Schön, wenn eine Abteilung sich mal einen halben Tag lang aus dem tretmühlenartigen Tagesgeschäft ausklinken darf – um dann beim Bouldern oder im Hochseilpark auf Firmenkosten darin bestätigt zu werden, dass sich bestimmte Kolleg*innen auch in schwindelerregender Höhe nicht ausstehen können oder dass Vorgesetzte*r X von Natur aus eine cholerische Wurst ist. Nach dem anschließenden Umtrunk kehren am nächsten Tag alle ein bisschen verkatert an ihre Schreibtische zurück und alles ist wie vorher.

Wirkliche Veränderung, und damit einhergehende Verbesserung, passiert nicht durch einmalige Events. Sondern durch kontinuierliche Prozesse, durch augenscheinliche Kleinigkeiten – wie Zuhören im Job. Eine auf den ersten Blick simple Maßnahme, die zu tiefgreifender Transformation führen kann. Das jedenfalls sagt Führungscoachin Anja Niekerken, die unlängst ein Buch zu dem Thema geschrieben hat (Das Geheimnis richtigen Zuhörens).

Warum hören wir einander nicht zu?

In der heutigen Zeit ist es nicht leicht, tatsächlich aufmerksam und konzentriert zu sein und zu bleiben. Nicht nur toben Tausend Gedanken durch den eigenen Kopf, auch von der Außenwelt wird nahezu permanent Aufmerksamkeit gefordert. Die jedoch ist ausschlaggebend, um wirklich zuhören zu können.

"Wir haben das echte Zuhören tatsächlich nie gelernt", sagt Anja Niekerken. Dazu kommt noch, dass wir oft in unserer eigenen Wahrnehmung feststecken. "Selbst in privaten Gesprächen können wir immer wieder beobachten, dass im Grunde alle nur die eigene Botschaft verbreiten wollen. Die der anderen will kaum jemand hören", meint die Führungscoachin.

Das hänge unter anderem auch mit der Erziehung zusammen; es sei noch nicht allzu lange modern, Kindern Gehör zu schenken. "Und auch, wenn wir oft so tun, hören doch die wenigsten Erwachsenen ihren Kindern wirklich ernsthaft zu", so Niekerken.

Diese Selbstrede-Kultur zeigt sich auch im beruflichen Kontext. Wer am lautesten ist, verschafft sich damit Gehör. Und das hänge laut der Expertin eben auch mit einer männlich geprägten Führungskultur zusammen: "Gerade im Job ist es noch gar nicht so lange her, dass eine patriarchische Top-down-Führung an der Tagesordnung war. Und wenn wir ganz genau hinschauen, dann ist das in den meisten Unternehmen auch heute noch so."

Deshalb werden viele Ideen, Gedanken und Menschen in der Arbeitswelt schlicht nicht gehört. Und das ist ein Riesenverlust.

Wieso sollten wir zuhören?

Richtiges Zuhören im Job kann nämlich unfassbar viel bewegen. Bessere Unternehmenskultur, angenehmeres Arbeitsklima, mehr Ideen, weniger Fluktuation, optimierte Prozesse und Performance. Auch unternehmerischer Schaden kann durch Zuhören im Job verhindert werden.

Anja Niekerken veranschaulicht das am Beispiel des VW-Abgasskandals: "Eine Aussage vieler Ingenieur*innen zog sich immer wieder durch alle Berichte: 'Das wollte man nicht hören.' Doch wer etwas nicht hören will, geht große Risiken ein. Darüber hinaus werden Expert*innen entmündigt und mehr oder weniger subtil dazu gezwungen, nicht wirklich korrekte Lösungen zu suchen."

Aber dann einfach so laut und lange pöbeln und brüllen, bis jemand zuhört, ist laut Niekerken eben keine Lösung: "Wer in solchen Situationen meint, man müsse ja nur den Mund aufmachen, verkennt, wie psychischer Druck und Abhängigkeiten auf Menschen wirken." Jemanden aktiv und bewusst nicht hören zu wollen, das grenze an Psychoterror. Und dennoch ist das Motto "Wenn der Kuchen spricht, müssen die Krümel schweigen" häufig Teil vieler Unternehmenskulturen.

Darum ist Zuhören im Job eine so unterschätzte und zugleich entscheidende Maßnahme. "Echtes Zuhören bedeutet, das Gegenüber wahr- und für voll zu nehmen", sagt Anja Niekerken. "Würden Vorgesetzte ihren Angestellten mehr und vor allem ehrlich zuhören, müssten wir nicht mehr oder kaum noch über das Problem mangelnder Wertschätzung in Unternehmen sprechen."

Unternehmerische Entscheidungen wären reflektierter und transparenter, das Gefühl der Zugehörigkeit wachse. Skandale wie der bei VW ließen sich vermeiden. "Angestellte würden sich viel mehr trauen, den Mund aufzumachen, weil sie ja gehört werden", sagt die Beraterin.

Im Grunde sei Zuhören im Job klassisches Empowerment. Und das habe richtiggehende Welleneffekte, wie Anja Niekerken erklärt: "Der Selbstwert eines Menschen erhöht sich, wenn ernsthaft zugehört wird. Und Menschen mit einem gesunden Selbstwert gehen wiederum mit anderen viel wertschätzender um."

Und so funktioniert Zuhören im Job

Wenn wir nun aber gar nicht richtig zuhören können – wie lässt sich das lernen? Im ersten Schritt sei es wichtig, sich vom Konzept des aktiven Zuhörers oder der aktiven Zuhörerin, wie es in Seminaren gelehrt wird, zu verabschieden. Das sei nämlich nicht authentisch. "Es geht beim Zuhören nicht darum, so zu tun als ob. Das ist durchsichtig und kontraproduktiv", sagt Anja Niekerken. "Fake it till you make it funktioniert einfach nicht." Menschen spüren, wenn Verhalten simuliert wird.

Echtes Zuhören braucht vor allem zwei Dinge: Aufrichtiges Interesse und ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Gespräch aufs Handy oder auf die Tür zu gucken, im Kopf schon im nächsten Termin oder beim Wocheneinkauf zu sein – das verhindert gutes Zuhören im Job. Stattdessen ist es wichtig, alle Ablenkungen zu vermeiden und sich auf das Gegenüber und dessen*deren Gedankenprozess einzulassen – ohne im Kopf schon den eigenen Monolog zum Thema vorzubereiten und nur auf die passende Gelegenheit zu warten, ihn endlich vortragen zu können.

"Das erfordert Disziplin, Respekt und eine innere Erwartungshaltung. Nämlich die, dass wir in diesem Gespräch, just in diesem Moment, etwas erfahren, das wir noch nicht wussten und das uns weiterbringt", sagt Anja Niekerken.

Gerade in Unternehmen seien Angestellte meist Expert*innen auf ihrem Gebiet und wüssten deshalb aus praktischer Perspektive häufig besser als Führungskräfte, was mit welchen Prozessen und Abläufen nicht rund laufe und verbesserungsfähig sei. "Sie machen nämlich den ganzen Tag nichts anderes. Mit dieser Idee ist der erste Schritt zum besseren Zuhören getan", sagt Niekerken. Die innere Einstellung mache den Unterschied.

Darum ist Zuhören im Job eine Superkraft

Natürlich ist so eine Verhaltensveränderung einerseits weniger plakativ und schillernd als eine Veranstaltung mit viel Tamtam, gleichzeitig aber auch deutlich anstrengender, weil sie bei jedem und jeder selbst beginnt und mit Eigenverantwortung und Commitment einhergeht.

Aber Zuhören im Job kann eine geheime Superkraft sein, weil wir es auch im Arbeitsumfeld eben mit Menschen zu tun haben. Und die wollen gesehen, gehört und respektiert werden, und verdienen es. "Wer sich wertgeschätzt fühlt, dem oder der fällt es viel leichter, andere wertzuschätzen", fasst Expertin Anja Niekerken zusammen. Das wirke sich positiv auf das gesamte Umfeld und darüber hinaus aus: "Wenn das nicht nur in Unternehmen, sondern überall in der Gesellschaft Einzug halten würde – nicht auszudenken, was wir alles erreichen könnten."