Der französische Präsident Emmanuel Macron hielt am heutigen Dienstag seine dritte wichtige Europarede. Macron will die Europäische Union weiterentwickeln – und stößt damit auf Zustimmung all jener, die seit Monaten für mehr Europa auf die Straße gehen. Pulse of Europe nennt sich die Bewegung, die ein Zeichen setzen wollte gegen die europafeindliche Politik rechter Parteien wie der sogenannten Alternative für Deutschland.

Inzwischen könnten die Protestierenden genauso gut gegen die Politik der neuen Bundesregierung auf die Straße gehen – denn zumindest CSU und CDU sind inzwischen ähnlich europaskeptisch wie die AfD.

"Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer engeren Union verbinden." So steht es in der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die ever closer union, die sich immer enger verzahnende Union, ist ein Ideal, nach dem zu Streben sich die europäischen Länder verständigt haben. Bedeutet: Europa ist kein Status quo. Europa ist ein Weg.

Der europäische Status quo

Der europäische Status quo ist: Die EU ist hauptsächlich ein undemokratischer, technokratischer Wirtschaftsverbund. Es gibt zwar ein Europaparlament, das die Europäer*innen wählen können – doch wichtige Entscheidungen werden nicht vom Parlament, sondern von den Regierungschef*innen der jeweiligen Ländern zumeist hinter verschlossenen Türen getroffen. Häufig sind wichtige Entscheidung demnach nichts als Absprachen politischer Eliten, ohne rechtliche Bindung, ohne demokratische Legitimation. Dies ist der Status quo, den die Bundesregierung erhalten möchte.

Was bedeutet "mehr Europa"?

Gemessen an diesem Status quo könnte mehr Europa beispielsweise die Demokratisierung der EU beinhalten. Beginnen könnte man etwa damit, die Politik der verschlossenen Türen transparenter zu machen und Protokolle von Sitzungen des EU-Rats, der Eurogruppe und des Gouverneursrats der Europäischen Zentralbank zu veröffentlichen.

Damit die EU zu einem demokratischen Gebilde wird, bräuchte es zudem eine gesamteuropäische Verfassung, auf die sich die Bürger*innen der EU einigen. Der Vertrag von Lissabon ist keine solche Verfassung – er wurde nicht von der Bevölkerung sondern den Staatschef*innen unterzeichnet. Eine europäische Verfassung könnte außerdem eine legitime europäische Exekutive schaffen, die durch das Europaparlament kontrolliert wird. Quasi eine europäische Bundesregierung.Einer, der sehr vorsichtig in diese Richtung gehen will, ist Emmanuel Macron.

Macron setzt sich beispielsweise für die Bildung von transnationalen Listen ein. Bislang kann man bei der Europawahl lediglich Politiker*innen aus seinem jeweiligen Herkunftsland wählen. Transnationale Listen wären länderübergreifend und somit ein erster Schritt, das Denken in Nationen aufzuweichen und die europäische Solidarität zwischen den Bürger*innen zu fördern.

In seinen Reden warb er außerdem für ein Finanzministerium und einen eigenen Haushalt für die Eurozone sowie ein europäisches Asylamt – alles könnten Schritte hin zu einer demokratischeren EU sein.

Doch Macron kann seine Pläne nicht ohne die Unterstützung Deutschlands umsetzen. Und die deutsche Regierung? Die findet, das eigentlich schon alles irgendwie so passt, wie es ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Macron zwar zugesagt, dass man unbedingt Ergebnisse erzielen müsse und zwar so schnell wie möglich – ihre Partei sieht das aber nicht zwingend so. Die Unionsbundestagsfraktion will ihre Kanzlerin an die Leine nehmen. Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von CDU/CSU, hat bereits angekündigt, dass die Unionsabgeordneten im Bundestag keinen europäischen Reformplänen zustimmen werden, die so interpretiert werden können, dass Deutschland für andere Staaten zahle.

Die Union macht Stimmung für nationale Interessen."

Die Bundesregierung, insbesondere CDU und CSU, befürworten den Status quo. Mehr Europa bedeutet für die Konservativen Schuldengemeinschaft und Transferunion. Das reaktionäre Motto: Wir armen Deutschen müssen für dafür zahlen, dass die faulen Griech*innen lieber Raki trinken, als zu arbeiten. Die Union bricht mit dieser populistischen Aussage komplexe Probleme auf schlicht falschen Vorurteilen runter und agiert gegen das Streben nach einer ever closer union. Sie macht Stimmung für nationale Interessen. Europäische Solidarität? Fehlanzeige. Mit dieser Haltung biedert die Union sich "einen Populismus an, den sie mit der Vernebelung eines komplexen und ungeliebten Themas selbst herangezüchtet haben", wie der Philosoph Jürgen Habermas schon 2011 schrieb. Wo wir wieder am Anfang wären: bei der AfD.

Die AfD regiert mit

Erst kürzlich eroberte der weißwurstaffine Heimatminister Horst Seehofer das Herz der zur AfD abgewanderten Wähler*innen zurück, in dem er der rechten Partei einfach die verfassungsfeindliche Position "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" klaute. Herzlichen Glückwunsch, möchte man an dieser Stelle sagen, die CSU hat der AfD in Sachen Islamophobie den Wind aus den Segeln genommen, in dem sie selbst zur AfD geworden ist. 

Das nächste Thema, bei der die Regierung der AfD scheinbar den Rang ablaufen möchte: Europa. Die rechte Partei möchte anders als die Union nicht nur den Status quo behalten, sondern den Nationalstaat sogar noch stärken. Ein "Europa der Vaterländer" ist die Version Europas nach dem Geschmack der AfD. Hallo 1914. Die Union möchte die bisherigen europäischen Institutionen nicht schwächen, aber in ihrer bisherigen Form behalten. Für diese Einstellung verdient sie sich das Adjektiv europaskeptisch.

Besonders traurig ist das angesichts der Tatsache, dass gerade die CDU jahrzehntelang Heimat vieler europapolitischer Visionär*innen war. Zum Beispiel Konrad Adenauer, der schon in den 1920er Jahren die Vision eines politisch und wirtschaftlich verflechteten Europas hatte. Von Helmut Kohl kann man sonst halten was man will – er hat die europäische Einigung verwirklicht, für die der Euro steht. Eines der bekanntesten Zitate Kohls über Angela Merkel lautet: "Die macht mir mein Europa kaputt." Angesichts von Zeiten, in denen die Union den europaskeptischen Ton der AfD nachahmt, in denen sich immer mehr Menschen von der europäischen Idee abwenden, weil ihr niemand mehr Hoffnung einhauchen kann, bleibt zu hoffen, dass sich seine Worte nicht bewahrheiten werden.