn und zerbrechlich sein. Auch wer Videos mit pseudo-feministischen Hashtags sowie Body Positivity untertitelt, unterstützt schädliche Schöheitsideale. Das Perfide an dieser Waist-Challenge ist vor allem, dass mehrheitlich Frauen andere Frauen herausfordern, sich körperlich zu fügen. Alles unter dem Label des Empowerments.

Schönheitsideale werden von Medien und sozialen Plattformen nach wie vor stark beeinflusst. "Das Aussehen wird ständig thematisiert. Junge, schöne Menschen überall. Man kann gar nicht anders, irgendwann fragt sich jeder, inwiefern er diesem Schönheitsideal entspricht und wie er diesem näher kommen kann", sagte Maria Deutinger dem Forum Gesundheit. Sie ist Fachärztin für Plastische Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie an der Wiener Krankenanstalt Rudolfstiftung. Das Gefühl, Schönheitsidealen nicht zu entsprechen, kann zu körperlichen und psychischen Krankheiten führen, gerade bei Essstörungen ist das oft der Fall.

Schönheitsideale haben auch etwas Gefährliches an sich, weil sie Körper gegeneinander ausspielen. Sie lassen Menschen glauben, dass sobald sie so aussehen, sich so kleiden und sich so verhalten, wie es als ideal gilt, andere Menschen sie anerkennen und mögen werden. Doch Selbstwert bekommt man weder durch eine Challenge noch durch eine möglichst schmale Taille, große Brüste, ein Sixpack oder andere als erstrebenswert geltende Äußerlichkeiten. Man gewinnt  Selbstwert nur durch sich selbst.

Sich selbst okay zu finden, ist verdammt schwer. Derweilen sprechen wir noch nicht einmal von Liebe, sondern nur von Akzeptanz. Längst bekämpfte, angebliche Schönheitsideale erschweren uns den Weg dahin aber mit Sicherheit.