Die ze.tt-Leseratten empfehlen euch ihre Lieblingsbücher. Denn manchmal kann es so einfach sein, das gute Leben: Mit freier Zeit und einem guten Buch.

Tasnim

Berlin. Ein gebrochener Protagonist. Lose Gedanken. Leere Taten. Flapsige Formulierungen. Wolfgang Hermsdorf Debütroman "Im Plüschgewitter" hat mich vom ersten Satz an gefangen. Die Geschichte ist verquer: Ein scheinbar psychisch angeknackster junger Mann trennt sich von seiner Freundin, fährt daraufhin durch die Gegend und bleibt für ein paar Tage in Berlin kleben. Orientierungslos streunert er durch die Hauptstadt. Dort bekommt er allerdings auch nichts, beziehungsweise noch weniger, auf die Reihe. Zwischendurch stürzt er sich in komische Affären und bescheuerte Gedankengänge, die Herrndorf aber mit so viel Farbe und Wortkunst beschreibt, dass man sich einfach in seine Formulierungen verlieben muss. Ein tolles Buch – nicht für jeden, aber ganz bestimmt für viele lesenswert.

Josie

Es geht um Becky, Pete, Leon und Harry, die in London leben – oder es irgendwie versuchen. Sie hangeln sich von brotlosen Jobs, zum nächsten Exzess, in die x-te Beziehung und in die Einsamkeit zurück. Es sind (noch) nicht gescheiterte oder eigentlich ganz normale, schön-schräge Figuren, die genauso in Berlin Neukölln wohnen könnten. Sie kommen aus kaputten Familien, sind Schauspieler, Drogendealer oder Ballonverkäufer – und wagen sich immer wieder ins Leben, in die Stadt, aufs Land. Kate Tempest ist eine wahnsinnig tolle Frau. Ihre Raps sind schönste Wortakrobatik, ihr Gedichtband sogar für Lyriklaien zugänglich. Die Geschichte ihres Debütromans ist natürlich kein Schönwetterbericht und mitunter sind die Erlebnisse und Gedanken der Protagonist*innen etwas erdrückend, weil schonungslos ehrlich. Zugleich schafft es Tempest so einfühlsam zu erzählen, dass man beim Lesen ganz weich wird und alle Figuren einmal drücken möchte. Wer sich an tiefe Kost im Sommerurlaub ran traut, wird mit eindringlicher Sprache, dem Tempo eines Poetry Slams und tollen Metaphern wie dieser belohnt: "Stolz schwimmt durch Becky hindurch, bleibt am Beckenrand stehen, um sein Haar zu schütteln und seine Muskeln spielen zu lassen."

Manuel



Eine Jugendgang im Berlin der Weimarer Zeit. Die Jungen sind alle obdachlos, zum Teil aus Heimen geflohen und schlagen sich mit Mühe durch. Einige gleiten in die Kriminalität ab, andere versuchen, ehrlich ihr Geld zu verdienen. Das Buch stammt eigentlich aus dem Jahr 1932, aber die Nazis haben es damals verboten und dann hat sich 80 Jahre lang niemand mehr daran erinnert. Man merkt der Sprache an, dass das Buch aus einer anderen Zeit stammt, aber genau das macht den Reiz aus. Es ist sehr nah dran an seinen Protagonisten. Wo kann man heute sonst Sätze wie "Ich trink’ meine Molle auf’n Lokus" lesen?



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Gleich vorweg, es könnte sein, dass ihr für das Buch ein oder mehrere Taschentücher braucht. Denn es ist auf die wunderschönste Art ziemlich traurig. Leonard ist ein frustrierter 18-Jähriger, ein sozialer Außenseiter, selbst ernannter Weirdo und unendlich desillusioniert vom Leben und vom Erwachsenwerden. Er hat keinen Papa, eine Mutter, die keine sein will und nur vier Freunde. Und er hat einen Hass-Menschen, seinen ehemaligen besten Freund, den er unbedingt beseitigen will. Mit Rachegelüsten im Kopf geht er auf Abschieds-Tour. Leonard ist ein gleichzeitig sehr einfach gestrickter und tiefgründiger Charakter, gefüllt mit vertrakten Widersprüchen, dreistem Humor und Selbsthass. Mit Briefen von Leonards Ich aus dem Jahr 2032 und Fußnoten, in denen er sich selbst erklärt, ist das Buch eine perfekte Urlaubsmischung aus emotional und witzig. Wem "Silver Linings Playbook" (auch von Matthew Quick) gefallen hat, dem*der gefällt garantiert auch "Happy Birthday, Leonard Peacock"

Mark

"Wege aus dem Viertel" zeigt uns ein Malle, wie wir es uns kaum noch vorstellen können: ohne Jürgen Drews, ohne deutschen Sauftourismus, ohne nackte Haut an überfüllten Sandstränden. Stattdessen begleitet das Comic-Duo Gabi Beltrán und Bartolomé Seguí einen jungen Mann durch ein abgefucktes Brennpunktviertel von Palma. Gabi wohnt bei seiner Oma und hat keinen Plan für sein Leben. Tagsüber zertrümmert er in blinder Wut eine leerstehende Wohnung, nachts verstrickt er sich mit seinen Kumpels in Bandenkämpfe. Erst als Gabi einer Schwedin begegnet – belesen, sortiert, das Gegenteil von ihm –, scheint sich ihm ein Weg aus der Sinnkrise zu ergeben. Dass der Autor der Graphic Novel und die Hauptfigur den gleichen Vornamen tragen, ist kein Zufall: Die Geschichte ist zu Teilen autobiografisch, Texteinschübe erzählen von der Jugend des wahren Gabi. Und die ist, glaubt man der Graphic Novel, düster, grüblerisch und tiefsinnig. Genau der richtige Stoff, um im Urlaub nach Strand- und Bargängen runterzukommen.

Florian

Es geht um Richard, einen emeritierten Professor, in dessen Welt plötzlich die Geflüchteten vom Oranienplatz treten. Richard hat Spaß am Denken und plötzlich denkt er über etwas nach, worüber er noch nie nachgedacht hat: Über geflüchtete Menschen. Über ihre Gründe, nach Deutschland zu kommen. Über ihr Leben in der Heimat, über ihr Schicksal, dass plötzlich mitten in Kreuzberg seinen Lauf nimmt. Er nimmt Kontakt auf und nicht nur er lernt die Geflüchteten kennen, sie lernen auch ihn kennen. Richards Denken spiegelt sich unnachahmlich im Buch. Es ist voller kluger Sätze, die ich am liebsten mehrfach lesen wollte, voller genauer Beobachtungen, voller Klarheit und Traurigkeit. Teilweise wirkt das Buch wie eine gut recherchierte Reportage, denn die Geflüchteten vom Oranienplatz gab es tatsächlich und ihre Geschichte war vielleicht der Anfang einer öffentlichen Wahrnehmung der Flüchtlingsproblematik. Das ist zwar alles schon eine Weile her, bleibt aber aktuell. Jenny Erpenbeck schafft es, eine emotionale Innensicht von Geflüchteten und einem alteuropäischem Professor zu erzählen, die im Gedächtnis bleibt.