Gerade hat man sich noch gewundert, ob man sich irgendwie im Jahr vertan hat und vielleicht doch erst kommendes Jahr gewählt wird und, zack, schon ist die Stadt volltapeziert mit Wahlplakaten. Sechs Wochen sind es noch zur Bundestagswahl. Mindestens sechs Wochen lang müssen wir es also ertragen, nicht mal zum Bäcker gehen zu können, ohne von Laternenpfahlen, Plakatwänden, Zäunen und Straßenschildern aus mit politischen Parolen angeschrien zu werden.

Tatsächlich erfährt man bei eingehender Betrachtung des saisonbedingten Laternenschmucks quasi alles, was man über den Wahlkampf und die Bundestagswahl wissen muss.

Zunächst einmal ist bemerkenswert ist, dass es die CDU geschafft hat, mehr Deutschlandfarben auf ihre Plakate zu packen, als die sogenannte Alternative für Deutschland. Inhaltlich sind die Plakate quasi das Konzentrat des Wahlprogramms, das sich mit dem Satz "Macht euch keine Sorgen, passt doch eh" zusammen fassen lässt.

Der Psychologe Stephan Grünewald attestierte den Deutschen in einem Interview mit ZEIT ONLINE, dass diese ihre Welt in ein privates Auenland und ein weltpolitisches Grauenland aufteilen würden. Einerseits der Sommerurlaub an der Ostsee, der Schrebergarten am Stadtrand, andererseits Krieg in Syrien, Trump, Klimawandel. Angela Merkel steht für die Bewahrung des Auenlandes, für "ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Mordor kann noch so viele Orks schicken, Angela Merkel wird für Sicherheit und Ordnung sorgen. Die Wahlplakate beruhigen in ihrer Vagheit, sie suggerieren, dass sich schon nichts gravierend ändern wird, solange Merkel nur weiter im Kanzleramt sitzt.

Unser Wahlkampf ist genau so: ein bisschen lahmarschig und das Gegenteil von emotionalisierend. Die SPD befindet sich in einer Zwickmühle. Um die oben genannte Metapher wieder zu verwenden: Sie muss ein bisschen Grauenland in das private Auenland der Bürger*innen bringen. Denn warum bräuchte es einen neuen Kanzler, wenn eigentlich alles in Butter ist?

Gleichzeitig will sie aber nicht zu viel Grauenland beschwören, weil sie ja erstens in den letzten Jahren mit in der Regierung saß und sie zweitens den Linken nicht ihr postapokalyptische Negativimage klauen möchte. Es soll also angesprochen werden, was schief läuft, was sich unter der SPD ändern soll, aber nur so, dass es die Laune auf dem Golfplatz nicht verdirbt. Schließlich sind ja Sommerferien. Lisa Caspari von ZEIT ONLINE fasst das Problem der SPD treffend zusammen: "Sie fordert 'neue Ideen', wagt aber in der Kampagne selbst kein Risiko."

Egal ob man die FDP nun hasst oder nicht, anerkennen muss man, dass sie die einzigen Plakate hinbekommen haben, bei deren Betrachtung man nicht direkt in eine desinteressierte Schockstarre verfällt. In schönster Instagram-Influencer-Manier posiert ein schwarz-weißer Christian Lindner auf den Wahlplakaten der Liberalen. Kann jemand sagen, wer derzeit noch so für die FDP für die Bundestagswahl kandidiert? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch, du alte*r Klassenstreber*in. Bisher gibt es übrigens keine Anzeichen dafür, dass Lindner mit Justin Trudeau oder Emmanuel Macron verwandt oder verschwägert ist.

Um bei den Plakaten zu verstehen, was die FDP inhaltlich will, muss man zugegeben mit der Lupe rangehen. Dafür erfährt man dann aber gleich deutlich mehr, als bei den anderen Parteien. Schwerpunktmäßig geht es um Digitalisierung, Bildung und Entbürokratisierung. Das sind die positiven Feel-Good-Themen des FDP-Wahlprogramms, die – Überraschung – mit den Programmen quasi aller anderen Parteien vereinbar sind.

Vermutlich wäre es schwer, das Image der modernen, jungen Partei aufrecht zu erhalten, wenn die Liberalen andere von ihnen vertretene Positionen auf die Plakate drucken würden: etwa Maßnahmen zum Schutz der Umwelt als verhängnisvolle Planwirtschaft zu bezeichnen oder das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euroraum zu fordern.

Bei den Wahlplakaten der Grünen würde man hoffen, dass man deren Gestaltung der letzten verbliebenen Parteiexzentrikerin Claudia Roth übertragen hätte. Hat man aber scheinbar nicht. Sowohl den Wahlplakaten als auch den Grünen selbst mangelt es an Kreativität, Progressivität und Provokationslust.

Angesichts wachsender materieller Ungleichheiten und außenpolitischen Krisen, geht das Thema Umweltschutz unter. Und Umweltschutz ist nach wie vor das, womit man die Grünen in erster Linie identifiziert – auch wenn das Thema zunehmend von anderen Parteien aufgegriffen wird. In dem 18-minütigen Sommerinterview der ARD aus dem Jahr 2016 wurde der Spitzenkandidat Cem Özdemir beispielsweise kein einziges Mal nach den umweltpolitischen Forderungen der Grünen gefragt.

Und bei allen anderen Themengebieten stellt sich die Frage, warum man da ausgerechnet die Grünen wählen soll. Nachdem die Partei keine Koalition ausschließt, könnte man also prinzipiell alle Koalitionsmöglichkeiten wählen. Wer also eine konservative Regierung befürwortet, wird direkt konservativ wählen, wer eine linke Regierung will, eine linke Partei. Oder immerhin die SPD.

Die Linke ist eigentlich die einzige der großen Parteien, die radikal mit dem Weiter-so-Kurs brechen möchte. Die müssen es allerdings auch nicht fürchten, dass die Union keine Koalition mit ihnen bilden möchte. Generell erscheint es eher so, als würden die Linken am liebsten gar nicht regieren, sondern nur weiterstänkern, wie scheiße alles ist. Vermutlich um das Image der besserwisserisches Miesmacherpartei aufzulockern, hat man sich deshalb dazu entschieden, möglichst kindlich bunte Wahlplakate zu designen.

Zusammengefasst: Ja, alles Wichtige lässt sich aus den Wahlplakaten rauslesen. Spannender macht das den Wahlkampf allerdings nicht.

P.s.: AfD who?