Ich hatte mal zwei Chefs, die kamen so gar nicht miteinander aus. Leider saßen wir alle in einem Großraumbüro und die betreffenden Abteilungsleiter nebeneinander. Mindestens einmal am Tag flogen die Fetzen; manchmal sogar so heftig, dass die zwei Dramaqueens sich zum gegenseitigen Ankeifen in den Druckerraum zurückzogen. Wir hörten trotzdem fast jedes Wort. Schön war das nicht – und vor allem unsouverän, unsachlich, unprofessionell.

Dabei, so munkelte man in alten Zeiten, wären Männer im Job ein steter Quell der rationalen Entscheidungen, Meister der Gefühlskontrolle und bedachten Schritte. Alles-im-Griff-Haber eben. Ganz anders als Frauen, deren irrationale, plötzliche Gefühlsumschwünge ebenso unerklärlich wie beruflich hinderlich wären. Es gab in den 1990ern gar einen entsprechenden Bücherboom mit schmissigen Titeln wie Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus oder Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Seufz.

Tja, doch das alles war natürlich nie und ist auch noch immer nicht so simpel schwarz-weiß, beziehungsweise blau-rosa, wie es die "Früher war alles besser"-Fraktion gern hätte. Eine Untersuchung hat beispielsweise ergeben, dass Männer im Job emotionaler sind als Frauen. Und sich entsprechend verhalten.

Hier sind Männer emotionaler

In Zusammenarbeit mit der University of Nottingham hat ein britisches Jobportal unlängst 2.000 Angestellte und 250 Vorgesetzte detailliert nach ihren Gefühlen im Job befragt – zum Beispiel, wie sie sie erleben und wie sie damit umgehen. "Unsere Befragung hat ergeben, dass Männer weitaus empfindlicher und emotionaler sind als Frauen", schreibt die Forscherin Dr. Terri Simpkin in einem dazugehörigen Blogpost.

Demnach wurden Männer mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit emotional, weil ihre Ideen nicht gehört oder sie für etwas kritisiert wurden. Ein Streit im Job machte den männlichen Befragten auch 2,5-mal so viel Sorgen wie den weiblichen. Außerdem war es sogar dreimal wahrscheinlicher, dass Männer emotional wurden, weil ihr Projekt nicht reibungslos funktioniert hat oder gestrichen wurde. Sie zeigten es allerdings weniger oder anders. Die an der Untersuchung beteiligten Frauen fühlten sich im Job hingegen deutlich stärker unter Stress als ihre männlichen Kollegen.

So unterschiedlich lernen wir, Gefühle (nicht) zu zeigen

Laut Dr. Simpkin hängt das vor allem mit einer Sache zusammen: "Männer und Frauen sind so sozialisiert, dass sie ihre Gefühle unterschiedlich ausdrücken, vor allem im Job."

Frauen zeigten laut Untersuchung im beruflichen Umfeld häufiger Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Scham und Schuld; Männer eher Wut und Stolz. Doch das liegt nicht daran, dass beide Geschlechter nun mal grundsätzlich anders fühlen würden und die Gehirne entsprechend unterschiedlich konstruiert wären.

Es liegt, neben den Auswirkungen gesellschaftlich erlernter Normen, laut Dr. Simpkin eher an den etablierten Machtstrukturen. Angst, Traurigkeit, Scham und Schuld hingen mit einem vergleichsweisen Mangel an Macht zusammen, wohingegen Wut mit Macht assoziiert würde. Anders gesagt: Wer Macht hat, kann auch mal rumbrüllen, wenn ihm*ihr die Hutschnur platzt.

"Männer zeigen im Job eher Wut als Frauen. Aber unter der Oberfläche? Da sind Frauen genau so wütend wie Männer", schreibt Dr. Simpkin.

Dass Frauen ihre Wut und Männer ihren Kummer im Job nicht offen zeigen, sondern unterdrücken, hat also mit stereotypen und einschränkenden Vorstellungen von Geschlechterrollen zu tun. Und das ist für niemanden gut.

Gefühle gehören auch im Job dazu

Nicht nur, dass Gefühle in all ihrer Bandbreite und der Umgang mit ihnen zum Kern des Menschseins gehören, der sich selbstverständlich auch im Job nicht ausknipsen lässt – emotionale Intelligenz und ein gewisses Einfühlungsvermögen sind auch berufliche Erfolgskriterien.

Denn, wir vergessen es oft: Im Job arbeiten in erster Linie Menschen mit anderen Menschen zusammen; es geht daher immer um zwischenmenschliche Interaktionen und darum, gut miteinander auszukommen. Das kann jede*r bestätigen, die*der schon mal längere Zeit in einem toxischen Umfeld arbeiten musste.

"Die Gefühle an der Tür abzugeben, ist ein Ansatz, der schon längst Vergangenheit sein sollte", schreibt auch Dr. Simpkin. "Emotionen ermöglichen uns Zusammenarbeit, Innovation und Kreativität." Das schließe auch negative Gefühle mit ein.

Insbesondere Führungskräfte sind hier gefragt, sensibel und respektvoll mit den Gefühlen ihrer Mitarbeitenden umzugehen. Das allerdings ist laut Umfrage den wenigsten bewusst – im Gegenteil. Von den 250 befragten Vorgesetzten wussten 28 Prozent nicht, wie sie mit den Gefühlen des Teams umgehen sollten, 30 Prozent betrachteten Emotionen als Zeichen von Schwäche und über die Hälfte war der Überzeugung, dass Gefühle im Job gefälligst zu unterdrücken wären. Vorschlag von Dr. Simpkin: "Vorgesetzte sollten ebenso für unser emotionales Wohlbefinden wie für unsere Arbeitsbelastung Verantwortung übernehmen."

Fühlen ist menschlich

Es ist Nonsens, im Job so zu tun, als würden Gefühle nicht existieren, als wäre emotionsloses, "hartes" Verhalten ein Zeichen von besonderer Stärke und Professionalität. Wenn am Arbeitsplatz Emotionen auftauchen – und das tun sie – gibt es laut Dr. Simpkin ein paar Tipps für den Umgang damit, die über murmelmotzen, runterschlucken und heimlich auf Klo frustheulen hinausgehen.

Dazu gehören: zulassen – also die Gefühle tatsächlich eine Zeit lang bewusst spüren. Was ist da los und warum? Bewegung – mal kurz ums Haus gehen und frische Luft schnappen, wenn möglich. Reden – sich eine Vertrauensperson suchen und den Emotionen Luft machen. All das kann helfen.

Und sollten Kolleg*innen oder Mitarbeitende im beruflichen Umfeld ihren Gefühlen Ausdruck verleihen: keine Patentlösungen vorschlagen, keinen ungefragten Rat geben, nicht runterspielen oder aufmuntern – sondern einfach nur da sein und zuhören. Vertraulich, versteht sich. Auch, wenn annehmendes Zuhören schwerer ist, als es zunächst vielleicht klingt. Lässt sich alles üben. Und lohnt sich. Denn letztlich tut das Unterdrücken von Emotionen im Job keinem Menschen, egal welchen Geschlechts, gut. Weil Fühlen nunmal zutiefst menschlich ist – und zwar für alle.