Als ich am Morgen vor die Tür meiner alten Backsteinremise trat, fiel mein Blick auf einen dicken Käfer, der offenbar tot war. Als ich genauer hinschaute, staunte ich nicht schlecht. Der Käfer entpuppte sich als winzige Fledermaus, wenige Zentimeter groß. Gerade wollte ich sie mit einem Stück Pappe aufheben und sie begraben, da bewegte sie sich plötzlich wie in Zeitlupe. Vor Schreck schnellte ich zurück.

Wieder bei Sinnen, fragte ich mich, was zu tun war. Wohin mit einem verletzten Wildtier, einer Fledermaus? Zum*zur Tierärzt*in? Ich schob das kleine Wesen vorsichtig in einen Pappbecher und verschloss ihn mit einem Deckel, in den ich Löcher gebohrt hatte, und dachte nach. Mit klopfendem Herzen suchte ich im Internet nach Fledermaus-Expert*innen. Kurz darauf hatte ich den zweiten Vorsitzenden des Berliner Artenschutz-Teams BAT e.V., Robert Henning, am Telefon. Der Verein leitet den Fledermauskeller der Zitadelle Spandau in Berlin, in dem zahlreiche Fledermäuse leben. Auch verwaiste Jungtiere werden dort aufgenommen.

Robert Henning bat mich, noch etwas Geduld zu haben und das Tier nicht sofort abzugeben. Womöglich war das Fledermausbaby aus der sogenannten Wochenstube, in der die Weibchen ihre Jungen großziehen, gefallen. Oder aber die Mutter hatte das Kleine beim Quartierwechsel verloren, bei dem es am Körper der Mutter hängt und quasi wie ein Fluggast befördert wird. Wenn die Fledermausmutter ihr Kleines verloren hätte, würde sie ihr Junges mit Anbruch der Dämmerung wahrscheinlich suchen, erklärte mir der Experte.

Baby-Fledermaus-Rettungsplan Teil 1: Die Versorgung

Bis zum Anbruch der Dämmerung sollte das Fledermausbaby in einer ausbruchsicheren Kiste mit einem Deckel mit kleinen Luftlöchern bleiben, sagte mir Robert Henning. In diese legte ich ein zusammengeknülltes Handtuch, damit sich das Kleine verstecken konnte. Da ein Fledermausbaby unbedingt Wärme braucht, füllte ich eine Wärmflasche mit 40 Grad warmem Wasser und legte diese an die Box.

Nun wurde es kniffelig. Denn das geschwächte Fledermausbaby hatte vermutlich viele Stunden auf dem kalten Steinboden gelegen und brauchte unbedingt Flüssigkeit. Das Problem: Eine Fledermaus erkennt Wasser in einer Schale nicht. Sie ortet mit Ultraschall und wertet die Wasserschüssel als glatte Fläche. Weil keinesfalls Wasser in die winzige Nase gelangen darf, sollte man ihr lauwarmes Wasser mit einer Pipette anbieten. Diese soll man seitlich an das Schnäuzchen halten, da vorne die Nasenlöcher sind.

Da ich keine Pipette hatte, träufelte ich Wasser auf einen Löffelstiel. Diesen reichte ich dem mittlerweile munter durch das Fledermaus-Hotel wandernden Fledermauskind. Schon begann es, mit seiner winzigen Zunge gierig den Löffel abzuschlecken. Ich war erleichtert, die erste Hürde war genommen. Doch es wartete noch ein großes Abenteuer auf meinen kleinen Mitbewohner und mich: der Versuch, Jungtier und Mutter am Abend zusammenzuführen. Eine aufregende Nacht stand bevor – und es musste noch einiges für die Fledermaus-Familienzusammenführung organisiert werden.

Der Fledermausschutz muss intensiviert werden.
Sebastian Kolberg, NABU-Referent

Weil ich mir in der Aufregung nicht alle Details am Telefon merken konnte und das Büro des BAT e.V mittlerweile geschlossen war, wählte ich die Nummer der Fledermaus-Hotline vom NABU. Hier werden Anrufer*innen rund um das Thema Fledermäuse beraten. Dass es eine eigene Fledermaus-Hotline gibt, ließ mich vermuten, dass es um die Säugetiere nicht allzu gut steht.

Sebastian Kolberg, Referent für Artenschutz beim NABU, sagte mir: "Genaue Zahlen zu Populationen gibt es nicht, da es kein deutschlandweites Monitoring gibt. So steht es um einige der 25 heimischen Fledermausarten besser, um andere schlechter. Einige sind vom Aussterben bedroht. Problematisch ist, dass es immer weniger natürliche Lebensquartiere gibt."

Fledermäuse sind in Deutschland durch das Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt. Doch, so Sebastian Kolberg: "Der Fledermausschutz muss intensiviert werden. Zwar werden bei Gebäudesanierungen oder Baumfällarbeiten Ersatzquartiere geschaffen, doch viele Fledermäuse nehmen diese nicht an. Besser wäre es, Quartiere zu erhalten, statt neue zu schaffen."

Baby-Fledermaus-Rettungsplan Teil 2: der Fledermausturm

Ich hatte also die Verantwortung für dieses kleine, streng geschützte Wunder der Natur. Nun begann unter fachkundiger Anleitung durch BAT e.V. und NABU der zweite Teil des Abenteuers: die Planung für die Zusammenführung mit der Mutter.

Damit die Mutter ihr Junges gut orten und ungestört am Abend abholen könnte, sollte ich einen sogenannten Kuschelturm bauen – möglichst hoch und gut vor Katzen und Wildtieren geschützt. Auf diesen Turm, ich verwendete dafür eine Leiter, sollte ich eine glatte Schüssel stellen, an der das Kleine nicht hochklettern kann. In der Schüssel platzierte ich mittig eine mit warmem Wasser gefüllte Flasche. Darüber zog ich einen Strumpf, am dem sich die Fledermaus festhaken konnte. Das warme Wasser in der Flasche wärmte das Baby, während es auf dem Turm auf seine Mutter wartete. Sollte es von der Flasche klettern, so der Plan, würde es in der Schüssel landen.

Damit Baby und Mutter nicht gestört würden, bat ich alle Nachbar*innen, abends möglichst leise im Hof und auf den Balkonen zu sein. Immerhin galt es, ein Fledermausbaby zu retten. Alle reagierten großartig, einige halfen beim Bau des Turms oder steuerten notwendige Utensilien bei. Nach Sonnenuntergang herrschte Totenstille im Hof. Fledermäuse verbinden!

Dann kam der große Moment, ich setzte die Fledermaus auf den Turm. Aufgeregt kletterte sie auf und ab und suchte nach der Mutter. Es brach mir das Herz, das hilflose Tier allein in die Nacht zu entlassen. Ich knipste alle Lichter aus und beobachtete die Fledermaus vom Fenster aus. Um ein Uhr morgens schreckte ich auf und betrat vorsichtig die Terrasse. "Fledi" saß nicht mehr auf dem Turm. Sollte das heißen, dass der ganze Aufwand sich gelohnt hatte und der Plan aufgegangen war? Mein Bauchgefühl sagte mir, dass irgendetwas nicht stimmte. Mit einer Taschenlampe lief ich den Hof ab, leuchtete jede Ecke aus. Dann entdeckte ich es: Das Fledermausbaby versuchte gerade, an der Remise hochzuklettern. Ich war tieftraurig. Irgendwie musste es vom Turm gefallen sein.

Doch ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, füllte die Flasche wieder mit warmem Wasser und setzte das Kleine zurück auf den Turm. Früh am Morgen fand ich das Fledermausbaby zusammengekauert unter einem Stück Stoff in der Schüssel. Ich setzte das winzige Wesen auf ein Wärmekissen und war todunglücklich. Mit Tränen in den Augen rief ich erneut beim BAT e.V. an. Robert Henning tröstete mich und riet, die Fledermaus vorbeizubringen: "Die Handaufzucht ist sehr aufwendig. Das sollten Experten machen. Wir schauen uns das Kleine mal an." Kurz darauf saßen mein Hund, die Fledermaus und ich im Auto und fuhren nach Berlin-Spandau.

Die Handaufzucht ist sehr aufwendig. Das sollten Experten machen.
Robert Henning, BAT e.V.

Als ich im Fledermauskeller ankam, empfing mich Robert Henning. Zahlreiche Fledermäuse wackelten aufgeregt in kleinen Boxen. Ein großer Schwung Zwergfledermäuse war gerade abgegeben worden. Offenbar waren die erwachsenen Fledermäuse zusammen mit ihren Kleinen vor der extremen Hitze geflohen und hatten im kühlen Keller eines Altbaus Schutz gesucht. Ohne die Fledermäuse bemerkt zu haben, hatte ein Mieter die Fenster geschlossen. Viele Tiere verdursteten qualvoll, zahlreiche Fledermauskinder verloren so ihre Mütter. Ich übergab die Fledermaus einem Pfleger, der sie mit den Worten "Alles ist gut, Batman ist hier" entgegennahm. Doch war nun wirklich alles gut? Wie stand es um die Überlebenschancen des Babys?

"Sie, beziehungsweise er, denn es ist ein Männchen, ist vielleicht zwei Wochen alt", erklärte Robert Henning. "Ich gebe ihm 20 Prozent." Die Chance, dass seine Mutter es noch abholen würde, bestand. Aber auch das Risiko, dass es bei mir verhungerte. Also beschloss ich, "Fledi" im Fledermauskeller zu lassen.

Fledermäuse brauchen mehr Schutz

Ein Wochenende mit einem Fledermausbaby. Wow. Ein emotionales, trauriges und faszinierendes Erlebnis zugleich. Faszinierend, weil ich ein Geschöpf der Nacht aus nächster Nähe beobachten konnte, diese Perfektion der Natur in Miniaturformat bestaunen durfte. Traurig, weil es womöglich stirbt – genau wie die vielen anderen verwaisten Fledermauskinder. Und weil der Mensch diese wunderbaren Geschöpfe immer mehr aus ihren natürlichen Lebensräumen verdrängt und sie die Folgen von Insektensterben und Waldrodungen direkt betreffen. Und weil Fledermäuse in Neubausiedlungen keine Quartiere mehr finden, denn kleine Schlitze im Gebälk oder verlassene Dachböden gibt es in sterilen Neubauten nicht.

"Fledermäuse sind auf engagierte Ehrenamtliche angewiesen. Ohne die wichtige Arbeit der Freiwilligen würde es wohl noch schlechter um die Populationen stehen", sagt Sebastian Kolberg vom NABU. Doch auch Einzelpersonen können die Bedingungen für Fledermäuse verbessern. Die nachtaktiven Tiere freuen sich über Spalten in Gemäuern, Baumhöhlen und insektenfreundliche Gärten, in denen sie ausreichend Nahrung finden. Außerdem können spezielle Fledermauskästen angebracht werden, in die sie sich zurückziehen können, wenn es in ihrem Quartier zu warm wird. Und wer einmal eine hilflose Fledermaus finden sollte, weiß ja nun, was zu tun ist.

Außerdem auf ze.tt: Wer dachte, Fledermäuse seien gruselig, sollte sich diese Bilder ansehen