Seit bald einem Monat gilt in Deutschland das bundesweite Kontaktverbot. Wir sollen anderen nicht zu nahe kommen, und wenn doch, dann nicht zu lange. Spaß und Ablenkung sind ausgesetzt, sämtliche Bars sowie Kultur- und Bildungsstätten sind geschlossen, und wir sind angehalten, nicht ohne triftigen Grund die eigenen vier Wände zu verlassen. Bis auf die notwendigsten Besorgungen verbringen wir also die meiste Zeit zu Hause und sind gezwungen, uns anderweitig zu beschäftigen. Wir putzen und handwerken, wir puzzlen und schneiden Frisuren, wir lernen Sprachen und Instrumente. Oder wir langweilen uns. Kurz: Wir versuchen alles, damit uns die sprichwörtliche Decke nicht auf den Kopf fällt.

Dass viele zu Hause noch ganz gut zurechtkommen, zeigt Lovis Ostenrik. Mit seinem Fotoprojekt Stay At Home Berlin wollte der Fotograf und Art Director zeigen, wie solidarisch wir sein können, da wir zum Wohle aller auf Gesellschaft verzichten. "Ich wollte das individuelle Bemühen darstellen, vor allem die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu beschützen."

Dafür schießt Ostenrik Fotos von Menschen in Berlin an ihren Fenstern und auf ihren Balkonen. Die Ergebnisse veröffentlicht er auf Instagram. Seit Ende März fährt der 37-Jährige mit dem Fahrrad durch seine Heimatstadt Berlin und quasi-besucht Menschen in ihrer Isolation. Wie sich diese präsentieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Der Fotograf gibt keine Vorgaben. Sie zeigen sich im Schlabberlook, verkleidet, musizierend, küssend, mit Haustier, Baby oder Glas in der Hand, wie auch immer sie wollen und sich trauen.

Sei mehr wie Julius

Die Isolierten trifft der Fotograf nicht willkürlich während seiner Unternehmungen in der Stadt. Mit den meisten hatte er bereits vorher Kontakt und einen Termin zum distanzierten Fotoshooting ausgemacht. Zu Beginn waren es Freund*innen und Bekannte, mittlerweile bekommt er via Instagram unzählige Anfragen von Menschen, die er nicht kennt. Das Projekt läuft weiter.

Manchmal allerdings entdeckt Ostenrik zufällig jemanden auf dem Fensterbrett liegend, die Sonne genießend oder arbeitend. Dann ruft der Fotograf zum Beispiel in den dritten Stock hoch und fragt, ob er*sie mitmachen will. So wie Julius. "Er saß genau so mit Laptop und Sonnenbrille da und ich wusste: Der muss in meine Fotoreihe", sagt Ostenrik.

Mit Stay At Home Berlin möchte Ostenrik keine Kunst schaffen. "Ich sehe das vielmehr als inspirierende Zeitdokumente", sagt er. Sie würden helfen, diese Zeit nicht zu vergessen, wenn wir später daran zurückdenken oder unsere Kindeskinder davon in den Geschichtsbüchern lesen.