Der Blick aufs Konto. So unangenehm und wichtig wie ein Zahnarztbesuch – besonders für Freiberufliche. Zumindest die, die ich so kenne. Viele Auftraggeber*innen lassen sich mit Zahlungen Zeit und das, was von den Tagessätzen netto übrig bleibt, ist in den meisten Fällen auch eher meh.

Freelancen ist ein konstantes Jonglieren von Anforderungen in einer Arena aus potenzieller Unsicherheit. Ja, klar – die Freiheit ist fantastisch und kann echt erfüllend sein. Aber sie hat definitiv auch ihren Preis, wie ich hier schon mal detaillierter aufgeschrieben habe.

Ein kleines britisches Business- und Preisvergleichs-Portal hat unlängst eine Liste mit Städten zusammengetragen, in denen es sich als Freelancer*in angeblich besonders spitzenklasse leben und arbeiten lässt. Kriterien unter anderem: Internetgeschwindigkeit, Anzahl der Co-Working-Spaces, kostenloses Wifi, verfügbare Jobs, durchschnittliches Gehalt, Mietpreise … Ach, dachte ich, guckste dir mal an.

Auf Platz eins dieser Liste: Paris, gefolgt von New York, London und Singapur. Und ich hätte mich fast an meinem einzigen Außer-Haus-Kaffee der Woche verschluckt. Geht’s noch?

So ist das Leben für Freiberufliche. Nicht.

Paris ist laut Economist die teuerste Stadt der Welt und teilt sich diese Ehre mit Hongkong und Singapur; New York liegt demnach auf Platz sieben. Und jede*r, der sich mal zwei Minuten mit jemanden aus London unterhalten hat, weiß, wie kostspielig und nervenzehrend das Leben im Wohnungs-Äquivalent eines schmuddeligen Schuhkartons in dezentraler Lage sein kann.

Falls es sich noch nicht herumgesprochen haben sollte: Freiberufliche duschen generell gar nicht mit Champagner und trocknen sich mit Banknoten ab, bevor sie auf dem goldenen WC-Thron Kaviar und Austern entsorgen, während sie hämisch über den erbärmlichen Insta-Feed der Festangestellten lachen. Das ist ein bisschen so ähnlich wie die irrige Annahme, dir würde – nur, weil du mal ein Buch veröffentlicht hast – direkt ein rosenumranktes Cottage in Cornwall wachsen.

Weit gefehlt: Der Geldeingang ist nicht selten unregelmäßig, die Auftragslage volatil, die Mieten in Großstädten meist wahnwitzig, Lebenshaltungs- und sonstige Kosten insgesamt ebenso, Co-Working-Spaces sind keine Zentren der Mildtätigkeit, sondern kosten richtig Geld, und das Finanzamt ist der dauerpräsente, unerbittliche Endgegner of Doom. Rücklagen bilden? LOL.

Wie zum Teufel kommt man also darauf, dass ausgerechnet die teuersten Orte der Welt die besten für Freelancer*innen wären?

Es hängt ein bisschen von der Branche ab

Ein Blick auf die einzelnen Branchen, die in der Liste aufgezählt sind, bringt einen Hauch Klarheit: Computer und IT, Buchhaltung und Finanzen, Personalwesen und Recruiting … Aha. Nun, Freiberufliche im Finanzwesen oder im Computer-, Software- und IT-Bereich verdienen mitunter einen ganzen Batzen mehr als beispielsweise Freelancer*innen, die sich mit Schreiben oder Übersetzungen über Wasser halten. Angebot und Nachfrage, der Markt regelt das, blabla.

Mimimi – dann mach doch was anderes? Tja, so simpel ist das nicht: Es kann oder will halt nicht jede*r zum Mega-Programmierer*in oder IT-Expert*in werden oder seine Seele in den Höllenschlund der Finanzwelt werfen. Auch der Rückweg in eine Festanstellung ist nicht immer eine glänzende Idee. Wer einmal längere Zeit sein*ihr eigener Boss war und Gefallen daran gefunden hat, kommt nicht ohne weiteres in verkrusteten Unternehmensstrukturen zurecht.

Es geht auch überhaupt nicht ums Freelancen an sich. Wie eingangs gesagt: Die Freiheit ist fantastisch und in digitalen Jobs meist selbst gewählt. Mich irritiert nur die Annahme, dass sich extrem kostspielige Städte besonders gut für Freiberufliche eignen würden, Wifi hin oder her.

Kleinere Städte, niedrigere Kosten, besseres Leben

Nach meiner Erfahrung ist nämlich vielmehr das Gegenteil der Fall. Kleinere Städte mit niedrigeren Miet- und Lebenshaltungskosten, dafür zum Beispiel mit kreativen Communitys, ermöglichen es Freiberuflichen eher, in Ruhe ihr Jobprofil und Netzwerke aufzubauen, zwischendurch kurz mal das Leben zu genießen – wichtig, wenn man theoretisch 24 / 7 arbeiten könnte.

Es gibt schlicht weniger Finanzdruck; man kann zur Not mal ein paar Wochen lang eine schwache Auftragslage überbrücken, ohne gleich in wiederkehrenden Albträumen von einem erbosten Peter Zwegat ans Flipchart genagelt zu werden und schweißgebadet im Etagenbett aufzuwachen, weil man sich kein eigenes Zimmer mehr leisten kann. Denn, sad fact, während in Großstädten seit Jahren die Mieten klettern, zeigen die üblichen Honorare verblüffende Höhenangst.

Selbstredend kommt es immer aufs Individuum, die spezifischen Umstände (Alter, Berufserfahrung, Branche, Kontakte), Prioritäten und Bedürfnisse an. Und natürlich sind an Orten mit exorbitanten Mieten bzw. Lebenshaltungskosten tendenziell auch die Tagessätze höher und mehr theoretische Jobmöglichkeiten vorhanden. Aber Paris, New York, London mit einem durchschnittlichen Honorar als durchschnittliche*r Freiberufliche*r? Wohl kaum, Leute, wohl kaum.

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