Thomas Bernhard schrieb in seinem Stück Heldenplatz damals: "Mich wundert ja, dass nicht das ganze österreichische Volk längst Selbstmord gemacht hat. Sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige!" Jan Böhmermann korrigierte diese Aussage in einem Interview am Montagabend im österreichischen Fernsehen auf acht Millionen debile Österreicher*innen, die nach autoritärer Führung schreien würden. Dieser Ruf halle aus den Bergen – bis rüber nach Deutschland, sagt er.

ORF distanziert sich von Interviewpartner, äh was?

Mit dieser Aussage begann der Autor, Moderator und Satiriker Jan Böhmermann ein Interview, das er anlässlich seiner Ausstellung in Graz Deuscthland#ASNCHLUSS#Östereich gab. Das nicht mal zehnminütige Interview macht seither Schlagzeilen – in Österreich wie in Deutschland. Jan Böhmermann soll darin zum "polemischen Rundumschlag auf Österreich" ausgeholt haben. Scheinbar sogar so weit, dass der Beitrag mit einer Distanzierung des österreichischen Rundfunk (ORF) abmoderiert wurde:

Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns. Aber wie Sie wissen, darf Satire alles und der öffentliche Rundfunk künstlerische Meinung wiedergeben.
ORF

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Österreich distanziert sich also von einem Interviewpartner. Ja, das ist selbst für Österreich ungewöhnlich. Der verantwortliche ORF-Kulturchef Martin Traxl sagt dazu: "Der ORF unterliegt dem Objektivitätsgebot und hat nichts anderes getan, als medienrechtliche Vorgaben einzuhalten. Den Beitrag zu spielen, sich aber in Folge von darin getätigten unsachlichen Kommentaren zu distanzieren, war eine professionelle und rechtskonforme, redaktionsinterne Entscheidung, die auf keinerlei Druck von innen oder außen entstanden ist."

Während in Österreich seit Wochen über Pressefreiheit diskutiert wird, verursacht diese Distanzierung ein mulmiges Gefühl und verstärkt die Angst um die Pressefreiheit und die Befürchtung, dass der Druck der Regierung auf den Sender groß ist. Es zeigt aber auch, dass Böhmermann recht haben könnte. Und das wollen viele Österreicher*innen nicht hören. Vor allem nicht von einem Deutschen.

Was hat Böhmermann über Österreich gesagt?

Im Interview spricht Böhmermann verschiedene Themen an. Über die österreichische Politik sagt er, Österreich sei ein "Versuchslabor" für Deutschland, in dem "Leute mit Chemikalien" experimentierten, "die man nicht zusammenschütten sollte". An Österreich sehe man, dass sich Dinge normal anfühlten, die nicht normal seien. Wie: Es sei nicht normal, "dass das Land von einem 32-jährigen Versicherungsvertreter geführt wird" und spielt damit auf den Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. Auch nicht normal sei, dass der Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bei Facebook "volksverhetzende Scheiße" verbreite oder Journalist*innen anginge und dann sage, es wäre Satire. Auch im Bezug auf den öffentlichen Rundfunk kritisiert Böhmermann so einiges. An einer Stelle fragt er den ORF-Reporter Christian Konrad, warum er lache, schließlich habe er doch nichts mehr zum Lachen beim ORF, dessen Finanzierung sich bald ändern würde, damit die Politik mehr Einfluss habe und in FPÖ-TV umbenannt werde.

Österreich: Das Land der rechten Ausrutscher

Auch wenn Böhmermann an einigen Stellen überspitzt und provoziert, hat er recht. Österreich verbirgt seit Jahren unter vermeintlicher Identitätspolitik blanken Rassismus. Der sprachliche wie inhaltliche Diskurs ist längst nach rechts gerückt. So weit wie schon sehr lange nicht mehr. Menschen werden als Ratten bezeichnet, zutiefst antisemitische und rassistische Illustrationen aus dunklen Zeiten ausgegraben und als Parteiwerbung veröffentlicht und einem Journalisten, der Fragen dazu stellt, wird live vor der Kamera mit "Folgen" gedroht. Und ich spreche hier nur Vorfälle im April an.

Eine Liste von sogenannten rechten Ausrutschern könnte hier endlos aufgezählt werden. Wir könnten über die Verflechtungen mit den Identitären, NS-verherrlichende Facebookgruppen, die rassistische Werbung für die E-Card, Gedenken an Nazi-Flieger, Hakenkreuze/ Hitler-Bilder/ Nazipornos/ "Sieg Heil", die immer mal wieder gepostet werden, die zig-malige Verwendung des N-Worts, 8,88 Kilometer lange Wanderungen oder antisemitische Liederbücher sprechen. Derartiges passiert in Österreich andauernd. Es sind weder Einzelfälle noch Ausrutscher. Es sind Vorfälle, die zeigen, wie rechts, rassistisch und menschenverachtend so einige Menschen in diesem Land noch immer denken. Die aktuelle rechte Regierung macht dieses Denken wieder salonfähig oder tut zumindest nichts dagegen.

Auch um die Pressefreiheit sowie den ORF steht es schlecht. Die rechte FPÖ strebt eine ORF-Reform an, welche die Rundfunkgebühr abschaffen und den Sender stattdessen über Steuern finanzieren will. Eine massive Verschlechterung der Situation der Pressefreiheit in Österreich stellt Reporter ohne Grenzen (ROG) fest: Das Land rutscht von Platz 11 auf Platz 16. Jeden Tag werden Beiträge gestrichen, nicht veröffentlicht, infrage gestellt oder beschnitten. Jeden Tag werden die Auswirkungen der rechtskonservativen Regierung in Österreich stärker sichtbar.

Die Uraufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz 1988 war damals ein Skandal. Einige in der Alpenrepublik fühlten sich verunglimpft und empörten sich. Ähnlich einsichtslos reagiert das Land nun auf Böhmermanns Aussagen. An einer Stelle wird er gefragt, ob Österreich ausgerechnet einen Deutschen brauche, der uns kritisiert. Ja, den brauchen wir. Unbedingt sogar. Darum hören wir ihm zu und diskutieren über die Lage in unserem Land. Gestehen wir uns ein, wie rassistisch unser Land ist und was hier alles falsch läuft. Denn wir müssen aufhören, uns einreden zu lassen, dass all das normal sei, was in Österreich passiert. Denn das ist es nicht.

"Was geht mit Österreich?" Mit dieser Frage beschäftigt sich unsere Korrespondentin und Exil-Österreicherin Eva Reisinger in ihrer Serie. Sie lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählt euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist. Wenn du unseren Österreich-Newsletter abonnierst, bekommst du ihn alle zwei Wochen in dein Postfach.

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