Da verlässt man nichts ahnend Berlin für ein Auslandssemester in Schweden und kehrt nach ein paar Monaten mit einer Fernbeziehung im Gepäck zurück. So ist es mir ergangen und ich kenne inzwischen viele, die dank Erasmus, Urlaub oder Praktikum Ähnliches erlebt haben. Was vielen Paaren hilft, um das Vermissen besser zu ertragen, ist das Licht am Ende des Tunnels – ein Zeitpunkt in der Zukunft, an dem man wieder vereint an einem gemeinsamen Ort leben wird. Aber wer garantiert einem, dass wirklich alles besser wird, wenn aus der Wochenend-Beziehung eine Alltags-Beziehung wird? Bei mir war das anfangs nicht so einfach.

Berlin Hauptbahnhof: Es ist schon 23.30 Uhr, ich bin müde von der langen Fahrt, also winke ich ein Taxi heran. Wo ich gerade herkäme, fragt mich der Taxifahrer. "Aus Amsterdam", antworte ich. "Urlaub?" Nein, so kann man das eigentlich nicht nennen. Amsterdam war in den letzten zwei Jahren mein Wochenend-Zweitwohnsitz. Mein französischer Freund lebt dort. Mitleidig schaut der Mann mich durch den Rückspiegel an. "Aber er zieht bald nach Berlin, weil er hier einen neuen Job anfängt", schiebe ich schnell hinterher. "Der Kerl zieht extra für Sie von Amsterdam hierher?" Der Taxifahrer wirkt ernsthaft bestürzt. Wenn mein "Kerl" bereit sei, für mich alles aufzugeben, dann sei das ja "ne janz schön ernste Nummer". Ob wir dann auch schon weitere Pläne hätten, Zusammenziehen, heiraten, Kinder kriegen? – Äh?!

Drei Jahre führten mein Freund und ich eine Fernbeziehung. Die individuellen Pläne des jeweils anderen, wie Beruf oder Studium, hatten immer Vorrang. Als wir uns in Schweden kennenlernten, stand ich kurz vor meinem Bachelor und wollte bald darauf einen Master anhängen, am liebsten in Berlin. Mein Freund bekam seine erste Festanstellung ­– in Amsterdam. Irgendwie sollte es einfach nicht sein, dass Liebe und Karriere sich einfach verbinden ließen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, von ihm zu verlangen, dass er sein bisheriges Leben für mich aufgibt.

Wie geht das noch mal, wenn man eine "normale" Beziehung hat?

Um gemeinsam an einem Ort zu sein, musste jedoch schließlich einer bereit sein, seine bisherigen Karriere-Pläne für den anderen zu opfern. Ich war es nicht. Also beschloss mein Freund, unser Beziehungs-Ping-Pong zu beenden. Er begann, sich auf Stellen in Berlin zu bewerben. Man sollte annehmen, dass ich mich über diese Geste gefreut hätte – und natürlich freue ich mich, ihn nun bei mir zu haben.

Gleichzeitig hatte der Taxifahrer nicht unrecht: Es ist eine ganz schön ernste Nummer, wenn jemand für dich die Mühe auf sich nimmt, seinen bisherigen (guten!) Job für einen völlig neuen Job in einem anderen Land einzutauschen. Zumal mein Freund vor der ersten Zusage in Berlin erst einmal monatelang nur Absagen bekam. Zu wenig Deutschkenntnisse, zu wenig Berufserfahrung und irgendwann auch zu wenig Selbstbewusstsein. Viel länger hätte es nicht mehr so weitergehen können. Als dann endlich eine Jobzusage aus Berlin kam, waren wir bereits völlig fix und alle. Und das alles nur, wegen meines Dickkopfs und der Wunschvorstellung, nach dem Studium im Berliner Kulturbetrieb Fuß zu fassen.

Mein Freund zog in Berlin erstmal in eine eigene Wohnung. Auch wenn ich jetzt am Zug gewesen wäre, dieser Beziehung etwas entgegen zu bringen, wollte ich erst einmal wieder die Handbremse anziehen. Die Hauptsache ist doch, dass wir jetzt in einem Land und in einer Stadt wohnen, dachte ich mir. Bei unseren Wochenendbesuchen hingen wir die ganze Zeit aufeinander. Nun fand ich es schön, dass wir uns immer dann mit dem anderen verabreden konnten, wenn wir es wirklich möchten. Alles ganz spontan halt. Nur so spontan sind wir dann auch wieder nicht. Jetzt müssen wir uns dauernd abstimmen, bei wem wir uns am nächsten Tag treffen, damit man seine Uni- und Übernachtungsutensilien dabei hat. Und treffen wir uns eigentlich jeden Tag oder nur jeden zweiten? Wie geht das noch mal, wenn man eine "normale" Beziehung hat? Ohje.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt

Als ich einer Freundin davon erzähle, wie toll es ist, dass ich jetzt immer mit dem Fahrrad in nur 15 Minuten bei meinem Freund sein kann, grinst sie mich an. Das habe sie sich auch gedacht, als ihr Freund nach einem halben Jahr aus Dresden nach Berlin gezogen ist. Nur weil sie sich jetzt auch im Alltag besuchen können, bedeute das jedoch nicht, dass sie auch wirklich mehr Zeit für einander haben. Das stellte auch ich bald fest. An den Wochenenden, die wir vorher extra für den anderen im Kalender freihielten, sind nun regelmäßig Gäste aus der Heimat zu Besuch. Unter der Woche wird gearbeitet. Fast freue ich mich schon auf unsere gemeinsamen Ausflüge zum Finanz- und Bürgeramt, bei denen ich meinem Freund als Dolmetscherin zur Seite stehe. Romantisch, ich weiß.

Ich will mich nicht nur beschweren, schließlich bin ich diejenige, die hier bequem aus ihrem gewohnten Nest heraus alle Veränderungen kommentiert. Für meinen Freund ist vieles völlig neu. Neuer Job, neues Land, neue Stadt, neue Leute. Voller Euphorie habe ich anfangs versucht, ihm beim Start in Berlin zu helfen. Ich schleppte ihn von einem Event zum nächsten: Konzerte, Lesungen, Partys. Ich wollte ihm zeigen, wie ich mir für gewöhnlich in Berlin die Zeit vertreibe und wer meine Freunde sind. Natürlich hat er durch die Wochenendbesuche ein Bild von meinem Alltag, aber nun, da er selbst ein Teil davon ist, sollte er mehr als nur ein Beobachter sein.

Das ist jedoch schwierig, wenn entweder die Veranstaltung auf Deutsch stattfindet oder ein Teil meiner Bekannten sich nicht ganz wohl dabei fühlt, auf einmal alle Gespräche auf Englisch zu führen. Das fiel auch meinem Freund auf. Um keine weiteren Umstände zu bereiten, erfand er zusehends Ausreden, um sich von gemeinsamen Treffen in größeren Gruppen fernzuhalten. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Das einzige, das nicht neu für meinen Freund ist, bin ich. Vielleicht ist genau das gerade unser Problem. Damit der gemeinsame Neuanfang gelingen kann, muss sich unsere Beziehung erneuern. Anstatt ihn weiterhin zwanghaft in mein bisheriges Leben zu pressen, will ich von nun an auf die Suche nach Dingen gehen, die wir beide gemeinsam neu entdecken und beginnen können. Wie genau dieser Plan ausgehen wird, kann ich noch nicht sagen. Was ich allerdings jedem und jeder, der oder die in einer ähnlichen Situation ist, nur raten kann: Denkt nicht so viel darüber nach, wie sich eure Beziehung verändert. Veränderung muss nicht immer etwas Schlechtes bedeuten. Und an all diejenigen, die weiterhin zur Fraktion "Fernbeziehung" gehören: Hang in there und genießt die Wochenenden.