Du brauchst keine Liebesbeziehung, wenn du eine Familie gründen möchtest: Co-Parenting bedeutet, dass Menschen gemeinsam ein Kind bekommen und großziehen. Ob zu zweit als gute Freund*innen oder als homosexuelles Paar mit einer dritten Person – auf der Onlineplattform Familyship lernen sich Menschen mit Kinderwunsch kennen. Die Gründerin Christine Wagner erzählt, wie die Plattform entstand und wie ihre eigene Co-Parenting-Familie funktioniert: von der Schwangerschaft bis hin zum Familienalltag mit der 5-jährigen Tochter und dem Papa.

ze.tt: Wie kamst du dazu, die Plattform Familyship zu gründen?

Christine Wagner: Das war vor etwa sieben Jahren, ich befand mich damals in einer Partnerschaft mit einer Frau und es bestand ein

Kinderwunsch. Ich war 29 und sie 30, wir hatten feste Jobs, viele Freunde von uns waren schon Eltern und ich wollte nie spät Mutter werden. Uns war relativ schnell klar, dass wir nicht nur einen biologischen Vater wollen, sondern auch einen psychosozialen. Aus unserem Freundeskreis kam leider niemand in Frage – da waren viele schon Väter beziehungsweise in einer Familienkonstellation. Deshalb suchten wir dann in den einschlägigen Zeitungen in Berlin, zum Beispiel in der

Siegessäule – da gab es Chiffre-Kontaktanzeigen.

Mit Chiffren?

Ja, vor sieben Jahren lernte man sich tatsächlich auch noch so kennen. Da warteten wir mit dieser Chiffre-Geschichte wirklich wochenlang auf Antworten. Es kam sogar zu einem Date mit einem Mann, der sich danach aber nie wieder gemeldet hat. Das Prozedere war uns irgendwann zu langwierig – da bin ich ja irgendwann 50, dachte ich. Deshalb sind wir dann zur Kinderwunschgruppe vom Lesben- und Schwulenverband, zum Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg gegangen. Dort trifft man sich einmal im Monat und lernt sich kennen. Das war nett, aber leider waren zu dieser Zeit acht Frauen und nur zwei Männer dort – der eine war auch noch ein Kollege von meiner damaligen Freundin. Unsere Suche ging daher im Internet weiter, wo hauptsächlich Samenspenderseiten zu finden waren. Damit konnten wir nichts anfangen und so kam es, dass wir unsere eigene Webseite gründeten, an der wir nach Feierabend arbeiteten.

Wie habt ihr auf eure neue Plattform aufmerksam gemacht?

Wir schalteten eine Anzeige pro Monat in der Siegessäule und verschickten Pressemitteilungen. Wir dachten, dass das Thema hauptsächlich Homosexuelle interessiert – und wunderten uns dann, dass sich relativ schnell super viele heterosexuelle Frauen und Männer anmeldeten und da scheinbar ein großer Bedarf ist. In der Anfangszeit registrierten wir etwa 30 Anmeldungen pro Monat und heute haben wir monatlich etwa 120 Neuanmeldungen. In meinem Umfeld höre ich inzwischen oft von Menschen, die ihre Familie via Familyship gegründet haben.

Wie habt ihr denn euren Co-Parenting-Vater kennengelernt?

Er war einer der ersten, der sich aus Berlin angemeldet hat und der dritte, den wir trafen. Kurz nach der Gründung von Familyship kam es aber zur Trennung von meiner damaligen Freundin und in diesem Moment fand ein Umdenken bei mir statt. Denn mein Kinderwunsch war ja trotz der Trennung präsent. Ich dachte: Das kann ich doch auch als Single – und traf mich weiter mit dem besagten Mann. Wir lernten uns ein Jahr lang kennen und freundeten uns an, bis wir uns schließlich dazu entschieden, gemeinsam ein Kind zu bekommen.

Du hast mir vor unserem Gespräch erzählt, dass euer Baby mit der Bechermethode gezeugt wurde. Wie hat sich das angefühlt, in der Schwangerschaft nicht verliebt zu sein in eine Partnerin oder in den Vater des Kindes? Ist das traurig oder trotzdem schön?

Ich glaube, es ist beides. Ich habe mich das auch im Vorhinein oft gefragt. Klar: Es fühlt sich anders an. Aber ich nahm den Vater des Kindes immer mit zu den Arztbesuchen und wir guckten gemeinsam, wie sich die Ultraschallbilder verändern und was genau passiert im Bauch. Trotzdem gab es natürlich auch traurige oder schwierige Momente: Zum Beispiel, wenn ich nach dem Schwangerenyoga auf dem Heimweg wusste, dass die anderen Mütter danach bekocht oder gekrault werden, während ich meine Taschen allein die Treppen hochschleppe und niemand zu Hause wartet.

Wie bist du mit der Traurigkeit umgegangen?

Ich glaube, da muss man dann einfach durch. Aber mir hat es geholfen, Sport zu machen und Freunde zu treffen. Der Vater des Kindes und ich verbrachten viele Abende gemeinsam. Und es gibt ja auch Alleinerziehende, mit denen man sich zusammentun kann.

Wie war denn die Zeit unmittelbar nach der Geburt? Habt ihr da zusammengewohnt?

Wir wohnten eigentlich getrennt, aber in den ersten Wochen schlief der Kindsvater bei mir im Wohnzimmer. Zu der Zeit stillte ich voll, doch er übernahm das Baby frühmorgens um 5 Uhr, sodass ich dann nochmal drei Stunden durchschlafen konnte bis 8 Uhr. Dann ist er zur Arbeit los und wenn er abends zurückkam, kochte er für uns. Als unsere Tochter drei Jahre alt war, sind wir sozusagen zusammengezogen: Wir wohnen in zwei Wohnungen direkt nebeneinander, verbunden durch eine Küche in der Mitte.

Wie würdest du deine Beziehung zum Kindsvater heute beschreiben?

Wir wohnen zusammen und kennen uns sehr gut, es wird aber pragmatischer. Er hat jetzt einen neuen Partner seit einem Jahr, dadurch lebt jeder mehr sein Leben für sich. Wir verbringen natürlich Zeit zusammen, fahren jedes Jahr gemeinsam in den Urlaub oder mal zwischendurch zum Campen. Manchmal sitzen wir als Großfamilie mit allen zusammen am Tisch, mit unserem Kind, seinem neuen Partner und dessen Sohn. Manchmal sitzt man aber eben auch allein beim Abendessen. Die Betreuung unserer Tochter teilen wir uns auf, da gibt es keine festen Regeln, sondern es wird besprochen – je nachdem, was ansteht.

Ist romantische Liebe gefährlicher, weil sie in die Brüche gehen kann? Oder kann Co-Parenting genauso in die Brüche gehen?

Das kann genauso in die Brüche gehen. Das geht nur vielleicht nicht so schnell, weil man sich nicht so nah ist und nicht so viele Hoffnungen und Erwartungen reinsteckt, sondern eher eine freundschaftliche Ebene hat.

Spüren Kinder denn, ob die Eltern in einer freundschaftlichen oder romantischen Beziehung sind?

Unsere Tochter merkt schon, dass wir nicht so viel zusammen machen wie andere Eltern, aber einen richtigen Unterschied bemerkt sie nicht. Ich habe eine Freundin, die mit ihrer Partnerin gemeinsam ein Kind via Samenspende bekommen hat. Wenn meine 5-jährige Tochter dort zu Besuch war, kommt sie nach Hause und sagt: Wir haben eine normale Familie, ich habe Mama und Papa (lacht). Wir versuchen ihr dann zu erklären, dass Familie ganz viel bedeuten kann und jede Familie unterschiedlich ist. Es ist eine Zusammenkunft von Menschen, die sich gernhaben. Wir erklären ihr dann auch, dass wir uns lieb haben, aber dass wir nicht verliebt sind, sondern der Papa seinen Partner liebt.

Was würdest du denn anderen Singles raten, die einen Kinderwunsch haben?

Sich auch mal nach anderen Modellen umzuschauen, denn es gibt nicht nur das romantische, traditionelle Modell. Wenn man sich für Co-Parenting entscheidet, sollte man sich auf jeden Fall viel Zeit lassen, jemanden kennenzulernen. Ich bin jedenfalls sehr froh, meinen Kinderwunsch realisiert zu haben und glücklich über meine Tochter.