Das Fusion-Festival kannte ich bereits während des Studiums, wegen der gähnend leeren Uni-Kurse. Ein Großteil der Studierenden pilgerte jedes Jahr zu dem Festival nahe des Müritzsees. Für mich war das ein Rätsel. Warum sollte man sich freiwillig unter so viele Menschen begeben, die sich abschießen, in der Wildnis campen und sich tagelang von Musik beschallen lassen? 70.000 Menschen auf einer großen Party: Das klang für mich eher wie ein Horrortrip – bis ich mir vergangenes Jahr ein eigenes Bild von der Fusion machte und sich mir eine kleine neue, wundervolle Welt eröffnete.

Dieses Jahr könnte sich die Fusion drastisch wandeln. Die Polizei plant, Präsenz direkt auf dem Festivalgelände zu zeigen, statt wie bislang um das Festivalgelände herum. Zurzeit läuft das Verwaltungsverfahren im Amt Röbel-Müritz. Das Polizeipräsidium Neubrandenburg habe Bedenken zu dem vorgelegten Sicherheitskonzept geäußert, teilte die Polizei Neubrandenburg mit. Es entspräche nicht den bundesweiten Sicherheitsstandards.

Laut der Veranstalter*innen habe sich konzeptionell allerdings wenig verändert: Die Besucher*innenzahl sei konstant geblieben und auch baulich habe sich wenig geändert. In den vergangenen Jahren war es zu keinen größeren Problemen mit der Genehmigung gekommen. Laut Kulturkosmos sei die Frage der Sicherheit nur ein Vorwand. Auf der Webseite beziehen die Veranstalter*innen Stellung: "Es geht der Polizei um die Durchsetzung ihrer Forderung nach Errichtung einer Polizeiwache mitten auf dem Festivalgelände sowie nach anlassloser, polizeilicher Bestreifung und Kontrolle der Kulturveranstaltung Fusion Festival."

Eine Pause von dem Druck im Alltag, von den Existenzängsten oder Geldsorgen

Aber wie sieht es wirklich auf dem Festival aus? Ist es unsicher? Nachdem ich bis Ende Zwanzig nie auf einem Festival war, gelang es einem guten Freund, mich zur Fusion zu überreden. Ich bekam sein Best-Friend-Ticket, denn er war in eine der Crews mit eingebunden. Ich wäre sonst nie hingefahren.

Ich kam an einem Freitag an, das Festival lief seit Mittwoch. Wir liefen über das Gelände, es war ein langer Spaziergang. Vorbei an Menschen, die gemütlich von einem Ort zum anderen flanierten, vorbei an kleinen Kiosken, Imbissbuden, Bühnen, Ausstellungen und Performances, vorbei an bunt geschminkten Leuten, vorbei an Menschen in Paillettenjacken und Pikachu-Onesies, und am Ende standen besagter Freund und ich auf einem kleinen Hügel: Vor uns erstreckte sich eine richtige Stadt. Ein Vorort aus Zelten um die Hauptstadt aus Bühnen. Es war atemberaubend. Über allem lag eine friedliche Heiterkeit und Zwanglosigkeit: Alles kann, nichts muss.

Während ich zugedrogte und besoffene Menschen erwartete, die mich anpöbeln oder die mir zu viel sein würden, fand ich etwas anderes: ein kleines Paradies von Achtsamkeit und Liebe – herausgefallen aus der Zeit und unserem hektischen Leben. Abgeschnitten von der Außenwelt und ohne Handyempfang ist die Fusion eine Pause von dem Druck im Alltag, von den Existenzängsten oder Geldsorgen. Einige Tage ist man vor allem auf eins zurückgeworfen: auf den Moment im Hier und Jetzt miteinander. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, die enge Freund*innen geworden sind. Ich habe zufällig meine Lieblingssängerin meinen Lieblingssong singen hören, mitten in der Nacht in einem Zelt. Yasmine Hamdan löste sich in Farben auf und fügte sich wieder zusammen, während sie ihren Song Hal sang. Ich fühlte mich verbunden mit dem Universum, mit mir und dem Mann neben mir, dem genauso Tränen der Rührung über die Wangen kullerten. Jetzt, ein Jahr später, sind wir gute Freund*innen.

So viel Hilfsbereitschaft und Liebe zueinander habe ich an keinem anderen Ort in dieser Tiefe erlebt.

In drei Tagen Fusion habe ich vor allem eins erlebt: wie Menschen sich umeinander kümmern. Von Gewaltbereitschaft keine Spur. Laut Veranstalter*innen sind rund 10.000 der 70.000 Festival-Besucher*innen auch Mitarbeiter*innen. Das führt dazu, dass die Menschen aufeinander und die Umgebung, die sie formen, achten. Gibt es Auseinandersetzungen, wird jemand geholt, um die Angelegenheit friedlich zu schlichten. Geht es jemandem schlecht, gibt es sowohl Sanitäter*innen als auch einen ruhigen Ort, um sich von einem schlechten Trip zu erholen. So viel Hilfsbereitschaft und Liebe zueinander habe ich an keinem anderen Ort in dieser Tiefe erlebt. Auch nach der Fusion ist für mich viel davon geblieben, von den tiefen Freundschaften, die ich dort geformt habe, bishin zu den Unterhaltungen und Drogenreisen, die mein Leben nachhaltig froher und angstbefreiter gemacht haben.

Ich verstehe zu einem Teil auch die Sicht der Polizei. Natürlich sind einige der kursierenden Substanzen nach dem Gesetz illegal. Ich finde auch Kontrollen rund um das Gelände durchaus in Ordnung. Es ist immens gefährlich, unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zu fahren. Auf der anderen Seite ist die Drogenpolitik auch nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung: Substanzen wie Marihuana, Zauberpilze, LSD, MDMA oder auch Ketamin haben eine Menge positiver Effekte auf die Psyche, wie man inzwischen weiß. MDMA erleichtert die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse, Ketamin kann Depressionen lindern. Das schafft Raum und Zeit, sich Ängsten zu stellen, wie man es sonst nicht könnte. Expert*innen zufolge sind psychogene Drogen sogar weniger gefährlich als legale erhältliche Substanzen wie Zigaretten oder Alkohol. Solange die aktuelle Gesetzeslage nicht mit aktueller Forschung übereinstimmt, braucht es Orte wie das Fusion-Festival, frei von jeder polizeilichen Kontrolle, umso dringender. Es braucht Aufklärung im Umgang mit Substanzen – keine Kriminalisierung.

Außerdem auf ze.tt: Wenn du schon Drogen nimmst, dann so

Dennoch: Diese Insel jenseits aller Sorgen und Nöte ist für viele Menschen, die dort jedes Jahr anreisen, eine essenzielle Reise in das eigene Ich, jenseits aller Verpflichtungen. Aus allen Ländern der Welt finden sich Leute auf dem Festival zusammen. Für die Gründerin des Kollektivs arab*underground Jamila Al-Yousef ist die Fusion vor allem ein Ort von Vertrauen statt Angst. Deshalb ist sie entschieden gegen die Polizeipräsenz auf dem Festival. Al-Yousef ist maßgeblich mit daran beteiligt, interdisziplinäre Programme mit Künstler*innen und Aktivist*innen aus Ländern wie Saudi-Arabien, Palästina oder Ägypten zu organisieren. Oft bringen diese Menschen schlechte Erfahrungen mit totalitären Systemen mit, fühlen sich unsicher in der Gegenwart bewaffneter Polizei oder Uniformierung. Wenn sie das erste Mal auf der Fusion sind, können sie sich in einer Weise ohne Sorgen frei bewegen, wie sie es nicht kennen. Das ist ein unglaubliches Geschenk. Die Anwesenheit von uniformierter Polizei würde genau dieses Freiheitsgefühl zerstören.

Zu keinem Zeitpunkt habe ich mich unsicher gefühlt oder eine gewaltbereite Situation erlebt. Bei der geplanten Polizeipräsenz scheint es wirklich vor allem um eins zu gehen: um Kontrolle, Macht und Überwachung seitens der Behörden. Die Fusion ist seit 20 Jahren ein friedlicher Ort, ohne die Polizei. Das soll so bleiben.

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