Früher trafen sich im Alpendorf die Schönen und Reichen. Heute gleicht der Ort einem morbiden Bruchtal. Ein Deutscher treibt den Wandel von Bad Gastein voran, seither strömen Hipster und Lifestyle-Blogger*innen dort hin. Sie nannten es das Monte Carlo der Alpen. Die prunkvollen Belle-Époque-Bauten und Villen sind direkt in den Steilhang gebaut. Manche Gebäude stammen noch aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Ein Wasserfall prescht zwischen den hohen Häusern nach unten. Umgeben ist der Ort von atemberaubendem Alpen-Panorama. Kaiser Franz Joseph und seine Frau Sisi waren hier mehrmals im Urlaub. Liza Minnelli sang hier zu Silvester. Und Falco übernachtete hier.

Die Rede ist von Bad Gastein, ein Ort im österreichischen Bundesland Salzburg. Einst galt er als ein exklusiver Kurort für die Oberschicht und war weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt.

Ende des 19. Jahrhunderts kam die Oberschicht nach Bad Gastein, um im radonhaltigen Heilwasser zu baden und schickes Flair zu genießen. Heute erinnern an diese goldenen Zeiten nur noch die Schwarz-Weiß-Fotografien am Marktplatz. Sie zieren etwa die Fenster des leerstehenden Optikgeschäfts oder der ehemaligen Trafik. Hinter einer Absperrung blicken die Schönen und Reichen aus vergangenen Zeiten entgegen, wie der König Ibn Saud von Saudi Arabien, Schauspieler Hans Moser oder eben Falco.

Nach dem ersten und zweiten Weltkrieg setzte man in Bad Gastein auf Kassenpatient*innen und versuchte, vom Sommer- auf den Wintersport-Tourismus umzuschwenken. Das war nicht einfach, da viele Hotels und Häuser nicht mal eine Heizung besaßen. Zahlreiche Skilifte wurden gebaut, aber der Plan ging nicht auf. Hin- und hergerissen, wollte Bad Gastein vieles sein und war mit nichts so wirklich erfolgreich. Der Ort verwandelte sich immer mehr in einen verstaubten Kurort. Als die Krankenkassen dann auch noch weniger Menschen die Kur finanzierten, verlor Bad Gastein endgültig den Status eines mondänen Kurorts. Der einstige Glamour, der hier einmal in den Straßen schillerte, verflog. Der Ort fiel in einen Dornröschenschlaf.

In Bad Gastein ist die Zeit stehen geblieben

Manche Hotels wurden seit den 1970er Jahren nicht mehr renoviert, verfallen und rotten seither dahin. Das Grand Hotel de l’Europe war zum Beispiel einst eines der größten und exklusivsten Luxushotels Europas. Es erinnert mit seinen vielen Stockwerken, den Teppichböden, Kristallleuchtern und der Architektur stark an das Hotel in Wes Andersons Film Grand Budapest Hotel. Doch auch das berühmte Hotel musste 1988 Insolvenz anmelden. Seitdem wird es als Apartmentgebäude genutzt, wobei die meisten Wohnungen nicht bewohnt sind. Auch das Spielcasino im Haus zog 2015 aus. Und so stehen auch diese wunderschönen Räume seit Jahren leer.

Für einige Gebäude gibt es eine Erklärung, warum sie seit Jahrzehnten verfallen und niemand etwas dagegen tut. Der Immobilienspekulant Franz Duval kaufte Ende der 1990er Jahre und Anfang der 2000er für insgesamt fünf Millionen Euro fünf historische Gebäude im Zentrum von Bad Gastein: das Haus Austria, das Kongresshaus, das Hotel Straubinger, das Badeschloss und das Postamt. Er versprach damals, sie zu renovieren – tat das aber nie. Sein Sohn Philipp Duval erbte die Häuser 2013 und versprach ebenfalls, zu sanieren und neu zu eröffnen. Doch wieder passierte nichts. Theorien, warum die Wiener Industriellenfamilie sich sträubt, gibt es viele: Manche meinen, dass es sich um eine Art Vendetta für die Gräueltaten in der Nazizeit handele, die ihre Familie erlitten habe. Andere sagen, dass die Sanierung schlichtweg zu teuer wäre. Allein in einem Punkt sind sich alle einig: In Bad Gastein muss rasch etwas passieren, sonst stirbt der Ort vollkommen aus.

Ein Deutscher, der sich in Bad Gastein verliebte

Olaf Krohne trägt den Dalmatiner-Welpen über die Stufen am Weg entlang des Wasserfalls in Gastein. Ein zweiter Hund, der seinem Partner Jason Houzer gehört, reißt an der Leine in seiner Hand. Marken-Sneakers, schwarzes, enges Shirt, schwarze Shorts und eine große Sonnenbrille. Olaf Krohne passt eigentlich nicht in ein Dorf in den österreichischen Alpen.

Um Krohnes Geschichte zu erzählen, muss man sich an kitschigen Wendungen bedienen. Denn zwischen ihm und Bad Gastein war es Liebe auf den ersten Blick. Und ja: Bad Gastein habe sein Leben verändert. Als der Deutsche mit acht Jahren gemeinsam mit seinen Eltern erstmals den Ort besuchte, nahm ihn der Besitzer eines Hotels in seinem Jeep mit. Er raste mit ihm am Beifahrer*innensitz die kleinen, steilen Straßen des Ortes hinauf, die Lichter der Hochhäuser von Bad Gastein glitzerten und Olaf Krohne dachte sich: So muss Manhattan sein.

Krohne kommt nach dem Besuch mit seinen Eltern immer wieder nach Bad Gastein. Kurz vor dem Abitur schmeißt er die Schule, hat keinen Bock mehr. Wozu er einen Abschluss brauche, fragt er sich. Er will nicht studieren. Alles, was er will, ist nach Bad Gastein zu gehen. Ihn faszinieren die Grandhotels und die Silvestergala mit Liza Minnelli. "Ich dachte mir damals schon, Mensch, diese Hotels könnte man doch wieder aufsperren. Die Tücher von den Möbeln nehmen und wieder eröffnen. Ich wollte immer junge Leute in diese leeren Häuser und Hotels bringen", erklärt er heute.

Ich dachte mir damals schon, Mensch, diese Hotels könnte man doch wieder aufsperren. Ich wollte junge Leute in diese leeren Häuser bringen.
Olaf Krohne

Mit 19 Jahren lässt er in Hamburg alles zurück, geht nach Bad Gastein und will ein Hotel eröffnen. Er findet aber keine Immobilie. Dann will er eine Silvesterparty in einem Hotel schmeißen, verteilt Flyer in halb Deutschland, doch das Hotel brennt noch vor der Party ab. Er will die Leerflächen des Kongresshauses mit Pop-up-Stores füllen. Will alte Hotels als Büros für junge Kreative öffnen. Keiner seiner Pläne funktioniert, die Eigentümer*innen sind skeptisch: Was will dieser junge Deutsche in Bad Gastein? Sie bevorzugen den Leerstand und den schleichenden Tod des Ortes. Lieber Stillstand als Risiko. Seine Freund*innen erklären Olaf Krohne damals für verrückt. Er bleibt davon überzeugt, seinen Sehnsuchtsort gefunden zu haben: "Bad Gastein ist für mich der einzige Ort, den ich für mich auf der Welt gefunden habe, wo ich fühle, hier kann man noch etwas bewegen."

Schließlich geht er zurück nach Hamburg und eröffnet 1997 die Bar Hamburg. Sie entwickelt sich zur Szene-Bar, in der Stars ein und aus gehen. Doch auch während dieser Zeit kann er nur an Bad Gastein denken. Sein einziges Ziel: genug Kohle zu machen, um wieder nach Bad Gastein zu gehen. 2003 verkauft er die Bar und kehrt tatsächlich zurück in die kleine Stadt in den österreichischen Alpen. Krohne ist mittlerweile um die 30 und hilft beim Aufbau des Hotel Miramonte mit. Etwas später findet er dann endlich ein passendes Hotel. Er übernimmt das italienisch geführte Haus mitten im Zentrum. Mit einer großen Party zu Silvester erfüllt er sich seinen Traum und eröffnet sein eigenes Hotel — das Hotel Regina.

Bad Gastein ist das neue Berlin.
Monocle

Dieses Mal ohne Liza Minnelli, dafür aber mit vielen Künstler*innen, Musiker*innen und Szenemenschen aus Berlin und Hamburg. Durch ihn treibt es immer mehr der Großstadt-Bohème nach Bad Gastein. Auch der Entertainer Friedrich Liechtenstein, bekannt durch den Edeka-Clip Supergeil, ist bei ihm zu Gast. Er sagt später in Interviews, dass Bad Gastein der Ort sei, von dem er immer geträumt habe und widmet Bad Gastein schließlich sogar ein ganzes Album.

Einigung mit Familie Duval

2017 dann der Durchbruch: Das Land Salzburg einigt sich mit dem Erben Philipp Duval und erwirbt über einen Wachstumsfonds um knapp sechs Millionen Euro drei der Gebäude und saniert sie notdürftig. Mittlerweile hat das Land auch einen Investor vorgestellt, der die drei denkmalgeschützten Häuser Hotel Straubinger, das Postgebäude und das Badeschloss sanieren und wieder eröffnen soll. Ob dieses Mal der Plan von der Neubelebung endlich aufgeht, wird sich erst in nächster Zeit zeigen. "Derzeit hat der Investor noch Zeit, Pläne vorzustellen und beide Seiten können vom Kauf zurücktreten. Wie es wird, können wir letztendlich auch nur abwarten", sagt Krohne dazu.

Der Rückkauf der Immobilien sowie zahlreiche neue Hotels, Restaurants und Bars polieren das Image des Ortes auf. Und seitdem tut sich so einiges: Olaf Krohne und Jason Houzer übernahmen ein weiteres geschichtsträchtiges Gebäude im Ort, das Hotel Grüner Baum. Friedrich Liechtenstein startete ein Film-Happening namens Erste Vertikale in Bad Gastein. Auch ein Kunst und Kultur-Festival wurde gegründet. Am Wasserfall ist eine Kunstinstallation zu bestaunen und im angrenzenden Wald werden Yoga-Kurse abgehalten. Zwei Berliner haben die frühere Jausenstation Rudolfshöhe umgestaltet. Zwei Schwedinnen führen einen hippen Coffeeshop inklusive glutenfreier Süßigkeiten und Raw-Food-Bällchen.

"Bad Gastein ist wie Berlin nach der Wende, aber ohne Braunkohle", sagt Krohne dazu und grinst. Er weiß, dass der Vergleich etwas hinkt, da man einen Ort mit nicht mal 4.000 Einwohner*innen schwer mit einer Großstadt vergleichen kann. Aber durch die vielen Leerräume sind all die neuen Projekte erst möglich geworden. Bad Gastein ist ein kränklicher Ort, der sich seine Macken zum Markenzeichen gemacht hat und dadurch mittlerweile sogar hip wird. Das Londoner Lifestyle-Magazin Monocle schlussfolgerte sogar: "Bad Gastein ist das neue Berlin." Kein Wunder also, dass mittlerweile die US-amerikanische DJ Camea hier Urlaub macht, genauso wie die Berliner Modeblogger von Dandy Diary.

Nach Jahrzehnten des Stillstands hat Olaf Krohne jetzt aber Angst, dass es zu schnell gehen könnte: "Wir müssen aufpassen, dass uns die Haifische nicht alles wegkaufen. In Bad Gastein soll nichts Mittelmäßiges entstehen." In der Zukunft soll Bad Gastein nämlich kein Monte Carlo mehr werden, das ist ihm sehr wichtig. Bad Gastein soll weder versnobben, noch dem 08/15-Tourimus verfallen. Denn Bad Gastein hat das Potenzial, etwas ganz Besonderes zu werden. Ein Sehnsuchtsort für Kreative und überspannte Großstädter*innen, die sich nach Alpen, Panorama, klarer Luft, geschichtsträchtigen Bauten und Kleinstadt-Feeling sehnen und hier etwas Kreatives erschaffen wollen.

Friedrich Liechtenstein hat es so formuliert: "Gastein kommt mir vor wie ein merkwürdiger Ort für Geschichten zwischen Kleingeist und Größenwahn – dann auch noch komprimiert in der Vertikalen. Berlin geht in die Breite. Gastein geht in die Höhe."

Und hoffentlich entwickelt sich Bad Gastein weiter nach oben und schläft nicht wieder ein.