In der Netflix-Doku entspinnt sich rund um das Geschäft von Karen und Barry Mason eine Geschichte über die US-Gay-Rights-Bewegung, FBI-Ermittlungen und den Untergang der Videotheken. Eine Kritik

Echte Courage und Solidarität zeigen sich oft im Moment unmittelbarer Konfrontation. Zum Beispiel, wenn man sich in der Bahn tatsächlich einmischt, wenn jemand rassistisch beleidigt wird – und nicht nur darüber twittert. Karen Mason hatte diese Courage nicht, als ihr eigener Sohn sein Coming-out hatte. Und das, obwohl Karen zu dieser Zeit fast schon als Ikone der Gay Community der USA galt.

Davon erzählt die neue Netflix-Doku Circus of Books. Karens Tochter Rachel hat mit dem Film erstmals die beeindruckende Geschichte ihrer Familie aufgearbeitet.

Vater Barry arbeitet Ende der 1960er-Jahre beim Film, unter anderem an den Effekten in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Seine Frau Karen ist Journalistin. Als die beiden vor einer beruflichen Sackgasse stehen, hilft ein alter Kontakt weiter: Hustler-Magazine-Herausgeber Larry Flynt.

Er sucht Menschen, die sein Magazin vor Ort in Hollywood verkaufen. Barry und Karen steigen ein und geraten irgendwann an den Buch- und Pornoshop Book Circus, den sie 1983 übernehmen und in Circus of Books umtaufen. Eine kapitalistische Erfolgsgeschichte beginnt.

Pornografie als Politikum

Was der Film eindrücklich ins Gedächtnis holt: In den 80ern waren Pornografie und vor allem queere Pornos ein unheimliches Politikum. "To be a homo was unspeakable", sagt einer der Zeitzeug*innen im Film. Wer sich outete, musste gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten. Um so wichtiger war es für die diskriminierten Gruppen, sich in Medien repräsentiert zu sehen. Da das in den Massenmedien kaum stattfand, nahmen unter anderem Pornos diese Rolle ein.

Gleichzeitig nahm die konservative Regierung unter Präsident Ronald Reagan Pornografie im Zuge ihrer Law-and-Order-Offensive besonders ins Visier. So wurde das FBI irgendwann auch auf Circus of Books aufmerksam und Barry Mason sogar verhaftet, was in der Doku auch zu sehen ist.

Barry und Karen verbergen deshalb das Geschäft, das sich langsam zum Hotspot der Gay Community von Los Angeles entwickelte, jahrelang vor ihren Kindern. Dadurch entsteht im Film ein interessanter Gegensatz zwischen dem politischen, beruflichen Leben der Eltern und dem spießigen Leben in der Kleinfamilie.

Gleichzeitig gehören Karen und Barry nie so wirklich zur queeren Szene dazu. Als die Aids-Epidemie viele Todesopfer fordert, verlieren sie zwar Kund*innen und Mitarbeiter*innen, sind aber nie direkt betroffen. Als sie irgendwann anfangen, selbst sehr erfolgreich Pornos zu produzieren, sind sie selten am Set und schauen sich die Filme auch nicht an.

Man wird dem Film vorwerfen können, dass hier queere Geschichte wieder einmal durch die Augen von Heterosexuellen erzählt wird.

Ein fulminanter Höhepunkt des Films ist der Auftritt von Schwulenporno-Ikone Jeff Stryker, der mit seinen heute fast 60 Jahren immer noch so aussieht, als könnte er der nächste James Bond werden. Circus of Books lebt von diesen kleinen Momenten. Manche der interviewten Personen berichten von ihrem ersten Mal in der Gasse hinter Karens und Barrys Laden oder auf dem Dachboden. Es sind Relikte aus einer Zeit, in der man sich nur analog kennenlernen konnte, während heute schon ein paar Swipes und Nachrichten auf Grindr reichen können.

Queere Geschichte aus der Sicht von Heteros

Die ulkige Distanziertheit, mit der Karen und Barry einerseits an vorderster Front der Schwulenbewegung stehen, sie aber gleichzeitig als Heteropaar nur von der Seitenlinie betrachten, schlägt irgendwann um. Nämlich dann, als sich ihr Sohn als homosexuell outet und Mutter Karen damit nicht umgehen kann. Dass der Film diesen Moment näher untersucht, um am Ende tatsächlich eine Versöhnung zu zeigen, ist wohl seine große Leistung.

Circus of Books ist aber nicht nur ein Film über Business Moves und Gay Rights. Er ist auch ein Film über Filme. Die Videothek als Dreh- und Angelpunkt einer politischen Bewegung, heute eigentlich unvorstellbar. Am Ende müssen aber nicht nur wir uns, sondern auch Barry und Karen sich vom Circus of Books verabschieden.

Man wird dem Film vorwerfen können, dass hier queere Geschichte wieder einmal durch die Augen von Heterosexuellen erzählt wird. Darüber lässt sich tatsächlich diskutieren. Trotzdem ist ein berührendes Zeitdokument entstanden, dass ironischerweise auf einer der Plattformen läuft, die ja auch ihren Anteil am Untergang der Videotheken hat.

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