Alternativlos nennt es der Görlitzer Landtagsabgeordnete der Linken Mirko Schultze. Er hat bei der Oberbürgermeisterwahl am Sonntag zum ersten Mal in seinem Leben CDU gewählt. Kein gutes Gefühl, schreibt er. Schultze dürfte damit nicht der Einzige gewesen sein. Denn der zweite Kandidat neben Octavian Ursu von der CDU war Sebastian Wippel von der AfD. In Görlitz drohte damit der erste AfD-Oberbürgermeister Deutschlands. Das konnte verhindert werden. Freuen sollte sich nach diesem Wahlabend trotzdem niemand.

Denn das Ergebnis ist knapp: Bei den Hochrechnungen lagen die Kandidaten eng beieinander, zeitweise lag Wippel sogar vor Ursu. Am Ende waren es 55,1 Prozent der Stimmen für den CDU-Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 56 Prozent. Dass die CDU Sachsen direkt im Anschluss von einem "Wahnsinnswahlkampf" spricht und wie die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ausschließlich dem eigenen Kandidaten gratuliert, grenzt schon an Realitätsverweigerung, macht jedenfalls sprachlos. Auch eine spätere Korrektur von Kramp-Karrenbauer, dass es der Sieg eines "breiten Bündnisses" war, hilft da nicht mehr. Was stattdessen angebracht gewesen wäre:

Erstens: Demut

Ein Vorsprung von 10 Prozentpunkten ist alles andere als ein klarer Sieg. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Grüne, SPD und Linke dazu aufgerufen hatten, den CDU-Kandidaten zu unterstützen – obwohl die Wähler*innen vor Ort "CDU-müde" seien. Sämtliche demokratischen Kräfte wurden also aufgefahren. Und dann nur 55,1 Prozent? Fast jede*r zweite Wähler*in in Görlitz war bereit, ihre*seine Stimme der AfD zu geben. Das ist kein Grund zum Feiern, das sollte uns, auch die CDU in Sachsen, nachdenklich machen.

Zweitens: ein Dankeschön

Das geht vor allem an Franziska Schubert. Die Grünen-Kandidatin verzichtete nach dem ersten Wahlgang darauf, noch einmal anzutreten. Sie hatte mit knapp 28 Prozent den dritten Platz belegt, hinter Octavian Ursu mit gut 30 Prozent und Sebastian Wippel von der AfD mit gut 36 Prozent. Auch Jana Lübeck von den Linken verzichtete auf eine erneute Kandidatur im zweiten Wahlgang. Beides verdient Dank und Respekt.

Immer wieder scheinen es dieselben wenigen Personen in der CDU zu sein, die das erkennen. Zum Beispiel Marco Wanderwitz, Staatssekretär im Bundesinnenministerium oder am Montagmorgen der sächsische CDU-Generalsekretär Alexander Dierks bei Phoenix.

Das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigt auch: Wäre Schubert nicht angetreten, hätte es womöglich bereits im ersten Wahlgang einen AfD-Bürgermeister in Görlitz gegeben.

Drittens: Konsequenzen für die Landtagswahlen ziehen

Was mit der Unterstützung der übrigen Parteien bei der OB-Wahl in Görlitz gelungen ist, wird bei der Landtagswahl am 1. September nicht möglich sein. Der knappe Sieg in Görlitz ist kein Grund zum Aufatmen, sondern ein weiteres Alarmsignal für die CDU nach den Ergebnissen bei der Europawahl. Nach 30 Jahren Unangefochtenheit strauchelt die CDU bei dem Versuch, für sich zu werben. Sie musste es bisher noch nie so recht. Dass sich die Partei berappelt, ist aber dringend nötig. Denn auch das ist – für die*den eine*n oder andere*n eine bittere – Gewissheit: Ohne CDU wird ein Regierungsbündnis in Sachsen ohne AfD kaum zu machen sein.

Sebastian Wippel wird vermutlich vom Görlitzer AfD-Kreisverband als Direktkandidat für die Landtagswahl aufgestellt werden. Wippel wäre damit der Gegenkandidat für den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, dessen Wahlkreis ebenfalls Görlitz ist. Schief ging das für Kretschmer schon einmal. 2017 bei der Bundestagswahl verlor er gegen Tino Chrupalla von der AfD.