Der renommierte Schlafforscher Dr. William C. Dement, Professor an der Stanford Universität, begleitete und überwachte den anfangs gut gelaunten Randy Gardner. Die gute Stimmung hielt sich aber nicht lange:

Am zweiten Tag konnte er schon nicht mehr fernsehen. Seine Augen waren nicht mehr in der Lage, richtig zu fokussieren. Darüber hinaus konnte er Objekte nicht mehr alleine mithilfe seines Tastsinns identifizieren. Dieser Zustand ist unter dem Namen Astereognosis bekannt.

Am dritten Tag wurde Randy untypisch mürrisch und verlor teilweise seinen Orientierungs- und Gleichgewichtssinn. Er begann, seine Freunde launisch anzufahren und hatte Schwierigkeiten, geläufige Zungenbrecher nachzusprechen.

Ab dem vierten Tag begann ihn sein Gehirn auszutricksen. Psychotische Phasen wechselten sich mit starken Wahrnehmungsstörungen ab. Er sah plötzlich Nebelschwaden und Straßenlaternen, wo keine waren, und er hielt Straßenschilder für echte Menschen. Er war später davon überzeugt, der schwarze American-Football-Spieler Paul Lowe zu sein und "verübelte anderen jegliche Bemerkungen über seine Fähigkeiten und die negroide Rasse". Zur Erinnerung: Er selbst war ein weißer 17-jähriger Schüler.

Unterstützung erhielt er von zwei Klassenkameraden, Bruce McAllister und Joe Marciano Jr., die mit aller Kraft versuchten, ihn wachzuhalten. Sie fuhren ihn mit dem Auto durch die Stadt, machten kleine Ausflüge zum Donut-Shop, spielten Basketball, hörten laute Musik. Jedes Mal, wenn Randy auf die Toilette ging, unterhielten sie sich weiter durch die Tür, um sicherzustellen, dass er nicht einschlafen würde. Sie gaben ihm keine Wachhaltemittel oder Drogen – nicht einmal Koffein.

Randy Gardner hatte sich nach dem Experiment relativ schnell wieder erholt. Der Schüler, der üblicherweise durchschnittliche acht Stunden pro Nacht schlief, brauchte in seiner ersten Erholungsnacht 14 Stunden Schlaf und war danach wieder klar im Kopf. Nach vier Erholungsnächten hatte er seine alte Schlafstruktur wieder.

Dass er nicht elfmal acht Stunden nachschlafen musste, liegt daran, dass sich bei Schlafmangel der Anteil der Tiefschlafphasen erhöht. Dr. Weeß, Somnologe und Leiter des Schlafzentrums des Pfalzklinikums bestätigt das: "Der Tiefschlafanteil nimmt in Abhängigkeit zum Ausmaß des Schlafentzugs überproportional zu. Deswegen kann sich der Körper auch so schnell erholen." Negative Langzeitfolgen gab es nach dem Experiment demnach keine.

Der Körper schaltet irgendwann ab

Nach wie vielen Stunden Schlafentzug welche Beschwerden einsetzen, ist nicht pauschal zu beantworten. Gerade wenn es um Schlafentzug von mehr als 48 Stunden geht, sind die Schwankungen sehr individuell. Paranoide Tendenzen, Beeinträchtigung der Wahrnehmung, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen kommen zwar vor, treten aber von Mensch zu Mensch in unterschiedlichem Ausmaß auf. Dazu kommen körperliche Symptome wie das Ansteigen der Entzündungswerte, die Schwächung des Immunsystems und der Verlust der Temperaturkontrolle.

Das ist auch der Grund, warum extremer Schlafentzug nicht als direkte Todesursache gesehen wird. Lebensgefahr kommt von den Folgewirkungen. "Wir versterben eigentlich aufgrund des Zusammenbruchs des Immunsystems", sagt Dr. Weeß, "Es kommt zu bakteriellen Infekten, die in weiterer Folge tödlich enden können." Der Körper ist irgendwann dermaßen geschwächt, dass er Infektionen nicht mehr bekämpfen kann und aufgibt.

Dass solche Experimente nicht unbedingt ethisch vertretbar sind, hat auch das Guinnesbuch der Rekorde eingesehen. Seit einigen Jahren verzichtet es aufgrund der potenziellen Gesundheitsrisiken darauf, Schlafentzugrekorde festzuhalten. Randy Garner wird daher für immer offizieller Rekordhalter bleiben. Auch wenn jemand anderes schon länger wach war.

Jeder von uns hat ein Schlafdefizit

Dr. Weeß ist davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft in ein chronisches Schlafdefizit schlittert. "Deutschland steht zu früh auf. Schule und Jobs beginnen für unsere innere Uhr viel zu früh und so bauen wir über die Woche ein Schlafdefizit auf, das wir am Wochenende wieder abbauen müssen. Wir alle erleben das regelmäßig, aber wir haben gelernt, damit umzugehen." Dr. Weeß nennt das sozialen Jetlag.

Zu wenig Schlaf hat auch gesellschaftliche Relevanz. Im Rahmen einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach wurden insgesamt 519 Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung über ihre Schlafgewohnheiten befragt. Die Ergebnisse sind teilweise erschreckend. Nicht nur, dass jede fünfte Führungskraft angab, nur maximal fünf Stunden pro Nacht zu schlafen und darunter zu leiden. Mehr als die Hälfte sind darüber hinaus der Meinung, dass sie bei mehr Schlaf weniger erfolgreich im Job sein würden. Dabei erinnern sich wiederum 57 Prozent der Teilnehmer an mindestens eine Verhandlung, deren Ergebnis durch Müdigkeit beeinflusst wurde.

"Das liegt daran, dass sich im Zustand der Übermüdung unser Risikoverhalten ändert. Wir können komplexe Zusammenhänge nicht mehr adäquat einschätzen und werden risikofreudiger", sagt Dr. Weeß. "Denkt man an die vielen Nachtsitzungen der Politiker, die grundlegende Entscheidungen treffen, kann man hinterfragen, inwieweit diese eigentlich vernünftig und rational sind – und ob die Beteiligten in einem ausgeschlafenen Zustand zu demselben Ergebnis kommen würden."

Jim Horne, Schlafforscher an der Loughborough University in England, hat herausgefunden, dass wir nach 17 Stunden ohne Schlaf ein Reaktionsvermögen haben, das einem Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille gleicht. Nach 22 Stunden steigt der Wert auf ein Promille und wir haben quasi ein Reaktionsvermögen eines Betrunkenen. "Dafür dass tödliche Verkehrsunfälle in Deutschland zwei- bis dreimal häufiger auf Übermüdung als auf Alkohol zurückzuführen sind, wird erschreckend wenig dagegen unternommen", sagt Dr. Weeß.

Dr. Hans-Günter Weeß ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Somnologe und Leiter des Schlafzentrums im Pfalzklinikum. In seinem Buch "Die schlaflose Gesellschaft – Wege zum erholsamen Schlaf und mehr Leistungsvermögen" (März 2016) schreibt er über Schlafstörungen und Lebensqualität.