Puh, wo ist die Zeit nur geblieben? In der Kindheit dauerte ein Tag manchmal für immer. Mit dem Geruch von Sonnencreme, Frittierfett, Sonnenstrahlen auf halb ausgetrocknetem Gras und Chlor in der Nase. Sechs Wochen Sommerferien waren eine Ewigkeit.

Doch je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen; Tage, Wochen, Jahre fliegen vorbei, während wir von der To-do-Liste durch den Alltag gescheucht werden. Und plötzlich ist es schon wieder Weihnachten. Warum ist das so?

Bildverarbeitung im Kopf

Eine Studie der US-amerikanischen Duke University besagt: Das liegt an der Art, wie unser Gehirn Bilder verarbeitet. Oder besser gesagt: An der Geschwindigkeit, mit der das geschieht.

Klar ist: Die von außen rhythmisch ins Ohr tickende Uhrzeit stimmt nicht immer damit überein, wie wir Menschen in unserem Inneren den Verlauf von Zeit wahrnehmen. Unsere innere, gefühlte Zeit wird von Sinneseindrücken wie Bildfolgen beeinflusst, die auf unser Gehirn einwirken.

Die Tage schienen in der Jugend deshalb länger zu dauern, weil das Gehirn mehr Bilder pro Tag verarbeitete.
Adrian Bejan, Studienautor

Je älter wir werden, desto langsamer werden laut Studie Bilder vom Gehirn aufgenommen und verarbeitet. Das liege einerseits daran, dass die Neuronen- und Nervennetze reifer, größer und komplexer würden – was zu längeren Pfaden und höherer Verarbeitungsdauer führe; andererseits würden diese Bahnen aber auch altern, weshalb die elektrischen Signale mit der Zeit mehr Widerstand überwinden müssten.

Folge: Es werden weniger Bilder in der gleichen Zeit verarbeitet, also füllen weniger Erlebnisse das Gehirn – und die Zeit vergeht schneller. Mehr Bilder führen hingegen zu mehr gefühlten Erlebnissen, die gefühlte Zeit vergeht langsamer.

"Die Tage schienen in der Jugend deshalb länger zu dauern, weil das Gehirn mehr Bilder pro Tag verarbeitete", erklärt Studienautor Professor Adrian Bejan. "Es ist nicht so, dass die Erfahrungen mehr Bedeutung hatten oder tiefer gingen, sie wurden einfach im Schnellfeuer verarbeitet."

Gefühlte Zeit

Allerdings gibt es durchaus noch weitere Erklärungsansätze. Der Freiburger Psychologe und Humanbiologe Dr. Marc Wittmann befasst sich seit Jahren mit dem Thema Zeit und Wahrnehmung und hat ein Buch darüber geschrieben: Gefühlte Zeit.

Grundsätzlich ist das mit steigendem Lebensalter veränderte Zeitempfinden keine Einbildung, wie Marc Wittmann und seine Kollegin Sandra Lehnhoff in einer Studie mit knapp 500 Proband*innen zwischen 14 und 94 festgestellt haben: Je älter die Befragten waren, desto eher gaben sie an, dass die Zeit für sie inzwischen schneller vergehe.

Je mehr wir erleben und uns daran erinnern können, desto länger kommt uns die Zeitspanne später vor.

Neben der Bildverarbeitungsgeschwindigkeit im Gehirn gibt es dafür – ganz grob zusammengefasst – drei ineinandergreifende Gründe: Erinnerung, Gewöhnung, Emotionsregulation.

Erinnerung

Wie empfinden wir Zeit, wenn wir auf bestimmte Lebensphasen und Momente zurückblicken? "Je mehr Erinnerungen wir für einen Zeitraum haben, desto länger erscheint er uns im Rückblick", so Marc Wittmann.

Das passt zu der Sache mit der Bildverarbeitung. Je voller die Festplatte im Kopf, je mehr passiert ist – desto mehr Zeit veranschlagt das Gehirn dafür. Und zwar auch in der Erinnerung. Ein Wochenende nur rumliegen und netflixen wirkt ein paar Tage später zum Beispiel viel kürzer als ein Trip in eine bisher unbekannte Stadt. Obwohl es in beiden Fällen 48 Stunden waren.

Hinzukommt, dass wir mit neuen Erfahrungen bewusster umgehen, wir sind präsenter und offener. Das wiederum erhöhe laut Dr. Wittmann das Erinnerungsvermögen. Wir speichern also nicht nur mehr, sondern auch besser ab. Und auch das wirke sich auf unser Zeitempfinden im Rückblick aus.

Kindheit und Jugend sind logischerweise voll mit neuen Erfahrungen, Sinneseindrücken und ersten Malen. Ein weiterer Grund dafür, warum uns die Sommerferien in der Erinnerung so lang vorkommen.

Je älter wir werden, desto weniger signifikante Erfahrungen werden gemacht und im Gedächtnis gespeichert.
Marc Wittmann, Psychologe und Humanbiologe

Im Nachhinein prägt die Menge an unterschiedlichen Erfahrungen, die aus dem Gedächtnis für den betreffenden Zeitraum abgerufen werden, die subjektiv empfundene Dauer. Je mehr wir erleben und uns daran erinnern können, desto länger kommt uns die Zeitspanne später vor.

Gewöhnung

Wenn das Neue im Laufe des Lebens langsam zur Gewohnheit wird, schwindet dieser Effekt. An Dinge, die wir routinemäßig erledigt oder schon mehrmals erlebt haben, erinnern wir uns weniger gut.

"Je älter wir werden, desto weniger signifikante Erfahrungen werden gemacht und im Gedächtnis gespeichert", so Dr. Wittmann. "Infolgedessen beschleunigt sich die gefühlte Zeit, zumindest in der Theorie." Dafür gebe es zwar bislang noch keine empirische Datenbasis, es handele sich laut Dr. Wittmann jedoch um eine fundierte Hypothese auf Basis kürzerer Zeiträume.

Emotionsregulation

Eine weitere Rolle beim subjektiven Zeitempfinden spielt die Emotionsregulation. Laut einer weiteren Studie von Marc Wittmann und anderen fühlten sich Befragte mit höherer Emotionsregulationsfähigkeit nicht nur entspannter, weniger depressiv und gestresst – für sie verging die Zeit auch etwas langsamer.

Das hänge durchaus mit der Erinnerung zusammen. Menschen mit bewussterer Gefühlslage würden auch ihr Umfeld bewusster wahrnehmen und deshalb mehr Erfahrungen im Langzeitgedächtnis speichern. Das wiederum sorgt im Rückblick für mehr Erlebnisse und deshalb mehr vergangene gefühlte Zeit.

Ewige Sommerferien? Fast!

Auf die abnehmende Geschwindigkeit, mit der unser Gehirn Sinneseindrücke wie Bilder verarbeitet und dass uns deshalb Zeit immer kürzer vorkommt, haben wir keinen Einfluss; das gehört zum Älterwerden dazu.

Aber wir können durchaus dafür sorgen, dass wir weniger Routinen und stattdessen mehr neue Dinge erleben und gleichzeitig achtsamer dabei sind. Das bringt uns die ewigen Sommerferien zwar nicht zurück, aber so lässt sich die gefühlte Zeit zumindest ein bisschen dehnen. Und für Freibadpommes ist man nie zu alt.