Stellen wir uns vor, es gäbe da eine junge, hochqualifizierte und engagierte Frau. Stellen wir uns weiterhin vor, ihre Probezeit wäre abgelaufen und sie würde zu ihrem Chef gehen, um mit prima Argumenten nach einer Gehaltserhöhung zu fragen. Stellen wir uns vor, ihr Chef würde antworten mit "Tut mir wirklich leid, aber dafür habe ich derzeit leider null Budget. Die Kürzungen, Sie wissen schon."

Dann stellen wir uns vor, dass diese junge Frau kurz darauf von ihrem gleichaltrigen, gleich qualifizierten und gleich lang im Unternehmen beschäftigten Kollegen im selben Team hören würde, dass er fast zum selben Zeitpunkt erfolgreich nach einer Gehaltserhöhung gefragt hätte und nun fast ein Viertel mehr verdienen würde als sie.

Ja, das ist passiert. Herzlich willkommen im Gender Pay Gap.

Das ist der Equal Pay Day

Der Equal Pay Day steht rein rechnerisch für den Tag im Jahr, bis zu dem Frauen theoretisch umsonst arbeiten würden, weil sie entsprechend weniger verdienen als Männer. Er zeigt die geschlechterspezifische Gehaltslücke auf. Also: Ein Mann bekommt 15 Euro pro Stunde, eine Frau 11,85 Euro. Würde man bei ihr den gleichen Stundenlohn ansetzen, hätte sie bis heute umsonst gearbeitet, während ihr männlicher Kollege schon seit dem 1. Januar voll bezahlt werden würde.

In Deutschland liegt dieser Gehaltsunterschied laut Daten des Statistischen Bundesamtes seit Jahren unverändert bei 21 Prozent – unbereinigt – und entspricht damit einem Zeitraum von 77 Tagen. Das ist einer der höchsten Werte im europäischen Vergleich.

Ist die Lücke in Wahrheit nicht viel kleiner?

Davon mal abgesehen, dass ein Gehaltsunterschied von sechs Prozent immer noch ein Gehaltsunterschied und keine Lohngerechtigkeit ist, ist das auch so nicht ganz vollständig. Und zwar unter anderem deshalb: Es gibt den bereinigten und den unbereinigten Wert.

Unbereinigt heißt: Der durchschnittliche Brutto-Stundenlohn aller 1,9 Milliarden Beschäftigten aus sämtlichen Berufen und Branchen wird verglichen. Da liegt der Unterschied in Gesamtdeutschland bei 21 Prozent. Die Kritik daran ist, dass es so aussieht, als ob Arbeitgeber*innen Frauen absichtlich weniger zahlen und sie so diskriminieren würden. Und auch, wenn es wie im obigen Beispiel tatsächlich solche Fälle gibt, ist das nicht das ganze Bild.

Denn bereinigt heißt: Es werden auch strukturelle Unterschiede berücksichtigt. Zum Beispiel die Berufserfahrung, das Bildungsniveau, die Berufswahl und die Tatsache, dass es weniger Frauen in Führungspositionen gibt, wo die Bezahlung ja höher ist. Aber auch, wenn man nur ähnliche Jobs und Qualifikationen vergleicht, liegt der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen laut dem Statistischen Bundesamt noch bei sechs Prozent.

Außerdem variiert die Gehaltslücke je nach Region und Beruf. Am größten ist sie in Westdeutschland und im Verkauf, am kleinsten in den neuen Bundesländern und in Polizei und Justiz.

Was soll der Equal Pay Day?

Der Equal Pay Day ist ein Aktionstag, der auf diese Gehaltsunterschiede hinweist. Und er ist wichtig. Denn die 21 Prozent zeigen zwar den größeren Zusammenhang auf und nicht das detaillierte Bild, aber die Unterschiede im Brutto-Stundenlohn sind real; durchschnittlich und gesamtgesellschaftlich verdienen Frauen weniger als Männer.

Warum das im Jahr 2019 noch der Fall ist? Tja, das führt uns zu den Gründen, die das mit dem bereinigten Gender Pay Gap besser erklären. Das ist natürlich alles sehr komplex, aber vereinfacht zusammengefasst gibt es folgende Begründungen, die auch miteinander zusammenhängen.

Darum verdienen Frauen weniger

Frauen suchen sich bestimmte Berufe aus und andere eher nicht. Sie üben zum Beispiel überdurchschnittlich oft soziale Tätigkeiten aus, und die werden häufig schlechter bezahlt. Außerdem gibt es weniger Frauen als Männer in – besser bezahlten – Führungsjobs.

Dazu kommt, dass Gehälter oft nicht transparent sind und Ungerechtigkeit dann nicht sichtbar wird. Wenn man nicht weiß, was Kolleg*innen verdienen, kann man auch nicht sehen, ob man unterbezahlt wird. Seit Anfang Januar gibt es aber für Angestellte in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten einen Auskunftsanspruch; hier ist ein nützlicher Leitfaden dazu.Frauen arbeiten auch öfter in Teilzeit als Männer oder nehmen Auszeiten vom Job, um sich um die Familie zu kümmern. Das wiederum hängt mit mangelnden Betreuungsmöglichkeiten, ungerechter Besteuerung und dann auch damit zusammen, dass Frauen weniger verdienen und der Verlust ihres Einkommens sich weniger auswirkt, wenn sie zu Hause bleiben. Sie arbeiten dann über die Jahre weniger, sammeln weniger Berufserfahrung und werden, wenn sie wieder einsteigen, entsprechend schlechter bezahlt.

Diese Ursachen erklären laut dem Statistischen Bundesamt ungefähr drei Viertel der Ungerechtigkeit. Das übrige Viertel ist dann der bereinigte Gender Pay Gap.

Frauen zu Hause, Männer zur Arbeit

Das größte dahinter liegende Problem ist die auf geschlechtsspezifischer Sozialisation basierende strukturelle Ungleichheit. Konkretes Beispiel gefällig?

Eine Frau hat einen vierjährigen Sohn, ein Mann eine vierjährige Tochter. Beide fangen gleichzeitig bei einer neuen Firma an, beide müssen pendeln und sind nur am Wochenende zu Hause. Bei der Frau wird viermal von den Vorgesetzten gefragt, ob es für sie wirklich, wirklich okay sei, unter der Woche von ihrem Kind getrennt zu sein; nicht, dass sie gleich wieder kündigt. Bei dem Mann kommt die Frage kein einziges Mal. Ja, auch das ist passiert.

Das ist nicht nur unfair der Frau gegenüber, die eine berufliche Herausforderung durchaus als befriedigend empfinden und mit ihrem Partner eine gute Betreuungslösung vereinbart haben kann – sondern auch dem Mann gegenüber, bei dem nicht mal daran gedacht wird, dass er sein Kind ganz fürchterlich vermissen und deshalb gleich wieder kündigen könnte.

Dahinter steckt die gesellschaftliche Rollenverteilung, die vorsieht, dass Frauen sich mehr um Kinder und das Zuhause kümmern als Männer. Frauen können schließlich schwanger werden und tragen Kinder aus, Frauen sind also schon rein biologisch für Kinderbetreuung zuständig, Frauen können darum nicht so hart arbeiten wie Männer, die wiederum mit Kindern nicht so viel am Hut haben – so die Annahme. Dass das nicht so einfach und klar unterteilbar ist, sollte heutzutage eigentlich logisch sein. Ist es aber nicht.

Frauen als Mütter zu Hause, Männer als Macher zur Arbeit: Diese Ideologie breitete sich in der Zeit der Industrialisierung mit der Entstehung der Mittelklasse aus und hält sich bis heute. Und deshalb wählen Frauen eher soziale Berufe, deshalb treten sie eher beruflich zurück, deshalb wird ihnen oft keine Führungsaufgabe zugetraut. Deshalb verdienen sie weniger.

Rollenbilder müssen sich ändern

Und auch, wenn sie berufstätig sind: Es sind laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung deutlich eher Frauen, die auch nach Feierabend und am Wochenende unbezahlte Arbeit verrichten – Kinderbetreuung, Haushalt, Besorgungen.

Frauen schultern außerdem oft den so genannten Mental Load – die gedankliche Verantwortung für den Haushalt. Also, wann muss wer zum*r Zahnärzt*in, wann hat Onkel Hubert seinen 70. Geburtstag, wie lange reicht das Waschmittel noch?

Solange klassische Rollenbilder in der Gesellschaft verankert sind, wird sich von selbst nicht viel daran ändern. Auch nicht am Gender Pay Gap. Und deshalb ist der Equal Pay Day auch immer noch wichtig – um auf diese Ungleichheit aufmerksam zu machen. Auch, wenn er es eigentlich längst nicht mehr sein sollte. Oder wie die Familienministerin Dr. Franziska Giffey sagt: "Frauen können alles. Das ist Fakt und Forderung zugleich. Fakt, weil Frauen jeden Tag überall beweisen, dass ihre Arbeit den gleichen Wert hat wie die Arbeit von Männern. Forderung, weil ihre Arbeit immer noch nicht ausreichend wertgeschätzt wird."