Im österreichischen Verfassungsgerichtshof offenbaren sich gerade peinliche Details zur Präsidentschaftswahl am 22. Mai. In 94 von 117 Bezirken (!) habe es Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung gegeben. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), deren Kandidat Norbert Hofer die Wahl knapp verloren hatte, wollte das nicht auf sich sitzen lassen – und zog vor Gericht.

Seit heute werden Zeug*innen aus den Bezirken befragt. Es ist das größte Beweisverfahren in der Geschichte des Gerichts und dauert vier Tage lang. Vor allem soll es darum gehen, wie die Stimmenauszählung in den einzelnen Bezirken konkret abgelaufen ist.

Zum Auftakt des Prozesses um die Gültigkeit der Wahl bestätigten Zeugen wesentliche Vorwürfe der rechtspopulistischen FPÖ. Bisher bekannt: Wahlhelfer*innen hätten Kuverts zu früh geöffnet, demnach zu früh ausgezählt, außerdem hätten Unbefugte – statt berufene Wahlhelfer*innen – die Stimmen ausgezählt. Das allein genügt aber noch nicht dafür, dass die Wahl wiederholt wird. Es müssen "relevante Rechtswidrigkeiten" vorliegen.

Die Kolleg*innen des Standard tickern live über die Ereignisse im Gerichtssaal – vor allem stechen bisher skurrile Erklärungsversuche der Zeugen à la "ich dachte, das passt schon so" auf Fragen der Richter*innen und Anwält*innen heraus.

Alle Zeug*innen bestätigten, dass das, was in den Wahlprotokollen behauptet wird, nicht stimmt. Dort steht, dass die Bezirkswahlkommissionen ab 9 Uhr ausgezählt hätten, doch das war laut Aussagen der Zeug*innen in den bisher verhandelten Bezirken nicht der Fall. Sie hätten den jeweiligen Bezirkswahlleiter*innen eben vertraut, so die einhellige Antwort der Zeug*innen auf die Frage, wie es dazu kommen konnte.

Die hier gesammelten Zitate stammen von Zeug*innen des Wahlbezirks Innsbruck-Land:

Perlen aus dem Gerichtssaal

"Ich bin davon ausgegangen, dass es korrekt war."

Zeuge 1, Wahlbeisitzer, auf die Frage, wieso er ohne nachzukontrollieren die korrekte Abwicklung der Stimmauszählung per Unterschrift bestätigte.

"Nein."

Der Wahlbeisitzer auf die Frage, ob er die Niederschrift des Wahlprotokolls vor der Unterzeichnung gelesen habe.

"Dass ich dabei sein kann, schon, aber nicht, dass ich muss."

Der Wahlbeisitzer auf die Frage, ob ihm klar war, dass er um 9 Uhr im Wahllokal anwesend sein musste – und nicht erst um 15.45 Uhr, als er dann mal kam, um die korrekte Auszählung zu bestätigen.

"Ich gehe davon aus."

Zeuge 2, Wahlleiter, auf die Frage, ob allen Mitgliedern im Wahllokal klar gewesen sei, wie das Prozedere zu verlaufen habe und was das Gesetz vorsehe.

"Ich bin davon ausgegangen, dass das so passt. Wenn ein Jurist am Werk ist, dann wird das so stimmen."

Zeugin 3, Wahlbeisitzerin, auf die Frage, wie sie erfahren habe, dass der Wahlleiter zusammen mit seinem Stellvertreter alleine (gesetzwidrig) die Stimmen auszählte.

"Kann mich nicht erinnern."

Die Wahlbeisitzerin auf die Frage, ob konkret geklärt wurde, was das Gesetz vorsehe und warum davon abgewichen worden sei.

"Für mich war ganz klar, wenn der Wahlhelfer dabei ist, dann wird das mit der Vorsortierung stimmen, das war immer so."

Zeuge 4, Wahlbeisitzerin, erklärt, dass ihm klar gewesen sei, dass eine Vorsortierung der Stimmen (gesetzwidrig) durch den Bezirkswahlleiter und Helfern geschehen müsse, "weil das sonst nicht zu schaffen ist".

"Ich kann mich nicht einmal erinnern, ob ich 2013 schon in der Wahlkommission war."

Zeuge 1 (erneut geladen), Wahlbeisitzer, auf die Frage, ob es stimme, dass einen Beschluss gebe, das Auszählen an den Leiter zu delegieren, und dieser aus dem Jahr 2013 stamme.

"Weiß ich nicht."

Zeuge 2 (erneut geladen), Wahlleiter, auf die Frage, wie viele Wahlkarten (gesetzwidrig) schon am Sonntag geöffnet wurden.

Zur Erinnerung: Diese Zitate stammen nur von Zeug*innen aus dem ersten Bezirk, Innsbruck-Land. Etwa 90 Zeug*innen sollen befragt werden.

Die Aussagen der Wahlbeisitzer*innen und Leiter*innen weiterer Wahlbezirke, die bis zum jetzigen Zeitpunkt angehört wurden, lesen sich ähnlich krumm. Wie es scheint, steht den Richter*innen in dieser Sache noch eine besonders interessante Woche bevor. Klar ist aber schon jetzt: Das Land Österreich wird an dieser Sache noch schwer zu knabbern haben – egal wie die Richter*innen letztlich entscheiden werden. Es ist eine Lose-Lose-Situation, wie der stellvertretende Chefredakteur der Salzburger Nachrichten schreibt.

Stellen die Richter*innen fest, dass es zwar Unregelmäßigkeiten gegeben habe, aber diese nicht zur Wahlwiederholung ausreichten, könnte die rechtspopulistische FPÖ und alle Verschwörungstheoretiker*innen sechs Jahre lang die Legende des gestohlenen Wahlsiegs aufrecht erhalten und sich als Opfer einer Intrige inszenieren.

Oder der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass das Wahlergebnis korrigiert werden muss, indem ein großer Teil der Briefwahlstimmen für ungültig erklärt werden. Dann könnte es passieren, dass es eine teilweise oder vollständige Wahlwiederholung geben wird. Und Österreich steht als Staat da, der es nicht hinbekommt, eine ordnungsgemäße Wahl abzuhalten.

Das Land kann also nur verlieren – und Schuld daran tragen nicht einmal die Rechtspopulist*innen, die die Wahl zurecht anfechten. Schuld daran trägt ein Wahlsystem, dass die Bezirke Österreichs komplett überfordert.