Die erste Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton wird anderthalb Stunden dauern. Der Ablauf ist wie folgt: Es gibt sechs Inhaltsblöcke zu je fünfzehn Minuten, beginnend jeweils mit einer Frage durch den Moderator, auf die Hillary Clinton und Donald Trump jeweils zwei Minuten lang antworten dürfen. Danach beginnt die offene Debatte zum Thema.

Clintons und Trumps Ziel ist zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf, die unentschlossenen Wähler*innen in jenen Bundesstaaten zu überzeugen, in denen es keinen klaren Favoriten gibt (sogenannte "swing states"). Das gilt insbesondere für große Staaten wie Pennsylvania und Florida, die eine wichtige Rolle für das Wahlergebnis spielen.

Die drei Schlüssel zum Erfolg in einer Debatte

Wie gewinnt man in einer Debatte das Publikum für sich? Die antike Rhetorik unterscheidet drei Aspekte, mit denen man in einer Debatte überzeugen kann:

  • Ethos, in etwa das "Image" der Rednerin oder des Redner,
  • Pathos, die vermittelten Emotionen,
  • Logos, den Inhalt der Rede.

Hillary Clinton und Donald Trump verfügen auf diesen Ebenen über unterschiedliche Stärken und Schwächen. Trump kommt bei seinen Wähler*innen deshalb gut an, weil sie ihn für charakterstark halten, während Clintons Wähler*innen ihn als notorischen Lügner und opportunistischen Demagogen sehen. Clinton gilt bei vielen als fachlich deutlich kompetenter als Trump, hat jedoch unter anderem durch den E-Mail-Skandal ein Vertrauensproblem.

Beide setzen inhaltlich unterschiedliche Schwerpunkte: Bei Trump sind die USA zu einem Land verkommen, das durch Zuwanderung kontinuierlich an Sicherheit, Wohlstand und Einfluss verloren hat. Hillary Clinton ist in seiner Darstellung eine Marionette derjenigen, die hier auf Kosten der ehrlich arbeitenden Bevölkerung die liberale Einwanderungspolitik vorantreibt. Sie ist das korrupte und korrumpierende Establishment. Gelingt es Trump im Verlauf der Debatte, das Publikum von diesem Narrativ zu überzeugen, steigen seine Chancen im Wahlkampf.

Clintons Erzählung ist eine andere: Die USA sind in schwierigen Zeiten auf sachliche Politik angewiesen. Komplexen Krisen kann man nicht mit simplen Lösungen begegnen. Die Lösung liegt stattdessen in gesellschaftlicher Einheit und Rationalität. Die Spaltung des Landes schwächt die USA. Clinton tritt demnach als kühle, erfahrene Denkerin auf, die sich gleichzeitig sozialer Probleme bewusst ist und sie bekämpfen will. Während der Fernsehdebatte wird sie versuchen, dieses Image zu stärken. Durch ein möglichst emphatisches Auftreten sollte sie sich um jenen Teil der Wählerschaft bemühen, der sich vom politischen System verlassen fühlt und somit Trumps Inhalten verfallen könnte.

Welche Strategie ist für Trump und Clinton die richtige?

Trump muss angreifen: Er muss immer wieder das Scheitern des politischen Systems, die Emotionslosigkeit Clintons, die zwielichtigen Machenschaften und Schwächen der bisherigen Regierung aufzeigen und Clinton so in die Defensive drängen. Gelingt es ihm, die Debatte auf diese angeblichen Missstände zu fokussieren, gewinnt er. Beispiele von Skandalen, Feindbilder und Vergleiche mit Zeiten, in denen angeblich alles besser war ("make America great again"), sind seine Waffen.

Clinton hingegen muss sich profilieren: Sie muss der Wählerschaft zeigen, dass die Welt nicht einfach ist und dass komplexe Themen komplexe Lösungen erfordern. Sie muss Analysen und konkrete Pläne präsentieren und gleichzeitig nachweisen, dass Trumps Lösungen nicht umsetzbar sind. Ein Beispiel: In seiner Rede über Wirtschaftspolitik hat Trump angekündigt, sowohl ausländische Exporte in die USA massiv einschränken als auch mehr ins Ausland zu exportieren. Welches wirtschaftlich entwickelte Land würde sich auf mehr Importe aus den USA einlassen, wenn Trump diesem Land gleichzeitig eigene Exporte verweigern will?

Clinton muss auf diese Widersprüche hinweisen, doch sollten ihre Hinweise kurz bleiben. Sie gewinnt nicht, indem sie minutenlang über Trump spricht. Um aber durch die Debatte wirklich im Wahlkampf voranzukommen, muss sie auch eine emotionale Seite zeigen. Sie muss den Wähler*innen beweisen, dass sie aufrichtig betroffen und wütend ist über die Missstände im Land. Wenn ihr das gelingt, kann sie die Distanz zu ihnen überwinden und das soziale Desinteresse widerlegen, das Trump ihr vorwirft.

Trumps Debattenstrategie wird leichter umzusetzen sein als die seiner Konkurrentin. Doch ist Clinton erfolgreich, kann sie ihren Vorsprung in den Umfragen ausbauen und somit dem Wahlerfolg einen großen Schritt näher kommen.

Zum Autor: Lennart Lokstein ist amtierender Meister im deutschsprachigen Debattieren und studiert im Master Allgemeine Rhetorik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Beim Hochschuldebattieren treten Redner*innen als Teams zu verschiedenen politischen Themen gegeneinander an. Neben diversen deutschsprachigen Turnieren ist er auch als Juror auf Welt- und Europameisterschaften dabei gewesen. Gelernt hat er sein Handwerk neben dem Studium beim Tübinger Debattierclub Streitkultur e.V., wo Studierende zweimal wöchentlich in Debatten versuchen, ein Publikum von einer zugelosten Position zu überzeugen.