Am 19. Februar wurden zehn Menschen im hessischen Hanau ermordet. Gegen den Täter wird mittlerweile wegen Terrorverdachts ermittelt, laut dem Generalbundesanwalt gibt es gravierende Hinweise auf ein rassistisches Motiv.

Eine Stelle, an die sich die Hinterbliebenen des Anschlags von Hanau wenden können, ist die Opferberatungsstelle Response der Bildungsstätte Anne Frank. Diese unterstützt in Hessen Menschen, die von extrem rechter, rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer oder antiziganistischer Gewalt betroffen sind.

Laut Angaben von Response reichen seit dem Anschlag von Hanau die bislang zur Verfügung gestellten Mittel nicht mehr aus, um flächendeckend eine Beratung der Opfer und Hinterbliebenen zu gewährleisten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend versprach der Beratungsstelle im März 50.000 Euro an finanziellen Soforthilfen. Drei Monate später sind die Gelder nach wie vor nicht bei Response und der Bildungsstätte Anne Frank angekommen. Response-Mitarbeiter*innen werfen dem hessischen Innenministerium eine Blockadehaltung vor, die ihre Arbeit gefährde.

Was ist passiert?

Die Fördergelder des Bundes wurden vom Demokratiezentrum der Universität Marburg, das dem hessischen Innenministerium unterstellt ist, beantragt. Dort müsste die Anne-Frank-Bildungsstätte wiederum die Gelder beantragen. Dies ist ein übliches Verfahren für Fördermittel des Bundes. Allerdings sind die Gelder nur für Sachmittel freigegeben und nicht für Personalkosten, für die Response die Finanzhilfen eigentlich bräuchte.

Das Gebaren der Landespolitik ist ein Signal an die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt, dass der Staat sie weiterhin alleine lässt.
Olivia Sarma, Leiterin von Response

"Vier der fünf Frankfurter Berater*innen sind seit Februar fast ausschließlich in die Begleitung Hinterbliebener und anderer Betroffener des Anschlags von Hanau eingebunden", so Olivia Sarma, Leiterin von Response. Die Kasseler Kolleginnen seien damit beschäftigt, den Nebenkläger Ahmed I. im Strafprozess gegen Stephan E., dem mutmaßlichen Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke, zu unterstützen. "Wie sollen wir in dieser Situation die vielen anderen Betroffenen hessenweit unterstützen?", fragt sich Sarma.

Response begleitet Menschen, die beispielsweise eine rassistische Gewalttat erlebt haben, bei allen Fragen und Herausforderungen, die nach einem Angriff entstehen können. Man hilft beispielsweise dabei, Entschädigungen zu beantragen oder psychologische Hilfe zu bekommen und macht die Interessen der Betroffenen und Angehörigen auf politischer Ebene sichtbar. Ziel ist, die Menschen in ihrer Bewältigungskompetenz zu stärken und ihnen alle Handlungsspielräume aufzuzeigen, die ihnen zur Verfügung stehen.

"Das unwürdige Gebaren der Landespolitik ist nicht nur ein Signal an uns, sondern vor allem an die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt, dass der Staat sie weiterhin alleine lässt. Und das in einem Bundesland, das in den vergangenen zwölf Monaten elf Mordopfer rechten Terrors verzeichnet. Das ist unerträglich", sagt Sarma.

Wer ist schuld?

Auf Nachfrage von ze.tt bestätigt das hessische Innenministerium, dass die Finanzmittel nur für Sach- und nicht für Personalkosten freigegeben seien. Dieses Verfahren sei "zwischen den Fördermittelgebern (Bund und Land) abgestimmt", so die Pressestelle.

Die Beratungsstelle zweifelt hingegen an, dass der Bund diese Zweckbindung vorgegeben habe. "Wir haben das Geld beim Bund ausdrücklich für Personal eingefordert – das Land Hessen hat es aber nur für Sachmittel abgerufen", so Olivia Sarma. Zusammen mit der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt habe man im März mit dem Bund telefoniert und die schwierige finanzielle Situation erklärt. In Sachsen-Anhalt habe man die Finanzmittel inzwischen bereits erhalten – ohne Zweckbindung.

Das Bundesfamilienministerium bestätigt diese Vermutung auf Nachfrage von ze.tt. Vonseiten des Bundes liege keine Zweckbindung vor, so eine Pressesprecherin – außer, dass die Mittel dem Antrag entsprechend für die Opferberatung verwendet werden sollen.

Das hessische Innenministerium weist darauf hin, dass durch Umschichtung der sonstigen Fördergelder Mittel für Personalkosten freigemacht werden könnten. Sowohl das Ministerium als auch das Demokratiezentrum böten hierfür Beratung an. Olivia Sarma hält das für "bürokratische Schikane". "Das würde einen enormen Bürokratieaufwand bedeuten, für den wir derzeit keine Kapazitäten haben und der auch gar nicht notwendig wäre."

Das hessische Landesministerium merkt zudem an, dass Response im laufenden Jahr bereits eine Aufstockung der Fördermittel um 100.000 Euro im Vergleich zum Vorjahr erfahren habe. Laut Response seien diese Mittel bereits vor Hanau nötig gewesen. Nach dem Anschlag seien die Kosten noch einmal extrem gestiegen – die Beratungsstelle geht von mindestens 80 bis 100 Personen aus, die langfristige Unterstützung benötigen werden.

Ein strukturelles Problem?

Die Leiterin von Response glaubt, dass der aktuelle Streit um Fördergelder seine Ursache in einem strukturellen Konflikt habe. Dieser läge darin, dass die Beratungsstelle in die Förderzuständigkeit des Innenministeriums falle – welches man gleichzeitig immer wieder öffentlich kritisiere. Beispielsweise habe die Beratungsstelle extrem rechte Strukturen innerhalb der hessischen Polizei angeprangert und daraufhin zunehmend Druck vom Innenministerium gespürt.

"Wir können Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt aber nur angemessen unterstützen, wenn wir ihre Erfahrungen auch deutlich benennen und uns unabhängig politisch für die Rechte der Betroffenen positionieren können", so Sarma. "Es liegt ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler in der Förderpolitik des Landes vor, wenn das Innenministerium durch Einfluss auf unsere Beratungsarbeit versucht, die Betroffenen rechter Gewalt zum Schweigen zu bringen."

Die Pressemitteilung, welche die Zweckgebundenheit der 50.000 Euro Soforthilfe anprangert, sowie die darauf folgende Berichterstattung haben indes Wirkung gezeigt. Response hat mittlerweile ein Gesprächsangebot bekommen. "Im Prinzip ist es das, was wir wochenlang vor der Veröffentlichung versucht haben: Alle an der Entscheidung beteiligten Akteur*innen an einen Tisch zu bekommen, damit sie uns erklären, warum es die Sonderregelung für die Finanzmittel in Hessen geben muss und um deutlich zu machen, was das für uns heißt."