Philipp stammt aus Wien, Manuel lebt seit zehn Jahren in Berlin. Beide arbeiten zusammen bei ze.tt – und haben sich die Stadt des jeweils anderen durch ihre Heimatbrille angesehen.

Nicht falsch verstehen: Wir beide lieben sowohl Berlin als auch Wien. Trotzdem haben die Hauptstädte unserer Heimatländer gewisse Eigenheiten.

Achtung: Sämtliche Gemeinheiten garantiert mit liebevollem Kern. Alle Angaben ohne Gewähr.

Sauberkeit

Wien:
Geht man von den Bürgersteigen in Wien aus, könnte man meinen, in der Stadt würde weder geraucht, gegessen noch Bier getrunken. Glasscherben, Kippenstummel, Plastikmüll? Fehlanzeige. Ob Wiener*innen einfach sauberer sind oder die bessere Straßenreinigung haben – keine Ahnung. Ich würde jedenfalls, ohne zu zögern, ein Spiegelei vom Trottoir essen.

Berlin:
Hahahaha, geh bitte. Ich hätte nie gedacht, die beiden Wörter 'Berlin' und 'Sauberkeit' jemals im selben Satz zu verwenden. Wie Peter Fox schon sagte "Überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben" und recht hat er. Dazu mischen sich Kotze, Zigarettenstummel und Reste von halbzerkautem Döner. Wenn die Person, die vor mir spaziert, gleichgültig die leere Zigarettenschachtel hinter eine Regenrinne drückt, oder in der Ferne das gewohnte Geräusch einer zerberstenden Glasflasche zu hören ist, dann läuft es in Berlin. Mit Sauberkeit kann die Stadt sicher nicht punkten, was allerdings auch ihren Charakter ausmacht. Dreckiger Charme … falls es so etwas gibt: Berlin hat ihn.

Mentalität

Wien:
Entweder hat ein Tag in Wien 26 Stunden oder alle haben nur halb so viel zu tun. Es ist für alles gaaaanz viel Zeit. Stundenlang in einem Kaffeehaus sitzen und dabei ein einziges Getränk bestellen? In Wien kein Problem. Hektik scheint hier so gängig zu sein, wie Liebe für Deutschland  – sie existiert nicht.

Berlin:
Menschen Berlin haben es grundsätzlich immer eilig, zumindest bei Tageslicht (In der Nacht verändert sich die Stadt zur zeitlosen Genussmittelhölle). Kaum ist der letzte Schluck Kaffee ausgetrunken, heißt es schon zahlen und Aufbruch zum nächsten Termin. Ich möchte an dieser Stelle Balu, den Bären paraphrasieren: Probier’s verdammt nochmal mit Gemütlichkeit! Oder auf neudeutsch: Chill!

Unfreundlichkeit

Wien:
In meinen Ohren klingt selbst ein handfester Beziehungsstreit, in dem Sätze wie "Du bist so ein Arsch" fallen, wie ein "Schatz, ich liebe dich." Alles wirkt weichgeschliffen und soooo süß – bis das Gegenüber erfährt, dass man aus Deutschland kommt. Die Frage nach dem Weg wird dann mit Achselzucken und einem "Hüf da söwa" ("Hilf dir selber") beantwortet.
Berlin:

Die berüchtigte Berliner Schnauze gibt es auf jeden Fall. Frage ich jemanden auf der Straße nach dem Weg, schnauzt er mir empört "Seh ick aus wie Jesus?" entgegen. Eine Antwort, mit der ich auf keiner Ebene etwas anfangen kann. Weiß er jetzt, wo ich lang muss? Die Berliner*innen jammern sich nicht wehleidig durch den Tag – so wie die Wiener*innen das tun – sie beschweren sich. Und zwar lautstark. Mein Lieblingsspruch: "Gleich klatscht et – und zwar keen Applaus". Eine Mischung aus sehr trockenem Humor und Boshaftigkeit.

Clubkultur

Wien:
Welche Clubs? Die Handvoll, die sie haben, nennen Wiener*innen 'Clubkultur'? Offensichtlich kann man nicht gleichzeitig Weltklasse in den Disziplinen Kaffee & Kuchen und Koks & Ketamin sein. 

Berlin:
Ja okay gut, Berlin hat definitiv eine richtige Clubkultur. Wenn ich meinen Freund*innen in Wien von einer SaSoMo-Party im Sisyphos erzähle, verstehen sie Meditationswochenende in einem Yoga-Retreat. Die Berliner Clubs sperren gefühlt nie zu, und die Gestalten, die am nächsten Tag zu Mittag aus den Clubs kriechen, gleichen für Österreicher*innen einer Zombie-Show.

Ich kam kerngesund nach Berlin und ging als Wrack. – Iggy Pop

Essen & Trinken

Wien:
Es gibt eine Menge Dinge, die Wiener*innen sehr gut können: Jammern, Schimpfen und Schnitzel. Aber am besten ist: der Kaffee. Wer es schafft, sich durch die unverständlichen Bezeichnungen auf der Getränkekarte zu kämpfen (Was bitte ist ein Verlängerter?), wird man mit einem Geschmackserlebnis verwöhnt, das nichts mit dem sodbrandhervorrufenden Motorenöl vom Bäcker in Berlin zu tun hat – sondern einfach nur wunderbar schmeckt.

Berlin:

Was mir in Berlin fehlt, ist gutes Brot. Das staubige, unambitionierte Brot der unzähligen Backshops, hat den Namen gar nicht verdient. Genauso wenig wie die Backshops selbst. Was Berlin wirklich gut kann, ist Döner. Und davon haben sie auch genug. Es gibt mehr Dönerläden hier als Mülleimer und dementsprechend sieht die Stadt auch aus (siehe Punkt 1).

Kiosks

Wien:
Über die Kiosks (Trafiken) in Wien kann ich nicht viel sagen. Immer wenn ich in einen rein wollte, hatte er schon zu. Falls man es doch rechtzeitig schafft, lohnt es sich jedoch – zumindest als Raucher. Zigaretten kosten 1,5 Euro weniger als in Berlin.

Berlin:
Es ist eindeutig: Spätis sind die beste Erfindung der Welt! Ein Laden mit dem Allernötigsten (also Alkohol und Snacks), der 24 Stunden und sieben Tage die Woche geöffnet hat, ist für mich als Wiener ein riesiger Segen. Die Fähigkeit vorzuplanen, habe ich zwar verloren, aber auf meinen Stammspäti ist ohnehin immer Verlass. Mit dem Typen hinterm Tresen führe ich eine innige Beziehung, denn er kennt mich in Jogginghose und Hausschlappen, er kennt mich betrunken und aufgedunsen, und er kennt mich sehr, sehr wach. Ich habe keine Geheimnisse vor ihm, ich vertraue ihm.

Nachbarlandsliebe

Wien:
Niemand hat mir "Piefke" ins Gesicht gesagt, aber sobald ich meinen Mund aufgemacht habe, war die Reaktion "Ah, Deutscher". Gefolgt von einem milden Lächeln, das aussah als würde jemand gleichzeitig in eine Zitrone und eine Sahnetorte beißen. In Berlin schwärmen alle von Wien (so gemütlich, wunderschön und erst der Kaffee). Scheint nur so, als ob die Wiener*innen ganz gut ohne den Besuch aus Preußen zurechtkommen. Nicht, dass ihnen jemand die ganzen Käsekrainer wegisst.

Berlin:
Als Ösi habe ich in Berlin einen absoluten Bonus. Berliner*innen mögen Wiener*innen – auf eine bemitleidenswerte Art und Weise. Mir soll es recht sein. Sie finden Dinge witzig, die ich nicht witzig meine, und verstehen mich immer erst beim zweiten Mal. Manchmal bekomme ich gratis Brötchen beim Bäcker oder zahle weniger beim Friseur. Streng genommen könnte man das auch als positiven Rassismus bezeichnen, aber soweit möchte ich nicht gehen. Ich genieße es, danke an alle.