Das Büro. Die Petrischale kleiner menschlicher Abgründe, der Kondensator unerträglicher Marotten. Fünf Tage die Woche, acht Stunden am Tag müssen unterschiedliche Charaktere miteinander verbringen, sich hören, riechen und (v)ertragen. Kaum überraschend, dass es regelmäßig zu Streit im Büro kommt – von passiv-aggressivem Augenrollen und semi-subtilem Seufzen bis zu zünftigem Gebrüll über mehrere Schreibtische hinweg.

Für 21 Prozent der Angestellten in Deutschland sind laut Statista Konflikte mit Kolleg*innen und Vorgesetzten eine maßgebliche Ursache für Stress – noch vor Konkurrenzkampf. "Streit kommt am Arbeitsplatz häufig vor", sagte auch der Arbeitspsychologe Tim Hagemann von der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld zu ZEIT ONLINE.

Doch wer denkt, es ginge bei Streit im Büro ausschließlich um Inhaltliches wie Absprachen, Projekte, Urlaubsplanung und so weiter, irrt gewaltig. Es sind viel eher vermeintlich harmlose Kleinigkeiten, mit denen sich Kolleg*innen gegenseitig den letzten Nerv rauben. Man kennt das.

Hier vier alltägliche Gründe für Streit im Büro:

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1. Die Raumtemperatur

Eine Untersuchung der University of Southern California hat unlängst gezeigt, dass Frauen bei höherer Raumtemperatur produktiver sind, während Männer es kühler brauchen. Doch selbstverständlich hängt die individuelle Temperaturpräferenz nicht nur am Geschlecht. Fenster auf, Fenster zu, Heizung an, Heizung aus – so beginnt die Spirale der persönlichen Befindlichkeiten. Ein "Entschuldigung, aber es ZIEHT" wird spätestens nach zehn Minuten von der Gegenseite mit "Sorry, aber hier ist überhaupt KEIN Sauerstoff mehr" gekontert. Und von vorn. Bis sich die Fronten schließlich so verhärten, dass überhaupt nicht mehr miteinander geredet wird. Dem wuchtigen zum-Fenster-Stampfen-und-es-mit-großer-Geste-Aufreißen steht dann ein demonstratives in-Daunenjacke-am-Schreibtisch-Sitzen entgegen. Erstaunlich, wie viel eiskalter Hass sich am Raumklima entzünden kann.

2. Sauberkeit und Ordnung

Der Schreibtisch ist so was wie der Vorgarten der Büroangestellten. Hier wird der Claim abgesteckt, auf diesem Quadratmeter kann er*sie sich entfalten. Durch sorgfältige Inszenierung drückt sich die Persönlichkeit aus: Fußballfan, Familienmensch, ordentlich und strukturiert oder kreativ und flippig, Kaffee- oder Mate-Trinker*in. Doch wenn penible Ordnung und schöpferisches Chaos nebeneinander sitzen, können bittere Nachbarschaftsstreitigkeiten ausbrechen. Der Teller, der versehentlich rübergerutscht ist; die Post-its, die sich verflattert haben … Und am Ende weiß niemand so genau, wer zuerst den Tacker geworfen hat.

Richtig hässlich wird’s allerdings, wenn es keine festen Arbeitsplätze gibt. Die Broken-Window-Theorie greift nämlich auch im Büro. Zu einem schmutzigen Becher gesellen sich in kürzester Zeit noch mehr und dann geht’s rapide bergab, weil sich niemand verantwortlich fühlt. Anders gesagt: kein Schreibtisch, keine Regeln, dafür umso mehr Geschrei: "Ich bin hier nicht zum Putzen! Wie wäre es, wenn hier jede*r einfach mal seinen*ihren eigenen Scheiß wegräumt, verdammte Axt!?"

Und das bringt uns zum Epizentrum: der Büroküche. Niemand weiß, wer’s war – doch das dreckige Geschirr stapelt sich auf dem Geschirrspüler in schwindelerregende Höhen, Joghurt oder Hafermilch verschwinden auf mysteriöse Weise, im Kühlschrank gedeiht der Zuchtpelz und in der Obstschale verrotten die angebissenen Früchte des Zorns.

3. Geräuschkulisse

Besonders, wenn Konzentration gefragt ist, kann Akustik regelrecht zermürbend wirken. Die Geräuschkulisse ist laut Statista einer der Hauptgründe für Ablenkung am Arbeitsplatz. Lautstarkes auf die Tasten hämmern, unaufhörliches Kugelschreiberklicken, permanentes Räuspern, beherztes Nasehochziehen und knurpsendes Kauen sind auf Dauer nicht nur für Misophone die Hölle.

Dazu kommen selbstverständlich geräuschvolle Gespräche (mit sich selbst und anderen) sowie dröhnend geführte Telefonate, die sogar durch Kopfhörer hindurch direkt das Trommelfell malträtieren. Das zu Beginn noch halbwegs höfliche "Könntest du BITTE etwas leiser reden?" mutiert irgendwann zu passiv-aggressivem "Oooaaarrr!", dann kommen die Kopfhörer, anschließend wird verzweifelt nach einem anderen Raum gesucht und wenn letztlich selbst der Weg ins Homeoffice versperrt ist, bricht loriot-esker Streit im Büro aus. USB-Raketenwerfer, anyone?

4. Gerüche

Wir alle kennen Kolleg*innen, die allmorgendlich in einer Wolke von irgendwas von Paco Rabanne oder Marc Jacobs gehüllt ins Büro rauschen und allein durch schiere Duftwässerchenintensität für unmittelbare Nasenkapitulation und Schwindelgefühle sorgen – und da ist Verpuffung auf dem Arbeitsweg schon abgezogen. Demgegenüber stehen diejenigen, die Chanel No. 5 für einen Alienfilm aus den 1980ern halten, Seife, Duschgel und Co. höchst sparsam und vorzugsweise an Feiertagen verwenden und im Hochsommer besonders gern Kunstfaser tragen. Ganz zu schweigen von Kolleg*innen, die verblüffend sorglos in aller Frühe ihr Zwiebelmettbrötchen auspacken oder mittags herzlich enthemmt Chili Con Carne am Schreibtisch weglöffeln. So viel Chuzpe und olfaktorische Abhärtung würden einem ja schon beinahe Respekt abnötigen, wäre nur der Brechreiz nicht so stark.

Kompromisse müssen sein

Das Problem bei diesen vermeintlichen Kleinigkeiten ist, dass sie nicht auf der sachlichen Ebene stattfinden, sondern meist in individuellen Bedürfnissen und Empfindungen verankert sind und sich schnell hochschaukeln. Denn aus der eigenen Perspektive hat natürlich jede*r Recht.

Damit so ein Streit im Büro im Keim erstickt und nicht zu offenem Hass und hinterlistigem Mobbing eskaliert, helfen im Grunde nur zwei Dinge: Kompromisse und gegenseitige Rücksichtnahme. Fenster zu, aber Heizung runterdrehen oder stoßlüften; Chili in der Kantine essen; den eigenen Dreck wegräumen und ab und zu ein Augen zudrücken. Dann braucht auch niemand einen USB-Raketenwerfer.