Mindestens 50 Menschen wurden am Freitag bei einem Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch getötet – Erwachsene und Kinder, die sich zum muslimischen Freitagsgebet in zwei Moscheen zusammengefunden hatten. Darunter waren etwa der dreijährige Mucad Ibrahim und die 42-jährige Ara Parvin. Parvin floh in der Al-Noor-Moschee nicht vor dem Kugelfeuer, sondern rannte mitten hinein, um zu ihrem Ehemann zu gelangen, der hilflos im Rollstuhl saß. Sie starb, er überlebte.

Wie kann man auf Menschen zugehen, die fassungslos, wütend und traurig zurückbleiben? Was können wir ihnen sagen und wie können wir ihnen Trost und Geborgenheit spenden? Auch Politiker*innen stehen vor dieser Herausforderung, gerade die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Seit Oktober 2017 hat die 37-Jährige das Amt inne. Am Samstag reiste sie nach Christchurch, ins Canterbury Refugee Center, um dort Menschen aus der muslimischen Gemeinde zu treffen. Dabei trug sie ein schwarzes Kopftuch. Ardern hat viel richtig gemacht in den letzten Tagen.

Es ist nicht egal, wer die Opfer sind

Von manchen deutschen Politiker*innen kann man dies hingegen nicht behaupten: "Egal gegen wen sich Hass, Gewalt und Terror richten, am Ende sterben Menschen, verlieren Kinder ihre Eltern und Eltern ihre Kinder", twitterte etwa die CDU-Bundesvorsitzende und mit hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Kanzlerkandidatin ihrer Partei Annegret Kramp-Karrenbauer. Nein, es ist nicht egal, gegen wen sich der Hass und Terror richtet. Mucad Ibrahim und Ara Parvin wurden aus einem bestimmten Grund ermordet: Ein 28-jähriger Australier tötete sie, weil er diese Menschen, ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Biografien, die lediglich ihr Glauben vereint, für seine Feind*innen hielt.

Dies zu erkennen und zu benennen, bedeutet, die Gefahr zu erkennen, Maßnahmen zu ergreifen und insbesondere: dem Leid und der Angst der Betroffenen eine Stimme zu verleihen.

Dieser Terroranschlag ist die Ausgeburt rechtsextremen und islamfeindlichen Gedankenguts, das seit Jahren international Konjunktur hat, die Schlagzeilen und Talkshows bestimmt und auch in Deutschland die vermeintlich politische Mitte vereinnahmt hat. Dies zu erkennen und zu benennen, bedeutet, die Gefahr zu erkennen, Maßnahmen zu ergreifen und insbesondere: dem Leid und der Angst der Betroffenen eine Stimme zu verleihen. Und es ist ein Versprechen an die Hinterbliebenen und anderen Menschen, die muslimisch sind oder als muslimisch gelesen werden, alles dafür zu tun, damit so etwas nicht nochmal passiert.

Ardern hat in den vergangenen Tagen hingegen oft die richtigen Worte gefunden: Neuseeland sei die Heimat aller Muslim*innen, die hier Zuflucht gesucht haben, sagte sie. Fotos zeigten sie, wie sie Mitglieder der Gemeinde in den Arm schließt, die Augen geschlossen und der Körper offen. Ein anderes Foto zeigt sie Kopf an Kopf mit einer Frau, sie weinen gemeinsam. In Deutschland, wo die emotionale und körperliche Versteinerung von Politiker*innen zu einem Auswahlkriterium zu gehören scheint, kann das für manche befremdlich wirken. Und dann trägt sie auch noch ein Kopftuch, sagen manche. Ob das sein müsse?

Diese Geste sagt: Wir machen uns gemeinsam angreifbar

Es ist natürlich kein Muss. Doch was macht diesen Menschen eigentlich Angst? Als in Deutschland Menschen nach den Terroranschlägen in Paris oder Straßburg die französische Fahne schwenkend oder mit der Trikolore geschminkt ihre Anteilnahme bekundeten, kam mir keine Kritik zu Ohren. Niemand störte sich daran, dass diese Menschen sich über diejenigen Eigenschaften solidarisierten, die die Terrorist*innen in ihre Opfer hineinlasen, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation oder zu einem Glauben. Und niemand las darin eine vermeintliche Francophonisierung unserer Gesellschaft oder eine undifferenzierte Identifikation mit einer problembeladenen Kultur.

Doch für Muslim*innen scheint anderes zu gelten: Sie sollen auch nach ihrem Tod Fremde bleiben. Ardern hat gezeigt, wie es anders geht. Das Kopftuch, das sie trug, muss auch nicht bedeuten, dass sie die Opfer auf ihren muslimischen Glauben reduziert. Es zeigt lediglich, dass die Symbole, wegen der sie auch gerade hierzulande verbal und körperlich angegriffen werden, in Schutz zu nehmen sind. Diese Geste sagt: Wir erlauben nicht, dass ihr zu Fremden gemacht werdet. Wir machen uns gemeinsam angreifbar.