Eine repräsentative Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen Covid-19 eher als ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko ansehen, die Corona-Maßnahmen akzeptieren und sich an sie halten als Männer. Für die Studie wurden 21.000 Menschen aus acht Industrienationen, darunter Deutschland, Frankreich und Neuseeland, jeweils im März und April 2020 befragt. Insgesamt 59 Prozent der weiblichen Befragten hielten die Erkrankung für schwerwiegend, aber nur 49 Prozent der Männer. Abgefragt wurde zum Beispiel die Bereitschaft, Hände zu waschen, in den eigenen Ellbogen zu husten und Abstand zu halten.

Zuletzt diskutiert die Studie verschiedene Gründe, die für diese Differenz verantwortlich sein könnten. Demnach könnten nicht nur biologische, sondern auch Verhaltensunterschiede eine Rolle spielen. Franziska Schutzbach ist promovierte Geschlechterforscherin und Soziologin und lehrt an der Universität Basel. Sie beschäftigt sich schon länger mit dem Zusammenhang zwischen Männlichkeitsbildern und gesundheitsschädlichem Verhalten. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was die Angst vor Schwäche mit dem Risikomanagement von Männern zu tun hat.

ze.tt: Frau Schutzbach, warum nehmen Männer die Corona-Pandemie offenbar nicht so ernst wie Frauen?

Franziska Schutzbach: Ich finde die Studie interessant, weil sie länderübergreifend zeigt, dass Geschlecht eine wichtige Rolle dabei spielt, wie Menschen die aktuelle Pandemie einschätzen und wie ernsthaft sie sich an Gesundheitsregeln halten oder nicht. Dass die Zustimmung von Männern zum relativ einfachen, individuellen Gesundheitshandeln wie Masken tragen, Abstand halten oder Hände waschen so viel niedriger ist als jene der Frauen, könnte durchaus mit bestimmten Männlichkeitssozialisationen zu tun haben.

Welche Männlichkeitsbilder könnten dafür verantwortlich sein?

Eigene Verletzlichkeit und Schwäche werden von Männern immer noch stark ausgeblendet, das könnte einer der Gründe sein, warum Männer das Risiko dieser Krankheit niedriger einschätzen als Frauen. Für viele Männer ist Krankheit ein Problem, weil sie Krankheit mit Schwäche gleichsetzen – das passt nicht in ihr Selbstbild der Unverwundbarkeit.

Männer verhalten sich in Bezug auf Gesundheit generell unvorsichtiger und rücksichtsloser als Frauen.
Franziska Schutzbach

Die Geschlechterforschung zeigt, dass sich Männer in Bezug auf Gesundheit generell unvorsichtiger und rücksichtsloser als Frauen verhalten. Sie gehen seltener zum Arzt, nehmen gesundheitliche Probleme weniger ernst und weisen ein gesundheitsschädlicheres Verhalten auf – zum Beispiel, was den Alkoholkonsum, ungesundes Essen oder risikoreiches Autofahren angeht. Es überrascht also nicht, dass sich das nun auch im Kontext der Pandemie zeigt.

Männer schaden mit ihrem Gesundheitsverhalten also nicht nur anderen, sondern auch sich selbst: Die Krankheitsverläufe bei Covid-19 sind bei Männern wohl schwerer, die Sterblichkeitsrate ist in einigen Ländern höher. Das hat – neben anderen Faktoren – womöglich auch damit zu tun, dass sie sich unvorsichtiger verhalten und entsprechend eher angesteckt werden, dass sie mehr Vorerkrankungen haben oder sich später in Behandlung begeben.

Woher kommt diese Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst und anderen?

Rücksichtnahme und Empathie haben in der männlichen Sozialisation weniger Bedeutung. In der erwähnten Studie wird das etwa deutlich an der Einstellung der Männer gegenüber der Empfehlung, in den Ellbogen zu niesen. Bei dieser Regel weist die Studie den stärksten Unterschied zwischen dem Verhalten von Männern und Frauen auf. Nur 76,7 Prozent der befragten Männer gaben im März an, sich an diese Empfehlung zu halten, bei den befragten Frauen waren es 85,6 Prozent. Es ist genau jene Regel, die ausschließlich dazu dient, andere zu schützen. Während zum Beispiel häufigeres Händewaschen, zu dem immerhin 81,5 Prozent der Männer und 86,8 Prozent der Frauen bereit waren, ja auch dem Selbstschutz dient.

Männer reagieren auf Unsicherheit oft mit rebellischem Gebaren.
Franziska Schutzbach

Es ist aber wichtig zu erwähnen: Die Studie fragt nicht, warum Männer diese Maßnahmen für falsch halten. Eine kritische Haltung etwa gegenüber der Schließung von Grenzen, Schulen oder Kulturorten, nach denen ebenfalls gefragt wurde, ist nicht automatisch ein Zeichen von Rücksichtslosigkeit. Viele Maßnahmen haben Folgen und gehen für Betroffene teils nicht mit ausreichend Unterstützung einher.

Die Auflehnung gegen Corona-Regeln kann also genauso gut mit einer tiefen Erfahrung von Unsicherheit und Existenzangst zu tun haben. Männer reagieren auf Unsicherheit oft mit rebellischem Gebaren. Sie versuchen damit, ihr Selbstideal von Stärke und Überlegenheit zu stabilisieren.

Sind denn nur Männer verunsichert?

Die Pandemie ist für uns alle extrem verunsichernd. Und viele Menschen reagieren auf Verunsicherung mit Solidarität und Hilfsbereitschaft, andere mit Verhärtung, Sturheit oder sogar Hass. Das betrifft nicht nur Männer, aber Männer in besonderem Maße. Wenn sich Ohnmachtsgefühle breitmachen, holen manche lieber zum Gegenschlag aus.

In Deutschland haben wir momentan gefühlt eine Million selbst ernannte Virologen.
Franziska Schutzbach

Männer neigen auch eher dazu, sich selbst als die besseren Experten zu fühlen. Besserwissen ist eine verbreitete männliche Strategie gegen Ohnmacht. In Deutschland haben wir momentan gefühlt eine Million selbst ernannte Virologen, die etwa Christian Drosten als vollkommen unfähig betrachten. Männer halten sich auch in nicht krisenhaften Situationen oft für die besseren Experten, ob beim Fußball, in Meetings oder beim Autofahren: Sie wissen es besser als der Nationaltrainer, der Chef oder alle anderen Verkehrsteilnehmer.

Warum ist das so?

Das hat mit bestimmten Idealen von Autonomie und Überlegenheit zu tun. Ein Mann sein bedeutet im traditionellen Geschlechterverständnis, anderen überlegen und von anderen unabhängig zu sein. Ein Mann sollte von der Meinung und der Einschätzung anderer unabhängig sein, er muss sich selbst genügen. Männer inszenieren sich deshalb etwa gern als Menschen "mit gesunder Skepsis". Skepsis gilt als Zeichen von Unabhängigkeit. Wenn man genau hinschaut, zeugt diese aber oft von Selbstüberschätzung, die auch in gefährliche Faktenleugnung oder demokratieschädigenden Populismus münden kann.

Ist der Wunsch nach Unabhängigkeit nicht nachvollziehbar?

Der Wunsch an sich ist nicht schlecht, er wird erst zum Problem, wenn er zur Ignoranz gegenüber anderen führt. Männliche Autonomie ist oft stark über Dominanzverhalten, über die Abwertung von anderen und Überlegenheitsphantasmen definiert. Die Sehnsucht nach Überlegenheit tritt in der Krise besonders aggressiv hervor.

Frauen ist es eher erlaubt, sich besorgt oder verunsichert zu zeigen.
Franziska Schutzbach

Der Unwille, sich an gewisse Regeln zu halten, hat aber womöglich auch mit Privilegien zu tun. Die Studie nimmt ja acht eher reiche Länder wie Deutschland oder die USA in den Blick. Für manche Männer ist es wohl wirklich das erste Mal, dass ihre Bedürfnisse so direkt eingeschränkt werden: Stadionbesuche, Reisen, Kartenspielen in der Kneipe. All das klingt eigentlich ja verschmerzbar, aber für Menschen, die sonst wenig Einschränkung erleben, ist schon das Tragen einer Maske eine krasse Erfahrung.

Es sind überwiegend männliche Politiker und Prominente, die als Corona-Leugner auffallen. Strahlt das aus?

Politiker wie Donald Trump, die sich despektierlich äußern, wenn Menschen Angst vor einer Infektion haben, die sich über Virologen lustig machen, die sich "von denen" nichts vorschreiben lassen wollen, sind schlechte Vorbilder, die anderen Männern wiederum die Legitimität geben, das Gleiche zu tun. Es gibt in abgeschwächter Form auch Beispiele wie Friedrich Merz, der an Corona erkrankte und dann Bilder veröffentlichte, die ihn "arbeitsfähig" zu Hause inszenierten. Männliche Politiker bedienen immer wieder Bilder von Stärke und Unverwundbarkeit, die suggerieren, alles im Griff zu haben.

Lässt sich umgekehrt auch erklären, warum Frauen sich eher an die Regeln halten?

Ich nehme auch bei den befragten Frauen an, dass die Sozialisation eine Rolle spielt. Frauen sind gesellschaftlich eher angehalten, fürsorglich zu handeln. Sie leisten privat, aber auch beruflich erwiesenermaßen mehr Sorge- und Pflegearbeit und sind also generell mehr mit Krankheit und deren Folgen konfrontiert. Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass sie Covid-19 ernster nehmen.

Frauen ist es auch eher erlaubt, sich besorgt oder verunsichert zu zeigen. Für sie bedeutet es keine Entwertung ihres Subjekt-Status, wenn sie sich ängstlich oder vulnerabel zeigen. Zudem werden Frauen eher zu Anpassung erzogen. Von Mädchen wird erwartet, sich regelkonform zu verhalten, während es bei Jungs eher akzeptiert ist, dass sie auch mal "über die Stränge schlagen".

Es gibt auch zahlreiche Frauen, die ihre Maske unter der Nase tragen, die Maßnahmen polemisch infrage stellen oder die Existenz des Virus bezweifeln. Wie lässt sich das erklären?

Ja, das stimmt und ist ein wichtiger Punkt. Corona-Leugnung ist auch mit Weiblichkeit kompatibel: Viele Corona-Skeptikerinnen oder Impfgegnerinnen sind der tiefen Überzeugung, die eigentlich besseren Gesundheitsrezepte zu kennen als zum Beispiel der Staat, die WHO oder "die Pharmaindustrie". Aus ihrer Sicht handeln sie aus besonderer Fürsorglichkeit, liegt ihnen die Gesundheit der Menschen am Herzen. Maskenverweigerung wird ja nicht selten sogar als Akt der Solidarität und im Dienst der Gesundheit verstanden, weil sie denken, dass Masken schädlich sind.

Im Extremfall lautet das Argument, man müsse "der Natur" freien Lauf lassen – die Starken kommen durch die Krise, der Rest wird auf natürliche Weise aussortiert. In diesen Durchseuchungsideen zeigen sich die Schnittstellen von esoterischen Gesundheitsmodellen, die Natur und Natürlichkeit idealisieren, mit sozialdarwinistischen, wissenschaftsfeindlichen Ansätzen, was manchmal sogar in einer faschistischen Haltung münden kann.

Und das zieht auch Frauen an?

Es ist keine Überraschung, dass solche Ideen gerade auch bei Frauen Verbreitung finden. In manchen esoterischen Kreisen erfahren Frauen durch essentialistische Geschlechtermodelle Aufwertung. Dahinter steckt der Gedanke, Frauen hätten in dieser Welt bestimmte, feststehende Aufgaben, die angeblich von der Natur festgelegt werden – sie seien zum Beispiel Repräsentantinnen der Natur oder der Heilkraft. Auch für Frauen bietet also die Infragestellung von Corona-Gesundheitsregeln Potenzial für Selbstermächtigung.

Es ist aber wichtig zu betonen, dass nicht jeder und jede, der*die Corona-Maßnahmen infrage stellt, an der Grenze zum Faschismus steht. Tatsächlich gibt es ja auch vernünftige Gründe, schulmedizinische Herangehensweisen zu hinterfragen, das ist nicht automatisch irrational.

Gerade die Frauengesundheitsbewegung hat wichtige Arbeit geleistet in Bezug auf medizinische Selbstbestimmung. Auch die Kritik daran, wie und welche Medikamente verschrieben werden, hat ihre Berechtigung und ist nicht per se idiotisch. Man kann auch nicht sämtliche alternative Heilmethoden in einen Topf werfen.

Die Forscher*innen der Studie fordern als Konsequenz eine Krisenkommunikation, die eher Männer anspricht. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Ich glaube, es wäre ganz grundsätzlich – unabhängig vom Geschlecht – wichtig, eine Krisenkommunikation zu etablieren, die das Prinzip von Sorge und Solidarität als Grundelement betont und aufwertet. Und dabei eben auch die Verwundbarkeit und Bedürftigkeit von uns allen deutlich macht.

Fallen Ihnen Beispiele dafür ein?

Jacinda Ardern, die neuseeländische Premierministerin, macht hier etwas Wichtiges vor: Statt auf harte Worte und Technokratie setzt Ardern bei ihrer Corona-Kommunikation auf Zusammenarbeit mit ihrem "Fünf-Millionen-Team", wie sie die Bevölkerung gern nennt. "Seid stark, seid freundlich", lautete ihr Schlagwort im Kampf gegen das Virus. Sie kommuniziert sehr persönlich und mitfühlend und legt oft den Politpanzer ab, indem sie zum Beispiel aus ihrem Wohnzimmer spontane Facebook-Videos veröffentlicht, in denen sie auch persönliche Überforderung eingesteht. Gleichzeitig kommuniziert sie klar die nächsten Schritte.

Ardern bietet auch regelmäßig an, sich bei Problemen und Sorgen an sie, an die Regierung zu wenden. Das hat fast etwas Therapeutisches, aber es sorgt dafür, dass Menschen sich sehr ernst genommen fühlen, und das braucht es unbedingt, wenn sie weiterhin Vertrauen in Institutionen, in die Politik haben sollen.