Die Erkenntnis trifft mich beim Facebook-Prokrastinieren aus dem Nichts, dafür aber heftig: Die aktuelle Freundin meiner ersten großen Liebe sieht aus wie seine Mutter! Gleiche Haarfarbe, gleiches Lächeln, gleiche Brille. Dann fallen mir direkt noch zwei weitere Verflossene ein, deren aktuelle Langzeitlieben an ihre Mamis erinnern. Ähnlicher Typus, ähnlicher Job, ähnlich energisch-matronenhafte Ausstrahlung.

Habe ich bisher einfach zufällig überdurchschnittlich viele Ödipale gedatet oder ist da eventuell wirklich was dran? Beim Googeln stoße ich auf eine Umfrage einer britischen Datingplattform. Und siehe da: Zwei Drittel aller heterosexuellen Männer suchen sich demnach unbewusst Partnerinnen, die ihren Müttern gleichen. Zumindest von der Persönlichkeit her.

Für die Umfrage haben Männer, ihre Partnerinnen und ihre Mütter einen detaillierten Fragebogen ausgefüllt, darin wurden unter anderem Eigenschaften wie Toleranz, Einstellung zur Monogamie und Mitgefühl abgefragt. Ergebnis: 64 Prozent der befragten Männer lieben quasi ein charakterliches Abziehbild ihrer Mama. Dabei sind sich die Persönlichkeiten der Mütter und Partnerinnen sogar noch einen Hauch ähnlicher als die der Mütter und ihrer Söhne selbst. Was zur Hölle? Das sollen mir doch mal Expert*innen erklären.

Woher kommt das mit der Mutter?

Ich frage den Münchner Psycho- und Paartherapeuten Dr. Stefan Woinoff. Er bestätigt im weitesten Sinne das Ergebnis der Umfrage und erklärt auch, was die Ursache dafür ist: "Ja, das kann ich häufig beobachten. Die Partnerinnen sind oft der Mutter ähnlich, äußerlich und besonders im Charakter. Das liegt daran, dass die erste Frau im Leben nun mal die Mutter ist. Und die Frau, die den Mann an diese ersten schönen Gefühle erinnert, hat gute Chancen, sein Herz zu gewinnen. Ähnlich verhält es sich übrigens mit Frauen und ihren Vätern."

Die Mutter ist in gewisser Weise die 'erste große Liebe' des Mannes – die erste Frau, zu der er eine Beziehung und natürlich auch körperliche Nähe hat.
Nina Deißler, Beziehungscoachin

So sieht es auch Partnersucheexpertin und Beziehungscoachin Nina Deißler: "Das machen nicht nur Männer, auch Frauen suchen sich gern Partner, die dem Vater ähneln. Die Mutter ist in gewisser Weise die 'erste große Liebe' des Mannes – die erste Frau, zu der er eine Beziehung und natürlich auch körperliche Nähe hat. Sie prägt das Bild von Frauen im Allgemeinen bei ihm." Aha, deshalb also eckige Brille, Nasenring oder Perlen. Aufschlussreich.

Nähe versus Freiheit

Keine Frage: Die Beziehung zu unseren Eltern gehört zu den ersten und wichtigsten unseres Lebens. Und wenn diese Beziehung immer heil, wundervoll und flauschig wäre, dann wäre auch alles weitgehend schick. In der Realität ist das jedoch nicht oft der Fall. Knifflig wird es vor allem dann, wenn ungelöste Kindheitskonflikte bei der Partner*innenwahl eine Rolle spielen.

"Wenn die Beziehung des Mannes zur Mutter positiv war und ist, und er als erwachsener Mann genügend von ihr abgelöst ist, dann ist eine Beziehung mit einer ähnlichen Frau meist unproblematisch", erklärt auch Dr. Woinoff. "Schwierigkeiten tauchen jedoch auf, wenn der Mann mit der Frau, die seiner Mutter ähnelt, Probleme lösen will, die er früher mit der Mutter hatte, und die er eigentlich mit der Mutter lösen sollte, aber mit ihr nicht lösen kann oder will." So eine Beziehung scheitere dann meistens früher oder später.

Dahinter könne nämlich beispielsweise das Bedürfnis stecken, endlich die Liebe zu bekommen, die als Kind gefehlt habe. Und das funktioniere eben nicht. "Die Partnerin kann und soll keine 'bessere' Mutter sein", sagt Dr. Woinoff.

Außerdem gebe es in so einer Beziehungskonstellation auch immer eine gewisse Ambivalenz – schließlich sind Eltern nicht nur die ersten Beziehungen im Leben, sondern eben auch Eltern und müssen in dieser Rolle Grenzen setzen und Regeln aufstellen.

"Die Mutter wird oft auch als die Person wahrgenommen, die die persönliche Freiheit begrenzt", erklärt Nina Deißler. "Es gibt also immer eine Art Kampf, der nicht gewonnen werden kann: einerseits der Wunsch nach Freiheit und Ablösung von der Mutter, andererseits der Wunsch nach Liebe und Geborgenheit durch die Mutter."

Die Sehnsucht nach Nähe ringt dann also ständig mit dem Bedürfnis nach Freiheit. Und das klingt in meinen Ohren nach einem hervorragenden Rezept für Krisen, Drama und toxischen Beziehungsmist. Zumindest in der Theorie.

Perlenketten? Puh, nee

Zurück zu Facebook. Mein Ex sieht ziemlich happy aus, für ihn ist das die erste feste Beziehung seit Jahren. Bei genauerer Betrachtung sind alle drei Verflossenen schon überdurchschnittlich lange mit ihren Mutti-gleichen Partnerinnen zusammen. Vielleicht ist das ja genau das, was ihnen gut tut und was sie brauchen. Ich gönne ihnen ihr Glück jedenfalls von Herzen – und bin gleichzeitig froh, dass ich nicht ihr mütterlicher Typ war. Perlenketten stehen mir nicht.

Außerdem auf ze.tt: Diese Illustrationen zeigen, wie es sich anfühlt, frisch verliebt zu sein