"Oh, das ist aber ein schöner Baum!" Mit diesem Satz wurden bei uns im Freundeskreis schon etliche legendäre Abende eingeläutet. Deshalb freue ich mich zu Weihnachten mitunter am meisten darauf, dass wieder die Zeit des Christbaumlobens gekommen ist.

Wann immer es terminlich passt, trommeln wir zur besinnlichen Jahreszeit den ganzen Sauhaufen zusammen, treffen uns am frühen Abend bei einem von uns zu Hause – und loben dann ausgiebig den Weihnachtsbaum. Wir alle tun das in einem süffisant-theatralischen Unterton, weil wir ganz genau wissen, was danach kommt: Schnaps.

Weihnachtsbäume feiern mit System – und Schwips

Denn natürlich finden wir den Baum nicht wirklich schön – also, vielleicht tun wir das schon, aber das überschwängliche Loben ist eigentlich nur ein Ritual. Es gehört einfach dazu. In Wahrheit geht es beim Christbaumloben, das sich Ende des 19. Jahrhunderts im Süden Baden-Württembergs entwickelte und sich bis ins Allgäu ausbreitete, ums Zusammensein, Spaß haben, und darum, Leute wiederzusehen, von denen man manche das ganze Jahr nicht gesehen hat.

Nach dem ersten Kurzen – meist ist das ein Obstler oder irgendein anderes hochprozentiges Teufelszeug – ziehen wir deshalb auch los, um an den Türen von Nachbar*innen, Bekannten und alten Freund*innen zu klingeln.

"Wir kommen zum Baum loben", sagen wir ihnen dann. Und weil das die magischen Worte sind und sich das im Schwabenländle so gehört, werden wir höflich hineingebeten. Drinnen stellen wir uns in der Regel im Halbreis um den Weihnachtsbaum und singen gemeinsam die erste Strophe von Oh Tannenbaum. Gesungen lobt es sich noch schöner. Und dann gibt's, ja, richtig: Schnaps. Manchmal auch Weihnachtsplätzchen oder Christstollen. Danach geht's zu Fuß zum nächsten Haus. Und zum nächsten. Und zum nächsten.

Schwäbischer Brauch – aber Weihnachtsbäume kann man in ganz Deutschland loben

Aufmerksamen Leser*innen dürfte spätestens jetzt auffallen, worauf das Ganze hinausläuft: In jedem Haus wird die Stimmung etwas ausgelassener, der Gesang schiefer, die Gastgeber*innen und wir haben mehr zu lachen, und die Gesichtsausdrücke beim Schnaps runterkippen verziehen sich irgendwann nicht mehr ganz so stark, weil die flüssigen Abartigkeiten zur Gewohnheit geworden sind.

Das geht dann so lange, bis entweder niemand mehr stehen kann oder einen geraden Ton herausbekommt oder es ganz einfach zu spät ist, noch irgendwo zu klingeln. Wir landen am sprichwörtlichen Ende häufig bei alten Kumpan*innen aus dem dörflichen Handballverein und lassen den Abend ausklingen. Natürlich am wunderschönen Weihnachtsbaum. Mit Schnaps.

Eine Theorie besagt, die Tradition habe sich wegen der sozialen Ader der Schwäb*innen etabliert, quasi um Fremden näherzukommen, mit denen man sonst nicht viel zu tun hat. Eine andere, und die dürfte vor allem Berliner*innen besser gefallen: Schwäb*innen sind so sehr mit Schaffe, Schaffe, Häuslebaua beschäftigt, dass sie das ganze Jahr keine Zeit für soziale Kontakte haben, also muss das während der Weihnachtsfeiertage passieren.

Was auch immer der Ursprung sein mag: Das schöne an solchen Traditionen ist ja, dass man sie ausleben kann oder eben nicht. Sie sind außerdem regional ungebunden. Alle könnten die Idee aufschnappen, wenn sie denn wollten. Was bedeutet: Es mag ja ein urschwäbischer Brauch sein, aber wer außerhalb Schwabens Lust auf diese Gaudi hat, der kann dieses Weihnachten ja einfach mal seine Freund*innen um sich versammeln und mit ihnen um die Häuser ziehen, um Christbäume zu loben.

Auch wenn ihr den Schnaps dabei besser selber mitbringt – über diesen Abend werdet ihr noch lange lachen, versprochen.