Ich konnte ein Dreivierteljahr lang zusehen, wie er in sich zusammenfiel. Selbst nach seinem Urlaub war mein einst schwungvoller Kommilitone nur noch ein augenberingter Schatten seiner selbst. Schuld daran? Sein Job. "Weißt du, Jess", sagte er neulich in der U-Bahn zu mir. "Ich glaube, das ist alles nicht gut für meine seelische Gesundheit." Ich nahm ihn in den Arm.

Neben dem Teilzeitstudium knüppelte er bis zu 50 Stunden die Woche unter Dauerbeschallung in einem Arbeitsumfeld, das er schon häufig "toxisch" genannt hat. Passiv-aggressive Manipulation, emotionale Erpressung, miserable Führung. Und eben unfassbare Arbeitszeiten. Ja, stressige Phasen sind okay, schlechte Tage kommen vor. Aber wenn im Job dauerhaft die Seele leidet, dann stimmt was nicht, dann muss was anders werden.

Mein Kommilitone ist beileibe kein Einzelfall. Unlängst postete der kanadische Game-Designer Osama Dorias auf Twitter einen Thread, in dem er über toxische Arbeitsumfelder aufklärte und unter dem Menschen ihre Erfahrungen teilten.

Was macht ein Umfeld im Job toxisch?

Grob zusammengefasst: Alles, was dich im Job auf Dauer körperlich oder seelisch beeinträchtigt und außerhalb deiner Kontrolle liegt, kann als toxisches Umfeld gelten. Dabei reicht die Bandbreite von inkompetenter Führung über ätzende Kolleg*innen und schädlicher Kultur bis zu zermürbenden Strukturen.

Auf Führungsebene kann das zum Beispiel von Ignoranz bis Anschreien gehen. Ein*e Vorgesetzte*r, der*die nicht reagiert und die Mitarbeitenden nicht wertschätzt, nicht kommuniziert, sich in Micro-Management verliert, der*die nicht unterstützend anleitet und keinen Raum zur Weiterentwicklung gibt und so die Leute kleinhält, ist ähnlich schlimm wie ein*e ausgemacht*e Choleriker*in, der*die mit Wutanfällen Angst und Schrecken verbreitet.

Kolleg*innen, die bewusst Informationen vorenthalten, die ständig tratschen, ihren Job nicht ernstnehmen, die sich respektlos oder herablassend verhalten und untereinander Schuldzuweisungen machen, führen zu einem Hauch von Feindseligkeit in den Bürofluren. Das zehrt an den Nerven und macht langfristig krank.

Doch auch die gesamte Struktur kann zu einem toxischen Umfeld beitragen. Wenn beispielsweise harsch und herablassend kritisiert wird und sich niemand traut, irgendwas zu sagen. Wenn Angestellte gegeneinander aufgestachelt oder auch zur gemeinsamen Gruppenmittagspause genötigt werden. Wenn Erwartungen und Regeln nicht transparent und verlässlich sind.

Überstund‘ ist ungesund

Und natürlich der Klassiker: Schuften bis zum Umfallen. Wenn das Arbeitsaufkommen vollkommen wahnsinnig und selbst mit Überstunden nicht zu schaffen ist, Arbeitszeiten nicht respektiert werden – dauerhafte Erreichbarkeit ohne geistig-emotionales Abschalten ist ungesund. Wenn dann auch noch die Ziele so hoch gesetzt werden, dass sie keinesfalls erreichbar sind, führt das zu unnötiger Erschöpfung. Deine Work-Life-Balance gerät außer Kontrolle.

Dann hast du morgens Bauchweh, kannst kaum noch schlafen, hast weniger oder übertrieben viel Appetit oder wirst immer wieder krank. Deine Freund*innen und deine Familie bemerken Veränderungen in deinem Verhalten. Du wirst von Selbstzweifeln geplagt, die du nicht mehr los wirst. Und du hast Augenringe, in denen kleine Vögelchen nisten könnten.

All das kann dich langfristig richtig krank machen – Magengeschwüre, Depressionen, Angstzustände, Burn-out und so weiter. Logisch, dass das nicht ewig so laufen kann. Doch der Ausstieg aus einem toxischen Umfeld im Job ist oft nicht so einfach.

Was du gegen ein toxisches Umfeld im Job tun kannst

"Zuerst muss man sich klarmachen, was es genau ist, was man so nicht weiter hinnehmen will", erklärt die Berliner Karriereberaterin Petra Barsch. "Als nächstes gilt es, sich zu überlegen, wie das Thema gelöst werden kann und dann mit einem Vorschlag, einer Haltung oder einer Forderung ins Gespräch zu gehen."

Auch wenn der Gedanke unangenehm erscheint: Ohne Reden geht es nicht. Und das trifft auf Vorgesetzte und Kolleg*innen gleichermaßen zu. Laut Petra Barsch kannst du in freundlichem Ton auch dem*der Chef*in deutlich machen, dass du erwartest, minimal respektvoll und höflich behandelt zu werden. "Eventuell eine unbeteiligte Person hinzuziehen – also zum Beispiel den Betriebsrat oder Personalrat", rät Barsch. Dann fühlst du dich nicht in die Enge getrieben, hast Unterstützung und im Zweifelsfall rechtliche Absicherung.

Veränderung geht auch von unten

Auch Strukturen können hinterfragt werden. Petra Barsch rät, dass du dir konkrete Lösungen für bestimmte Probleme überlegst und mit diesen Forderungen und Vorschlägen zu deinen Vorgesetzten gehst. "Arbeitszeiten können reduziert werden, Strukturen können auch von untern verändert werden. Hier höre ich oft: Darf man das? Ja, unbedingt. Ansprechen, Vorschläge machen, Prioritäten setzen."

Damit allerdings solltest du laut der Karriereberaterin nicht zu lange warten: "Was sich einmal festgesetzt hat, ist schwer zu ändern. Wenn jemand jede Woche über Monate oder Jahre hinweg Überstunden macht und plötzlich kommt und sagt 'Mach ich nicht mehr', dann wird das negativer aufgenommen, als wenn man dem schnellstmöglich einen Riegel vorschiebt."

Ciao, toxisches Umfeld!

Selbstverständlich kannst du dir auch einen Ausgleich schaffen, dir privat ein unterstützendes Netzwerk aufbauen, auf deine Bedürfnisse achten – machen, was gut tut. Doch wenn die Situation zu festgefahren ist, hilft manchmal nur eine Kündigung – auch, wenn das nicht leicht ist, weil die Existenz daran hängt. Notfalls tut es möglicherweise auch ein Übergangsjob. Und ganz Schlaue haben sich vorab ein winziges finanzielles Pölsterchen zugelegt, das zumindest drei Monate Lebenshaltungskosten trägt.

Auch mein Kommilitone hat seinen Job gekündigt. Er hat zwar immer noch Augenringe, aber darin könnten keine Vögelchen mehr nisten. Und er lächelt wieder. Naja, eigentlich hat er sogar ziemlich laut gelacht, als er sagte: "Die sind aus allen Wolken gefallen. 'Warum kündigst du denn? Du hast es doch so gut hier!'"