In der Kindheit gemachte Erfahrungen wirken sich oft bis weit ins Erwachsenenalter aus. Vor allem eine negative Kindheit kann uns ein Leben lang prägen. Die engste Bezugsperson im frühen Kindesalter hat dabei eine enorme Verantwortung. Wir alle haben ein Bedürfnis nach Bindung. Durch eine Elternfigur lernen wir zu verstehen, dass wir nicht alleine sind, sondern immer jemand da ist. Dass es jemanden gibt, dem*der wir vertrauen und von dem*der wir Hilfe erwarten können, wenn wir sie brauchen. Durch sie lernen wir, Kontakt mit anderen in unserer Gesellschaft aufzunehmen und unsere Emotionen und Affekte zu kontrollieren.

Wird jemandem die Nähe und Zuwendung einer Elternfigur über einen längeren Zeitraum verwehrt, kann das Folgen haben und im schlimmsten Fall zu psychischen Erkrankungen führen: Persönlichkeitsstörungen, Ängste, Depressionen. Manche sehnen sich intensiv nach Nähe, andere leiden unter ständiger Anspannung oder werten sich selbst ab. Es gibt Erwachsene, die destruktiv handeln oder sich vor sich selbst ekeln, weil ihnen in ihrer Kindheit etwas widerfahren ist.

Vor allem in den ersten fünf Lebensjahren ist ein Kind seinen engsten Bezugspersonen völlig ausgeliefert. Nähe und Distanz in der Kindheit, der Erziehungsstil, die Vorbildfunktion sind Faktoren, die den späteren Lebensweg bestimmen können: Ist der Vater streng und verbissen, alkoholkrank, gewalttätig, krank? Ist die Mutter depressiv, ehrgeizig, gestresst, laut? Streiten sie oft, wenden sie sich den Geschwistern ungleich zu, gibt es strenge Rituale oder zu viel Spontanität? Wird in der Familie gemeinsam gegessen, gelacht, gestritten, gespielt, in den Urlaub gefahren?

Schlechte Kindheitserfahrungen haben wiederum nicht zwangsläufig schlechte Auswirkungen im Erwachsenenalter. Wir können eine negative Kindheit genauso unbeschadet überstehen. Wir wollten von ze.tt-Leser*innen wissen, was sie darüber denken. Habt ihr in eurer Kindheit etwas vermisst? Hätten eure Eltern etwas besser machen können?

Hier sind eure Antworten:

"Eltern, die ein Kind wollten und in der Lage gewesen wären, es mit Liebe und Empathie großzuziehen, wären ein Hit gewesen."

"Ich hätte gerne gelernt, dass Fehler und Scheitern sein dürfen, ohne Repressalien fürchten zu müssen und dass ich auch ohne Leistung Aufmerksamkeit, Zuwendung und Respekt verdiene."

"In meiner Familie gab es Personal, aber keine menschliche Nähe. Heute tue ich mich schwer damit, Nähe überhaupt zuzulassen."

"Unsere Eltern erzogen uns zu absoluter Perfektion. Alles, was keine 1 in der Schule war, wurde kritisiert und hinterfragt. Federführend war meine Mutter – allerdings hat sich nach ihrem Tod nicht viel verändert. Unser Vater kann sehr selten Lob aussprechen, ein Bachelorabschluss wird mit einem Daumenhoch bei Whatsapp kommentiert und die Zusage über einen Job führt zu der Frage, ob nicht ein anderer Job besser wäre oder ob man nicht etwas von der anderen Arbeitsstelle gehört hätte, wo man mehr verdient. Wir wurden nicht lieblos erzogen, unser Vater würde alles für uns tun, aber ich würde meine Kinder sehr viel mehr loben und auch bei einer schlechten Note zeigen, wie sehr ich sie liebe."

"Ich wünschte, es wäre mehr Lob ausgesprochen worden. Heute brauche ich für alles Zustimmung und Lob, wenn ich etwas gut gemacht habe, damit ich mich nicht wertlos fühle."

"Ich war in meiner Schulzeit total überfordert vom Leistungsdruck. Ich hatte viermal pro Woche jeweils zwei Stunden Nachhilfe, danach noch die Hausaufgaben zu machen, war nervlich nicht mehr möglich. Dann kamen immer die Mahnungsbriefe. Und mein Dad hat mich so sehr angeschrien, dass ich zusammengeklappt bin und ins Krankenhaus musste. Und es wurde nicht besser."

Meine Eltern hätten mir beibringen müssen, Nein zu sagen. Auch zu Menschen, die ich mag.

"Mein Vater hat mich nie gesehen, außer ich habe gute Leistungen erbracht. Zehn Jahre habe ich mich abgekämpft, um immer bessere Abschlüsse und Positionen zu erreichen. Erst eine Therapie öffnete mir die Augen. Ich hätte mir gewünscht, in meiner Kindheit und Jugend, auch ohne eine Leistung erbracht zu haben, wahrgenommen zu werden. Ich habe immer das Gefühl, nicht zu genügen, nicht wahrgenommen zu werden."

"Ich würde gerne besser mit Geld umgehen können."

"Ich hatte immer das Gefühl, zur Last zu fallen, zu viel zu sein, nicht richtig zu sein. Mehr Bedürfnisorientiertheit, mehr Liebe, Zuneigung, weniger Strenge, weniger Enttäuschtheit, Akzeptanz meiner Person als vollwertiges Mitglied, nicht als 'So lange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, ...' Vielleicht fiele mir das dann auch bei meinem Kind leichter."

"Die Gewalt und die permanente Ablehnung, die mich bis ins Erwachsenenleben begleitet haben und mein Leben durch eine verzerrte Wahrnehmung der Dinge zur Hölle gemacht haben."

"Ich wünschte, meine Eltern hätten mir nicht so viel Scham mit auf den Weg gegeben. Bei uns wurde nie über intime Themen oder über Gefühle gesprochen. Das führte bei mir dazu, dass super viele eigentlich völlig normale Dinge sehr stark mit Scham behaftet waren. War ein ordentliches Stück Arbeit, sich später da wieder rauszuarbeiten. Gewisse Dinge fallen mir bis heute schwer."

"Immer, wenn ich was falsch gemacht habe, bekam ich Strafe mit dem Gürtel, anstatt mir zu sagen, was ich falsch gemacht habe. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen."

"Ich wünschte, meine Mutter hätte mir beigebracht, dass ich mich wehren soll, wenn ein Mann übergriffig wird, und dass es unrecht ist. Stattdessen hat sie mir vermittelt, dass es ganz natürlich wäre, dass Männer ihre Gelüste nicht kontrollieren können und ich dann einfach sagen solle, ich hätte einen Freund. Noch heute kann ich nicht selbstbewusst in solchen Situationen reagieren."

"Ich wäre gerne als starker Mensch erzogen worden. Meine Eltern sind Kriegskinder und Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges. Mir wurde vorgelebt, dass man sein Leben nicht aktiv bestimmen kann und sich nicht wehren darf, um nicht aufzufallen. Das hat mir sehr geschadet."

Bei uns wurde nie über intime Themen oder über Gefühle gesprochen.

"Ich würde mir im Nachhinein wünschen, dass mehr Liebe und Ruhe geherrscht hätte. Meine Erziehung war sehr streng und außer meiner Mutter gab es keine Bezugsperson, und ich weiß heute, dass ich eine solche echt gebraucht hätte. Denn ich wurde sehr häufig gedemütigt, angeschrien und abgewertet, sodass es mein heutiges Denken noch stark beeinträchtigt. Lob, Anerkennung und bedingungslose Akzeptanz – auch abseits von erbrachter Leistung – hätten es mir vielleicht leichter gemacht, mich selbst zu lieben."

"Ich hätte mir mehr Anerkennung für das gewünscht, das ich tatsächlich geleistet habe und nicht nur dann, wenn ich mich mal hübsch gemacht habe."

"Wann immer ich einen Fehler gemacht habe, wurde ich von meinem Vater angeschrien oder vor der Familie erniedrigt. Erst spät erkannte ich, dass das aus der Erziehung meiner Großeltern resultierte. Statt Spott oder Wut lieber Hilfe."

"Meine Mutter hat manisch-depressive Phasen und war in Behandlung. Wenn ich das damals gewusst hätte und es mir jemand erklärt hätte, wäre meine Teeniezeit um einiges leichter gewesen. Ich hätte die Chance gehabt, sie zu verstehen und ihre Phasen nicht auf mein Verhalten zu beziehen. So war es sehr konflikthaltig und wir mussten uns über Jahre ein neues Verhältnis erarbeiten."

"Mein Vater hat mir immer gesagt, dass meine Unterhosen ekelig sind und ich Slipeinlagen tragen soll. Da ich es nicht gemacht habe, weil ich es komisch und unangenehm fand, immer so etwas wie eine Windel zu tragen, haben wir irgendwann getrennt gewaschen. Ich bin eine Frau, und das ist ganz normaler Ausfluss. Aber es hat mein Bild von meinem Geschlechtsteil als etwas Schmutziges geprägt. Es hat wirklich lange gebraucht, sich bewusst zu machen, dass er das Problem war und nicht ich."

"Ich wünschte, meine Eltern hätten mir nicht immer wieder gesagt, dass Wut, Trauer, et cetera etwas ist, das man anderen nicht zeigt. Heute verdränge ich alle negativen Emotionen und leide deshalb unter Schlafstörungen und anderen gesundheitlichen Problemen."

"Bei Geschwisterstreit beide Seiten angehört und nicht nur die Jüngere und eigene Ängste nicht auf die Kinder übertragen."

"Zwei Dinge: Ich hätte gern Freude an körperlicher Bewegung vermittelt bekommen statt Angst davor. Und ich hätte gern erklärt bekommen, wie man etwas Neues lernt. Beides konnten meine Eltern nicht, ich habe es viel zu spät selbst herausfinden müssen."

Ich wünschte, es wäre mehr Lob ausgesprochen worden.

"Meine Mutter war voller Liebe, aber ohne jede Struktur. Sie gab sich und auch uns als Kinder mit Anfang 30 auf und verfiel in eine nie endende Depression. Mein Vater, der erst später auf den Plan kam, versuchte mit militärischem Drill und ohne Verständnis eine Struktur des Funktionierens zu schaffen. Meine Schwester ist daran zerbrochen. Ich hatte Angst vor ihm und wurde auch mit Geräten geschlagen. Beide haben alles falsch gemacht. Aber die Liebe liegt bei der Mutter. Hätte sie nur mehr Mut zum Leben gehabt."

"Ich war als Kind zu dick (Überraschung: Ich bin es heute noch). Meine Eltern haben mir nie gezeigt, was ich anders machen muss, oder mir gesunde Ernährung gezeigt, oder wenigstens mir Süßigkeiten und Fast Food vorenthalten, nein, sie haben immer nur gesagt: 'Du wirst immer fetter und fetter'. Ich wünschte, sie hätten mir einfach beigebracht, was ich anders machen muss, wie ich es besser machen kann. Ich wünschte, sie hätten sich dafür interessiert, wie es mir geht, wenn sie so mit mir reden, oder hätten sich wenigstens Gedanken um meine körperliche Gesundheit gemacht, wenn schon nicht um meine Seelische."

"Ich wünschte, meine Mutter hätte mich nicht zum Lügen erzogen. Der Satz 'Papa kann alles essen, aber nicht alles wissen' war ihr Leitspruch. Von einem Nachmittag im Eiscafé, obwohl das Geld knapp war, über eine 4 in Französisch bis hin zu der Zeit, als ich mit sieben ihr Alibi war, wenn sie zu ihrer Affäre gefahren ist. Ich kann bis heute noch nicht richtig ehrlich sein, sondern versuche, die bequeme Lüge sogar bei unwichtigen Kleinigkeiten vorzuziehen."