Am Montagvormittag hat der gemeinnützige Verein Lobby Control seinen EU-Lobbyreport vorgestellt. ze.tt hatte zuvor Einsicht in den Bericht. Das sind die drei wichtigsten Erkenntnisse daraus:

1. Die EU ist beim Thema Lobbyismus teilweise transparenter als die Bundesrepublik Deutschland

"Was denkst du bei dem Begriff 'Europa' als Erstes?", wollten wir kürzlich von unseren Lesenden wissen. Viele antworteten mit "Lobbyismus" und "Intransparenz", womit sie sich auf die Institutionen der Europäischen Union bezogen. Doch der Report zeigt: Beim Thema Lobbyismus ist die EU teilweise transparenter als die Bundesrepublik Deutschland.

Seit elf Jahren gibt es ein Lobbyregister der EU-Kommission, seit 2011 beteiligt sich daran auch das EU-Parlament. Das Transparenzregister ist ein Instrument, das es in Deutschland bislang nicht gibt. Ziel des Registers ist es, darüber zu informieren, wer in wessen Auftrag als Lobbyist*in tätig ist. Die Eintragung ist für Lobbyist*innen nicht verpflichtend, wird jedoch nach Einschätzung von Lobby Control von vielen Akteur*innen genutzt, da die Nicht-Eintragung Konsequenzen hat. So ist es Mitgliedern der Kommission beispielsweise seit 2014 verboten, sich mit nicht-eingetragenen Lobbyist*innen zu treffen.

Das Register fasst mittlerweile fast 12.000 Einträge – Schätzungen zufolge sind etwa 25.000 Lobbyist*innen regelmäßig in Brüssel tätig –, Unternehmen, Anwaltskanzleien, Lobbyagenturen, Branchenverbände und NGOs tummeln sich in der belgischen Hauptstadt. Aus den Daten des Registers lässt sich entnehmen, welche Akteur*innen am meisten für Lobbyarbeit ausgeben. Die ersten 20 Akteur*innen auf dieser Liste vertreten die Interessen von Wirtschaftsbranchen oder Unternehmen.

Auch in einem anderen Punkt ist die EU weiter als die BRD: Die Kommission veröffentlicht seit 2014, wenn sich Mitglieder mit Lobbyist*innen treffen. Und ab Beginn der kommenden Wahlperiode werden auch Abgeordnete des EU-Parlaments, die die Positionierung zu einer Gesetzesvorlage organisieren, ihre Lobbytreffen veröffentlichen.

Doch nicht alle Institutionen haben an ihrem Transparenzproblem gearbeitet: Der Rat der Europäischen Union weigert sich, Teil des Transparenzregisters zu werden. Er setzt sich aus den Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammen. Damit bleibt diese Institution weiterhin undurchsichtig. Lobby Control schreibt in seinem Bericht: "Ziemlich intransparent wird der politische Prozess, sobald der Rat der EU in die Beratungen einsteigt: Der Lobbyeinfluss auf die Positionen der Mitgliedsländer geschieht oft auf nationaler Ebene, die Öffentlichkeit bekommt davon aber kaum etwas mit."

2. Unternehmen haben zu großen Einfluss auf Regulierungen, von denen sie selbst betroffen sind

Fast die Hälfte der Bürger*innen glaubt nicht daran, dass die EU-Institutionen Gesetze in ihren Interessen verabschieden. Mit dieser Einschätzung haben sie laut dem Lobbyreport nicht ganz Unrecht: "Die Kommission hat in den vergangenen Jahren die Transparenz über die Teilnahme von Expert/innen am Beratungsprozess wesentlich verbessert." Versäumt habe sie es aber, auch die Ausgewogenheit bei der Besetzung der Expert*innengruppen sicherzustellen. "Weiterhin können Unternehmen die Mehrheit der Sitze in Gremien einnehmen, die Regeln für deren eigene Branche aufstellen sollen, wie Beispiele von Expertengruppen zu Abgasen oder Steuern zeigen", heißt es in dem Bericht.

So besteht die Expert*innengruppe "Emissionen im praktischen Fahrbetrieb – leichte Nutzfahrzeuge" zu 70 Prozent aus Vertreter*innen der Autoindustrie. Laut Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zum Dieselskandal hat diese Gruppe unter anderem dazu beigetragen, ein effektiveres Testverfahren für den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen um Jahre zu verzögern.

"So sind trotz Mahnungen aus der Wissenschaft gefährliche Stoffe wie Bisphenol A weiterhin erlaubt, Steuerschlupflöcher sind trotz zahlreicher Skandale weiterhin nicht geschlossen, Handelsabkommen werden in erster Linie nach den Wünschen großer Konzerne und Verbände gestaltet und Autokonzerne brauchten sich jahrelang nicht darum zu scheren, dass ihr Schadstoffausstoß auf den Straßen nachweislich höher ist als die Regelungen erlauben."

Der Lobbyreport zeigt, dass Unternehmen und Wirtschaftsbranchen über enorme Mittel verfügen, um ihre Interessen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Zwei Drittel der Lobbyist*innen haben ein Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro. Gemeinnützige Vereine und NGOs verfügen schlicht nicht über dieselben Ressourcen und sind meistens bloß auf nationaler Ebene organisiert. Gleichzeitig mangelt es jedoch auch vonseiten der EU-Institutionen an Bereitschaft, dieses Ungleichverhältnis auszugleichen. Die Kommissionsmitglieder trafen sich zu 70 Prozent mit Vertreter*innen von Unternehmen und Wirtschaft. Der CDU-Europapolitiker Günther Oettinger ist übrigens der Kommissar mit den meisten Lobbytreffen – davon waren 80 Prozent mit Interessensvertreter*innen von Unternehmen.

3. Gemeinnützige Gesetze scheiterten häufig an den nationalen Regierungen – die ihre heimischen Industrien schützen wollen

Überraschenderweise ist es besonders eine Institution, die die Interessen der Wirtschaftsvertretenden schützt: der Rat der EU, der sich aus den Regierungen der Mitgliedsstaaten zusammensetzt.

Lobby Control schreibt: "Häufig scheiterten in den vergangenen Jahren Vorschläge aus Brüssel zugunsten des Allgemeinwohls schlicht an der Blockade im Rat. Die Mitgliedsstaaten nutzen die fehlende Transparenz in der Ratsarbeit allzu oft für die Durchsetzung der Interessen ihrer heimischen Industrien. Denn auch in den Mitgliedsstaaten haben Konzerne zu viel Einfluss auf die Politik."

Die Organisation Corporate Europe Observatory hat Beispiele dafür zusammengetragen. So hat die deutsche Regierung regelmäßig auf Wunsch der Autoindustrie Gesetze blockiert oder abgemildert, die nicht in deren Sinne waren: beispielsweise bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes von Autos. Der Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung wurden hinten angestellt.

Wer hat den Report erstellt?

Lobby Control, der Verein hinter dem Lobbyreport, besteht aus 13 Mitarbeitenden und finanziert sich laut eigenen Angaben durch Spenden von Privatpersonen, Mitgliedsbeiträge, Stiftungsgelder und den Verkauf von Publikationen. Die Organisation veröffentlicht regelmäßig einen Bericht über die eigene Finanzierung. Den ganzen EU-Lobbyreport gibt es hier zu lesen (PDF).

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