Eigentlich sollte Urlaub ja die Zeit im Jahr sein, in der Menschen sich ausgiebig erholen, entspannen, endlich Zeit füreinander haben. Massagen, rumliegen, dies, das. Paradoxerweise kracht es aber ausgerechnet dann überdurchschnittlich häufig und massiv in Beziehungen.

Laut einer Untersuchung von Soziolog*innen der University of Washington in Seattle lassen sich Verheiratete vor allem nach der Weihnachts- und eben auch nach der Urlaubszeit scheiden.

Aber woran liegt es, dass etliche Paare plötzlich Streit im Urlaub haben und statt Sonne und Cocktails vor allem die Türen knallen?

Das sind die Hauptgründe für Streit im Urlaub

Vorab: Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. "Es gibt Paare, die sich ausgerechnet im Urlaub besonders viel streiten und Paare, die sich im Urlaub besonders gut verstehen", erklärt die Münchener Paarberaterin und Beziehungsexpertin Andrea Bräu.

Doch Urlaub plus Verreisen ist eben eine Ausnahmesituation und Ausnahmesituationen bedeuten nicht selten Stress. Dazu kommt eine hoch aufgeladene Erwartungshaltung. In Sachen Harmoniedruck ist der Jahresurlaub daher eng mit Weihnachten verwandt, wie auch Andrea Bräu sagt: "Die Urlaubszeit soll wie Weihnachen immer besonders gut sein. Es ist die schönste Zeit des Jahres, alles muss allen gefallen." So gut wie unmöglich und Nährboden für Enttäuschung und Streit im Urlaub.

Auch ein ungewohnter Überschuss an Nähe kann zu Streit im Urlaub führen. Wenn ein Paar plötzlich vom alltagsgeprägten Neben- zu einem intensiven Miteinander wechseln muss, kann diese Umstellung anstrengend sein. Gibt natürlich niemand gern zu.

"Paare, die durch den Alltag voneinander und ihren Problemen abgelenkt sind, krachen gerade in der Urlaubszeit aneinander", sagt Beziehungsexpertin Bräu. Schwelende Konflikte drängen an die Oberfläche, beide können sich nicht ausweichen, Me-time zum Aufladen wird auch schwieriger – dann kommt es drauf an, wie stabil die Beziehung ist und wie gut beide erkennen und kommunizieren können, was da gerade bei ihnen los ist.

Denn mangelnde Kommunikation ist auch im Urlaub die Ursache für eine Vielzahl von Problemen. Meist entzünden sich Ferienkonflikte an komplett vermeidbaren Kleinigkeiten; laut einer Umfrage des Reiseportals Urlaubspiraten Anfang 2020 haben von über 1.300 liierten Befragten 22 Prozent angegeben, sich auf Reisen wegen verschiedener Vorstellungen in Sachen Aktivitäten zu zoffen, 15 Prozent zanken sich wegen der Handynutzung des*der Partner*in und 14 Prozent wegen der Schlafens- und Aufstehzeiten.

Alles Themen, die sich durchaus im Vorhinein klären und verhandeln lassen – wenn beide in Ruhe miteinander sprechen und ihre unterschiedlichen Erwartungen auf den Tisch legen. Und diese gleichberechtigt berücksichtigen.

Was stimmt denn da nicht?

Grundsätzlich gilt also: Je stabiler die Beziehung, je reflektierter beide Beteiligte und je besser die Kommunikation, desto seltener gibt es Streit im Urlaub. Umgekehrt führen Verdrängung und überhöhte, unausgesprochene Erwartungen nahezu unweigerlich zu Zoff.

Dass Menschen mal aus der Haut fahren, sei laut Andrea Bräu normal. Der Umgang damit mache den Unterschied; wer gestresst sei, reagiere seiner Persönlichkeit und Reife entsprechend. "Da muss nicht gleich die Beziehung zum Scheitern verurteilt sein", sagt die Paarberaterin, "aber leider ist es in der Praxis oft so, dass Menschen ihre eigene Instabilität auf Kosten des oder der anderen herstellen, indem sie den Partner oder die Partnerin destabilisieren."

Wie das konkret aussehen kann, beschreibt die Beziehungsexpertin an einem Beispiel: "Ein Paar fährt mit dem Auto in den Urlaub, verfährt sich und der Fahrer oder die Fahrerin wird dann instabil und wertet den Beifahrer oder die Beifahrerin ab – mit Sprüchen wie 'Kannst du eigentlich nie die Karte richtig lesen?' Dadurch stabilisiert sich der- oder diejenige selbst wieder, der oder die andere ist aber nun instabil und das Spiel mit gegenseitigen Vorwürfen geht weiter."

Durch diesen Mechanismus von Stabilisierung und Destabilisierung schaukele sich ein Paar in kürzester Zeit gegenseitig hoch. "Dann sind sie weg vom Sachthema, landen auf der emotionalen Ebene und hauen sich alles Mögliche um die Ohren", sagt Andrea Bräu. "Hier stimmt nicht nur mit der Beziehung etwas nicht, sondern vor allem mit den beiden. Sie müssten sich klarmachen, was da genau im Inneren geschieht."

So geht streitfreier Urlaub

Deshalb lautet die Lösung für möglichst wenig bis keinen Streit im Urlaub: Vorher ehrlich in sich selbst hineingucken und sich fragen, was man selbst vom Urlaub erwartet. Dann miteinander darüber sprechen, Kompromisse aushandeln und anschließend daran halten.

"Die Bedürfnisse der Familie oder eines Paares müssen geklärt werden", sagt auch Andrea Bräu. "Wenn man einfach so losfährt und der oder die eine will nur am Strand liegen, der oder die andere aber ständig unterwegs sein, dann muss es ja Probleme geben."

Außerdem wichtig: Realistisch bleiben und einander Raum und Luft lassen. Urlaub ist kein Wettbewerb und auch keine Schnitzeljagd. Es muss nicht jedes Restaurant getestet, nicht jede Sehenswürdigkeit besucht, nicht jeder Berg beklettert, jeder Strand belegen und jeder Geheimtipp abgehakt werden. Und Erholung passiert auch nicht auf Knopfdruck.

Und letztlich: Gern auch mal aufrichtig um Verzeihung bitten, wenn die Hutschnur geplatzt ist. Das zeichne laut Paarberaterin reife Partner*innen aus: "Denn ihm oder ihr ist klar, was da passiert ist. Sich auf Kosten des oder der anderen zu stabilisieren, passiert uns allen mal."

Über die wichtigen Dinge reden

Urlaub ist oft eben keine reine Erholung. Vorbereitung, An- und Abreise, Umstellung und Anpassung, Probleme wie ungemütliche Matratze oder ungenießbares Essen stellen durchaus Herausforderungen dar – zusätzlich zu eventuell mitgereisten Uralt-Konflikten. Und das kann stressen. Wenn dann ein Paar nicht wertschätzend und offen miteinander kommuniziert, ist Streit im Urlaub nahezu vorprogrammiert. Entscheidender als die Frage, ob nun Sonnencreme mit LSF 30 oder 50 in den Koffer soll, sind daher die Erwartungen. Oder wie Andrea Bräu sagt: "Die Leute reden einfach immer zu wenig über die wirklich wichtigen Dinge."