Viele von ihnen tragen blaue T-Shirts, auf denen Forderungen an die kenianische Regierung zu lesen sind. "Nein zu sexueller Belästigung in öffentlichen Verkehrsmitteln", steht beispielsweise auf einem. Sie knien sich hin und zeichnen mit Kreide weitere Forderungen auf die staubigen Straßen Kiberas, einem Slum mitten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Zum Beispiel: "Respect my body!" Die Frauen und Mädchen haben sich an diesem Tag zusammengefunden, um auf ein gesellschaftliches Problem aufmerksam zu machen: Catcalling. Belästigung, die im öffentlichen Raum stattfindet.

In Kenias patriarchaler Gesellschaft haben Frauen kaum Rechte

Zu der Aktion Chalk back! hatte die Organisation Plan International aufgerufen, die sich seit 1982 in dem ostafrikanischen Land für Menschenrechte engagiert. "Es ist sehr schwer für uns, hier draußen auf der Straße", sagt Zubeida Yusuf gegenüber BBC. Die 22-Jährige hat ihr ganzes Leben in Kibera verbracht, und so lange sie sich zurückerinnern kann, gehören sexuelle Belästigungen zum Alltag in dem Viertel. Im Laufe der Zeit habe sie aber auch gelernt, sich zu wehren – und helfe anderen Frauen dabei, ihre Stimme zurückzuerlangen.

In Kenias patriarchaler Gesellschaft haben Frauen kaum Rechte. Familienoberhaupt ist der Mann. Mit Haushalt und Kindererziehung haben diese meist nichts am Hut. Aus den Statistiken der Global Database on Violence against Women der Vereinten Nationen geht hervor, dass 42 Prozent der kenianischen Frauen und 36 Prozent der Männer die Ansicht vertreten, dass ein Mann dazu berechtigt ist, seine Frau zu schlagen, wenn die Frau das Essen verbrennt oder sexuelle Beziehungen ablehnt. Der Studie zufolge haben 45 Prozent der Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 49 Jahren mindestens einmal körperliche und 14 Prozent sexuelle Gewalt erlebt. Die Dunkelziffer dürfte aber weit höher liegen. Laut Zahlen von Plan International (PDF) meldet im Schnitt weniger als eine von zehn Frauen sexuelle Belästigung an öffentliche Behörden.

Die Kinderprostitution in Kenia hat einem UNICEF-Bericht (PDF) zufolge dramatische Ausmaße angenommen. Fast ein Drittel aller Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren hätte bereits Sex gegen Geld oder Geschenke gehabt. Laut dem Bericht bieten bis zu 15.000 Mädchen im Alter von zwölf bis 18 Jahren an den kenianischen Küsten gelegentlich Sex gegen Geld oder Sachgüter an. Das seien bis zu 30 Prozent dieser Altersgruppe in der Region.

Erst 2011 beschloss das kenianische Parlament das Kindergesetz, das die von internationalen Organisationen verurteilte Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung an Kindern unter 18 Jahren kriminalisiert und mit bis zu zwölf Monaten Gefängnisstrafe ahndet. Heute gilt das Verbot auch bei erwachsenen Frauen, und damit ist weibliche Genitalverstümmelung in Kenia illegal – wenngleich sie traditionell von 38 der insgesamt 43 ethnischen Gruppen Kenias weiterhin regelmäßig praktiziert wird.

Catcalls gibt es überall

Inspirieren ließen sich die Aktivist*innen aus Nairobi von dem Instagramaccount Catcalls of New York, der sexuelle Belästigung auf den Straßen New York Citys mit Kreide dokumentiert und dessen Konzept inzwischen in vielen Städten übernommen wurde. Der Einwand, den Sofija, Julia und Ege vom deutschen Ableger Catcalls of Munich zu ihren Aktionen am häufigsten zu hören bekommen, sei der, dass man ja heute gar keine Komplimente mehr machen dürfe. Auf Instagram veröffentlichten die drei im Mai ein Foto mit dem Spruch "Hübsche Mädels". Daraufhin kommentierten einige, dass dies doch nur nett gemeint gewesen sei. "Aber wenn man die Situation betrachtet, dann war es Belästigung", sagt Sofija. "Der Catcall ist einer 16-Jährigen passiert und der Spruch wurde ihr von einem betrunkenen, alten Mann hinterher gerufen."

Dabei sind Catcalls alles andere als harmlos. Diese Art der Belästigung kann, wie auch andere Formen von Gewalt, weitreichende und nachhaltige körperliche, psychische und ökonomische Folgen haben. Dazu gehören ein geringes Selbstwertgefühl, Kontakt- und Beziehungsstörungen, Scham- und Schuldgefühle, Angststörungen und Depressionen. "Deshalb sind solche Kampagnen wichtig. Mehr von uns müssen zurückschrecken und den Leuten sagen, dass es nicht in Ordnung ist, so mit Frauen zu sprechen", sagt die Kenianerin Zubeida Yusuf.