Ich habe vergangene Woche geschrieben, wie verdammt schwer es mir fällt, nicht an meinen Fingernägeln zu kauen. Bei einem Selbstversuch fand ich heraus, dass ich ständig kaue und es meistens nicht einmal merke. Jede Anstrengung, es zu lassen, ist bisher gescheitert. Ob Bitterlack, Kaugummi oder Plastiknägel, meine Zähne waren und sind immer schneller. Deswegen hatte ich euch um weitere Tipps gebeten – und ihr habt fleißig geantwortet.

Alle, die immer noch keine geeignete Methode gefunden haben, mit dem Zupfen, Pulen und Piddeln aufzuhören, können aus dem großen Fundus der erfahrenen Ex-Beißer*innen schöpfen. Vielleicht ist ja etwas dabei, was euch hilft. Ich wünsche es uns allen. Und falls nicht, geben euch die folgenden Erfolgsgeschichten zumindest einen Motivationsschub.

Christian

  • kaut, solange er denken kann, bis auf die Nagelhaut runter
  • hat vor zwei Jahren aufgehört

"Auch ich habe das 'Nagelbeißproblem', hab es allerdings gut in den Griff bekommen und zwar durch das Feilen der Nägel. Sobald ein kleiner Grat am Nagel ist, oder ein wenig Schmutz darunter, musste ich den Nagel 'bearbeiten'. Durch das Feilen der Nägel, werden sie nicht nur stabiler, sondern auch das 'Beißbedürfniss' lässt bei mir nach."

Luise

  • hat 15 Jahre lang gekaut
  • ist seit fünf Jahren kaufrei

"Ich kaute so lange, bis ich meinen Nebenjob im Kaufland an der Kasse bekam. Wenn ich dieser Arbeit etwas Gutes abgewinnen konnte, dann, dass ich aufgehört habe, Nägel zu kauen. Der Grund: Ich habe dort Schwerstalkoholikern morgens um sieben Uhr Wodka verkauft, Obdachlosen den Pfandbon verrechnet, vernachlässigten Jugendlichen indirekt bei ihrem gesellschaftlichen Absturz geholfen, indem ich gerade 16 Gewordenen jedes Mal nachmittags mehrere Flaschen Sternburg-Bier verkauft habe. Nazis, die das abgezählte Geld schon minutenlang in ihrer tätowierten Nazihand hielten, konnte ich leider auch nicht den Kontakt mit mir verweigern. Kurz: Ich hatte mit so vielen ekelhaften, stinkenden, schmutzigen Menschen zu tun, dass mich dieser kurze Kontakt des Geld-Annehmens und Wechselgeld-Zurückgebens richtig angewidert hat. Wo hatten die noch überall ihre schmutzig-schwarzen oder Zigaretten-gelben Finger, außer an dem Geld oder der EC-Karte, die ich dann auch in die Hand nehmen musste?

Da konnte ich meine eigenen Finger einfach nicht mehr in den Mund nehmen. Bis ich nach Hause gekommen bin, mir zwei Mal die Hände gewaschen und desinfiziert habe. Zugegeben, eine ungewöhnliche Therapie. Aber nach eineinhalb Jahren Kaufland hatte ich es geschafft. Heute kaue ich nur noch, wenn meine Nägel zu lang geworden sind oder ich wirklich so richtig nervös bin."

Michael

  • kaut, seitdem er Zähne hat
  • hat vor vier Jahren aufgehört

"Ich habe all das probiert, was du auch im Artikel beschrieben hast – und es hat nichts genutzt. Geholfen hat mir, als ich das mal mit einer Therapeutin besprochen habe. Wir haben damals im Rahmen meiner Traumatherapie die Methode EMDR verwendet. Und als ich ihr von dem Nägelkauen (und wie es mich belastet) erzählt habe, meinte sie: 'Das bekommen wir damit hin.' Wir haben uns dann mit einer Situation früh in meinem Leben beschäftigt, in der ich diesen Drang deutlich hatte, und die bearbeitet. Und dann war das vorbei.

Nach einer einzigen EMDR-Sitzung war ich von dieser Angewohnheit befreit. Unmittelbar danach stellte sich das Gefühl bei mir ein, dass Hände nicht in den Mund gehören. Ohne Zwang oder Ekel. Aber Hände sind ja nicht unbedingt sauber, die befinden sich ständig in Kontakt mit etwas. Und bei mir war dann einfach sofort das von mir als "ganz natürlich" und zwanglos empfundene Gefühl da, dass ich meine Hände nicht in den Mund nehmen möchte. Und auch nicht mehr muss. Ganz einfach. Wenn ich dann doch noch mal gekaut habe, war es ganz einfach durch "wahrnehmen" und "nicht machen wollen" abzustellen.

Das hat mich damals wirklich sehr beeindruckt. Vor allem, weil ich eben auch auf unglaublich viele fehlgeschlagene Versuche zurückblicken kann, die alle mit dem Gefühl des Zwangs (und des Scheiterns) verbunden waren. Heute ist mein größtes Nagel-Problem, dass ich keine Ahnung von Nagelpflege habe und immer irgendwie am rumfeilen bin. Also quasi ein Luxusproblem."

Valentina

  • kaut, seitdem sie vier Jahre ist
  • längste kaufreie Phase waren vier Monate

"Mir hat es sehr geholfen, meiner Familie und meinen Freunden davon zu erzählen und immer wieder stolz meine Hände zu präsentieren. Auch jetzt noch. Sie fragen und gucken ständig, wie ich meine Nägel halte und das hilft ungemein. So ist das mit Sucht, man braucht die Unterstützung der anderen. Ich kaue also nicht nur für mich nicht mehr , sondern auch aus Angst, mich vor Familie und Freundin schämen zu müssen, falls ich wieder mit dem Kauen anfangen würde.

Das würde ich dir ans Herz legen, sobald du auch nur einen Funken von Nagel oder keine abgebissene Haut hast, zeig dein Ergebnis anderen. Und wenn deine Gegenüber davon nicht begeistert sind, musst du ihnen klar machen, dass das eine echte Leistung für dich ist und sie sehr stolz auf dich sein können."

Tobias

  • kaut, seitdem er denken kann
  • ist immer noch nicht richtig kaufrei, aber kontrolliert das Kauen bis auf wenige Stressphasen so, dass er mit dem Zustand seiner Nägel d'accord ist

"Mir hilft eine Kombination aus Baumwollhandschuhen (diese weißen aus der Drogerie) und einer alternativen Bewegung wie zum Beispiel auf die Schulter klopfen. Zu Beginn fällt dir auf, dass etwas anders ist, weil du auf dem Stoff kaust. Diesen Moment kannst du nutzen und schnell zu einer anderen Bewegung umswitchen. Da ist das Zeitfenster aber klein."

Stefanie

  • kaute 25 Jahre lang
  • seit eineinhalb Jahren kaufrei

"Als Nagelkauer ist man, so blöd und absurd das klingt, sehr auf die 'Pflege' seiner Nägel bedacht: Jede Unebenheit und Ecke soll begradigt werden, Hautschüppchen versucht man abzuknabbern. Und da sollte man sich selbst abholen. Anstatt diese 'Pflege' mit den falschen Mitteln (nämlich den Zähnen) zu betreiben, leg dir ein Rund-um-Pflege-Programm für deine Nägel zu, das du wöchentlich betreibst. Mit Nagelfeile, Pflegetinkturen und -cremen, Nagelhärter.

Trage immer eine Nagelfeile bei dir! Sobald du dich beim Kauen erwischst, greif zur Feile und glätte die Stelle. Führe ein Fototagebuch und fotografiere deine Nägel jeden (zweiten) Tag. Du wirst staunen, wie schnell sie gut aussehen."

Markus

  • kaute ungefähr 15 Jahre lang
  • ist seit 23 Jahren kaufrei

"Mir hat Folgendes geholfen:

1.) Ich habe mich ganz bewusst entschieden, das Nägelkauen zu überwinden. Das ist die gedankliche, die psychologische Ebene.

2.) Dann habe ich mit einem Finger angefangen und diesen in Ruhe gelassen. Der war tabu – alle anderen konnten nach wie vor 'bearbeitet' werden. Nach einigen Tagen oder Wochen war der Nagel nachgewachsen und konnte mit Schere und Nagelpfeile in Form gebracht werden. Sah gut aus. Insbesondere im Vergleich zu den anderen Nägeln. Das ist die praktische Ebene.

3.) Nach und nach habe ich immer wieder einen weiteren Finger in das 'Nicht-mehr-dran-kauen'-Programm aufgenommen. Auf der einen Seite konnte ich mir so langsam aber konsequent das Knibbeln abgewöhnen, ohne gleich komplett darauf verzichten zu müssen. Auf der anderen Seite gab es durch jeden weiteren Fingernagel, der wieder gut und formschön aussah, ein kleines Erfolgserlebnis. Das ist die Langzeitperspektive, mit der man sein unbewusstes Verhalten allmählich aber dauerhaft verändern kann.

Es hat vermutlich ein bis zwei Jahre gedauert, bis ich 'clean' war."

RB

  • kaute 60 Jahre lang
  • seit mehr als einem Jahr kaufrei

"Aufgehört habe ich, als ich mir wieder eine Gitarre gekauft habe, und ich meine Nägel zum Spielen brauchte. Such dir irgendein Hobby, das dich fesselt und zu dessen Ausübung du deine Nägel brauchst."

Dilara

  • kaute 18 Jahre lang
  • seit einem Jahr nicht mehr

"Ich fand die Situation schon immer sehr unangenehm, an den Nägeln zu kauen, vor allem aber darauf hingewiesen zu werden, 'es doch bitte zu lassen, weil es ekelhaft aussieht'. Deswegen habe ich mich irgendwann im Spiegel beobachtet und gesehen, dass es leider auch etwas gestört und selbstzerstörerisch aussieht, wenn ich kaue. Später achtete ich in der Bahn, im Einkaufszentrum und an der Uni auf Leute, die permanent die Finger im Mund hatten und konzentrierte mich immer mehr auf die Hände von Menschen in meiner Umgebung. So fing ich an, eine Abneigung zu entwickeln und konzentrierte mich aufs Nicht-Kauen."

Lisa

  • kaut, solange sie denken kann
  • war mal vier Wochen kaufrei

"Was mir zeitweise geholfen hat, war ein Opalstein, den ich immer in der Hand hatte. Piddeln oder Kauen ist oft ein Mittel gegen innere Nervosität/Unruhe. Klingt vielleicht blöd, aber wenn du merkst, du bist unruhig oder nervös, frag dich warum. Tu so, als seist nicht du es, der nervös ist, sondern ein anderer Akteur in deinem Kopf. Meine Gespräche laufen dann etwa so: 'Alter, wasn los jetzt? Warum so nervös?' Im besten Fall kommst du innerhalb von Sekunden/Minuten auf die Antwort. Oder eben nicht, was nicht schlimm ist. Und weiter: 'Du musst jetzt aber nicht nervös sein. Ist doch alles gut.' Und das immer und immer wieder."