Man kann nicht Luther feiern, ohne Luther zu sein. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) plante unzählige Veranstaltungen, sammelte Millionenbeträge an Steuergeld ein, versprach vollmundig riesige Besucher*innenzahlen und keine*r kam. Dem ganzen Scheitern liegt ein simpler Denkfehler zu Grunde: Man lädt ein, Luther zu treffen. Aber wenn man kommt, ist er nicht da. Das ist der zentrale Unterschied zu den erfolgreichen katholischen Großveranstaltungen. Dort lädt der Papst zum Weltjugendtag. Man fährt hin und der Papst ist da. Luther aber ist tot.

Das Reformationsjubiläum war und ist zum Scheitern verdammt. Man lädt zu Luther ein. Man fährt hin und Landesbischof Bedford-Strohm ist da. Das interessiert national schon wenige, international keine*n. Hätte man wissen können.

Luther war Popstar

Luther ist eine der größten Persönlichkeiten der Geschichte; Held und Arschloch zugleich. Er war herrisch, starrsinnig, mediengeil und über alle Maßen streitsüchtig und besserwisserisch. Genau diese allesamt unangenehmen Eigenschaften machen seinen Erfolg aus. Keine dieser Eigenschaften hat die evangelische Kirche von heute in ihrer DNA. Sie ist brav, langweilig, staatstragend. Sie hat nichts von Amy Winehouse und Justin Bieber, nichts von Charlie Sheen oder Michael Jackson. Keine Drogen, keine Exzesse, keine Schlagzeilen.

Luther ist eine der größten Persönlichkeiten der Geschichte; Held und Arschloch zugleich. Er war herrisch, starrsinnig, mediengeil und über alle Maßen streitsüchtig und besserwisserisch."

Einzig Margot Käßmann bringt einen Hauch von abgefucktem Starappeal durch ihre längst verjährte Alkoholfahrt mit – aber reicht das wirklich, um die Massen zu begeistern? Zumindest wo sie auftritt, ist die Bude voll. Sie macht es eben richtig – grob wie Luther: viele Fans und noch mehr Feinde.

Dass der heutige angepasste Protestantismus mit dem Aggro-Luther nichts mehr gemeinsam hat, ist eine Binsenweisheit. Nur wie man trotz dieser allgemein bekannten Tatsache eine solche Fehlplanung wie das Reformationsjubiläum an den Tag legen kann, ist für mich ein Rätsel. Es ist doch im Grunde ganz simpel: Es ist vollkommen okay, wenn man sich als Organisation von seinem Gründer emanzipiert. Dann nimmt man ein Jubiläum aber auch nur zum Anlass, um irgendwo einen Gedenkstein zu enthüllen und ein paar warme Worte zu verlieren in denen man auch deutlich macht, dass man sich heute in einer kritischen Distanz befindet. Dazu kommen ein paar hundert Leute. Obendrauf ein Gottesdienst, möglichst ökumenisch als Zeichen der Versöhnung – reicht.

Reformationsjubiläum hätte großer Wurf werden können

Man wollte mehr mit diesem Reformationsjubiläum, vielleicht zu Recht. Manch eine*r träumte gar von einer Neuevangelisierung Ostdeutschlands im Zuge des Lutherjahres. Ganz ehrlich, schöne Idee, aber doch nicht mit ein paar hundert Diskussionsrunden, ein bisschen Bibelteilen, dem einen oder anderen Gottesdienst mit langweiligen Predigten, ein paar lächerlichen Infozelten und einem Museum irgendwo in der Provinz in Sachsen-Anhalt namens Wittenberg. Wenn man mehr will, muss man auch mehr wagen!

Wie wäre es gewesen, ein Reformationsjahr zu feiern unter dem Motto: Sei wie Luther!“

Wie wäre es gewesen, ein paar von Luthers Eigenschaften ins Hier und Jetzt zu übertragen? Wie wäre es gewesen, ein Reformationsjahr zu feiern unter dem Motto: Sei wie Luther!

1. Streitsüchtig

Diesem ganzen Reformationsjubiläum hätte ein*e Gegner*in gut getan. Selbstredend ist dies im Jahr 2017 nicht mehr der Papst. Aber wie wäre es mit Atheist*innen gewesen? Oder mit unserer Bundeskanzlerin? Der AfD? Oder Horst Seehofer? Donald Trump? Oder wem auch immer. Hauptsache ein*e Gegner*in – Luther hat sich schließlich auch immerfort Gegner*innen gesucht.

Ein Gegenpart motiviert zur kreativen Aktion. Man weiß, wogegen man antritt. Weiß, gegen wen man gewinnen will. Es entsteht Dynamik, weil ein*e Gegner*in sich bewegt. Wie geil wäre es gewesen, wenn die evangelische Kirche Thesen zur CSU-Flüchtlingspolitik mit einem Hochleistungsbeamer auf jedes CSU-geführte Ministerium projiziert hätte? Wenn sie nicht aufgehört hätte, Horst Seehofer, Scheuer, Dobrindt und Soeder auf den Sack zu gehen.

Wie stark wäre man medial beachtet worden, wenn das evangelische Jugendwerk das Maritim-Hotel in Köln während des AfD-Bundesparteitages mit Bibeln gestürmt hätte? Wie großartig wäre es gewesen, wenn man zum G20-Gipfel 20 bedruckte Zeppeline mit Thesen darauf Richtung Elbphilharmonie hätte fliegen lassen, statt den aufmerksamkeitsstarken Protest den Randalierer*innen zu überlassen? Wie gut hätte es mit Mut zur Streitsucht werden können?

2. Mediengeil

Der Protestantismus hat den Kampf mit Karikaturen erfunden. Mit einem*r ordentlichen Gegner*in und dem Mut zur Konfrontation hätte die evangelische Kirche ein Jahr lang einen Karikaturenstreit vom Zaun brechen können, der sich gewaschen hat. Statt langweiliger Luther2017-Staunen-Entdecken-Jubeln-Plakate an den Bahnhöfen mal etwas plakatieren, was wirklich provoziert: Wer Flüchtlingen nicht hilft, dem gnade Gott.

3. Starrsinnig

Wenn die Kirche in der Nachfolge von Jesus Christus und Martin Luther wirklich an die Macht der heiligen Schrift glaubt, dann stellt euch verdammt noch mal auf die Straßen und verkündet sie. Man lädt nicht in eine Kirche ein und hofft, das Kirchenferne kommen, sondern man stellt sich mitten auf die Plätze. Mit einem Mikrofon, egal wie peinlich es ist. Man spricht aus, was man glaubt: Die Rettung allein liegt in Jesus Christus. Man traut sich hinaus und verkündet das Wort und verschwurbelt es nicht.

Man lädt nicht in eine Kirche ein und hofft, das Kirchenferne kommen, sondern man stellt sich mitten auf die Plätze. Mit einem Mikrofon, egal wie peinlich es ist."

Ja, dieses Reformationsjubiläum hätte spannend werden können. Es hätte wie Luther sein können. Wie Luther nur im Jahr 2017: Streitsüchtig, starrsinnig und mediengeil. Es war nur leider nichts davon.