Die Germanen spielen eine wichtige Rolle in der extrem rechten Szene. Dabei beruht ihre Glorifizierung als starke Krieger auf einem Mythos, der faktisch nie existierte.
Darum stehen Rechtsextreme so auf die Germanen
Thor Steinar, eine der beliebtesten Neonazi-Modemarken, verwendet eine germanische Rune als Logo, vertreibt T-Shirts mit der Aufschrift Walhalla und Ketten mit Thorshammer als Anhänger. Rechtsextreme Bands heißen Sons of Odin oder Sleipnir, benannt nach Odins achtbeinigem Pferd. Bei einem Mitglied der kürzlich aufgedeckten rechten Terrorzelle Gruppe S wurden germanische Waffen wie Äxte und Morgensterne gefunden, ein anderer postete Fotos, die ihn als germanischen Krieger verkleidet zeigen.
Der Germanenkult ist laut Rechtsextremismusexperte Jan Raabe im überwiegenden Teil der extremen Rechten omnipräsent, auch wenn er in einigen Gruppen wie der christlichen Rechten, Teilen der Burschenschaften oder der AfD kaum Beachtung fände. Im Rechtsrock, ein wichtiges identitätsstiftendes Element der Szene, werden die Germanen häufig besungen. Ihre heldenhafte Darstellung könne für Jugendliche ein Anlass sein, sich der Szene anzunähern, so Raabe. Germanen gälten als stark, als Krieger und Helden, sie verkörperten ein bestimmtes Männlichkeitsbild, daneben flößen Gewalt- und Opferbereitschaft in den Mythos mit ein.
Wieso spricht das Rechtsextreme so an?
Der Mythos der Germanen tauchte im 19. Jahrhundert, der Zeit der Nationenbildung, auf. Über Sprache, Kultur und Mythen wurden damals Nationen definiert, die German*innen zur Grundlage der deutschen Nation erklärt. Die Nationalsozialist*innen vereinnahmten den Mythos der German*innen dann vollends von rechts. Sie erhoben die germanisch-nordische, in NS-Worten „arische Rasse“, zur überlegenen Gesellschaftsgruppe. Sie verwendeten Symbole wie germanische Runen auf den Emblemen der SS und der Hitlerjugend. Auch die germanischen Begriffe „Gau“ und „Sippe“ wurden wieder aufgegriffen, um Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu verkörpern. Der Germanenkult wird bis heute in der rechten Szene fortgeführt.
Einige Rechte fasziniert laut Raabe das Mystische, andere das Männlichkeitsideal oder die vermeintliche Überlegenheit aufgrund der Herkunft. Dabei werde die eigene Person oder Gruppe überhöht, während gleichzeitig alle anderen abgewertet würden. Davon versprächen Rechte sich Sicherheit, Orientierung sowie Zugang zu einem Kollektiv der Starken und angeblich Erfolgreichen, sagt Jan Raabe. Vor allem Menschen, die wenig offen für Vielfalt seien und autoritäre Strukturen suchten, sprächen diese Werte an, denn dabei werde allen eine klare Rolle zugeteilt. Unfreiheit würde hier mit Sicherheit verwechselt, Glaube an die vermeintlich natürliche Ordnung von Führer und Gefolgschaft legitimiere Unterdrückung und Abwertung, so Raabe.
Warum ist das Quatsch?
Die Darstellung der Germanen als Kriegshelden sei einseitig beziehungsweise ein Mythos, sagt Historiker Lars Deile. Es gab viele verschiedene Stämme jenseits des Limes, die oft gegeneinander kämpften. Die Viehzucht betreibenden Bäuer*innen gingen nur selten zur Jagd und fühlten sich nicht als Gemeinschaft. Ab und zu schlossen sie sich jedoch zusammen, um gegen die Römer*innen zu kämpfen – diese wiederum prägten den Begriff der German*innen.
Auch die rechte Vorstellung, wonach ein Volk eine Abstammungsgemeinschaft ist und im Falle der Deutschen auf die German*innen zurückgeht, ist nicht korrekt. „Die Deutschen“, die es als homogene Gruppe ohnehin nicht gibt, stammen nicht nur von den German*innen ab, sondern gleichermaßen von den Slaw*innen. Außerdem gibt es noch weitere europäische Völker mit germanischen Wurzeln. Darüber hinaus werden Nationen schon lange nicht mehr nur als Abstammungsgesellschaft, sondern etwa auch über die Staatsbürgerschaft, den dauerhaften Wohnsitz in einem Land oder gemeinsame Werte definiert.
Wo sind die German*innen geblieben?
Natürlich sind die German*innen nicht nur in rechten Kreisen beliebt. Auch im Fantasygenre und im Metal wird häufig auf germanische Motive zurückgegriffen. In der Gesamtbevölkerung scheint sich das Interesse allerdings in Grenzen zu halten. Da es bisher kaum gesichertes Wissen über die German*innen gebe, scheint dies laut Deile auch nicht verwunderlich.
Im Rahmen der 1968er-Bewegung sei das Thema aus den Lehrplänen verschwunden, da es wegen des Germanenkults der Nationalsozialist*innen als kontaminiert empfunden wurde. In sechs Bundesländern stehen die German*innen bis heute nicht auf dem Lehrplan. Dort, wo die German*innen gelehrt werden, dienen sie in der Lektion über das Römische Reich als Beispiel für Begegnungen mit anderen Kulturen. Einzig im Saarland gehe es im Unterricht um den heutigen Germanenkult und dessen Darstellung in Musik, Fantasy und der rechten Szene.
Geschichtsunterricht gegen Rechtsextremismus?
Rechtsextreme profitieren laut Lars Deile davon, dass die German*innen im Geschichtsunterricht kaum vorkommen: Da es keine Instanz gebe, die ihr Narrativ der Geschichte kontrolliert, bleibe schlussendlich die rechte Version hängen. Dadurch, dass sich institutionell wenig belegte Themen besonders leicht mit Mythen füllen lassen und sich daher als Projektionsfläche für die eigenen Bedürfnisse eignen, hält sich der German*innenmythos noch immer. In Mythen werde die komplexe Welt auf einfache Weise erklärt. Die Unschärfe dieser zauberhaften Welt erscheine einigen Menschen plausibler als die Realität, denn es gebe weniger Brüche und Gegensätze.
Die kritische Unterrichtsvariante des Saarlands eigne sich gut, um dem mystisch aufgeladenen Thema die historische Realität entgegenzusetzen, so Deile. In der Regel würden Themen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgewählt, die dann auf Schulniveau heruntergebrochen würden. Diese Inhalte seien schnell wieder vergessen. Im Saarland werde vom Alltag der Schüler*innen und den aktuellen gesellschaftlichen Problemen ausgegangen.
So könne die kultische Darstellung der German*innen ein Thema sein, mit dem Jugendliche in Musik, Filmen und Büchern in Berührung kommen. Die Hintergründe der Entstehung des jeweiligen Narrativs werden im Unterricht reflektiert. Die Schüler*innen wären somit früh gezwungen, ihre Sicht zu hinterfragen. Um zu verstehen, warum man die eine Darstellung lieber glauben möchte als die andere, benötige man die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Das sei für Schüler*innen nicht immer leicht. Aber Lars Deile meint, dass junge Menschen im Gegensatz zu Erwachsenen noch relativ offen für verschiedene Meinungen seien.
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