Es ist tatsächlich passiert. Meine Freundin Fiona hat im Internet jemanden kennengelernt. Dabei war ich gerade dabei, das Ganze für einen urbanen Mythos zu halten.

Die beiden schreiben sich täglich und lernen sich langsam kennen. Dabei kam das Gespräch aufs Thema Essen – Vorlieben, Abneigungen, Pizza, Rosenkohl, dies, das. Fiona ist gesunde Ernährung wichtig, Genuss aber noch mehr. "Ich habe geschrieben: ‚Gutes Essen, mit Liebe gemacht, ist das Beste‘. Dann hat er geantwortet: ‚Ich habe leider niemanden, der für mich kocht‘ und ich dachte direkt: 'Boah, nee! Wenn du ’ne Mutti willst, guck woanders!’ Aber…" Sie schweigt nachdenklich. Irgendwas läuft da verkehrt.

Die Stimme der Vergangenheit

Das Problem: Dass sie für ihn kochen soll, hat er überhaupt nicht gesagt. Was Fiona da gelesen und wahrgenommen hat, war die Stimme ihres Ex’. Genau so hat der sie nämlich jahrelang – ob bewusst oder unbewusst – manipuliert.

Beispiel? An seinem Geburtstag schrieb er: "Ich muss arbeiten und ganz alleine feiern, es geht mir wirklich nicht gut damit." Fiona – großes Herz, zu groß manchmal – hatte Mitgefühl und machte ihm einen winzigen Trost-Kuchen mit Erdbeeren. Aber kurz bevor sie sich treffen sollten, sagte er wieder mal ab. Begründung: Er fühle sich nicht nach Gesellschaft. Und die arme Fiona weinte enttäuscht ins Erdbeertörtchen.

Ähnliches wiederholte sich wieder und wieder in verschiedensten Variationen. Es dauerte Jahre, bis Fiona begriff, dass er ihre Liebe weder wollte noch verdient hatte. Nachvollziehbar, dass sie selbst heute noch extrem sensibel reagiert. Aber ist das fair? Nein. Und außerdem kontraproduktiv.

Wir sind, was wir erlebt haben

Das, was uns im Laufe unseres Lebens passiert, die guten und schlechten Erfahrungen, die Freude ebenso wie das Leid, prägen uns und machen uns zu den Menschen, die wir sind. Das lässt uns, bei entsprechender Reflexionsfähigkeit, wachsen. Es kann aber auch negative Spuren in der Seele hinterlassen. Wie Fionas Angst, ausgenutzt zu werden. Dann reagieren wir übersensibel.

Dass die emotionale Vergangenheit uns prägt, ist natürlich und unvermeidbar. "Wir können mit dem Verstand verstehen, aber erst mit Hilfe unserer Erfahrungen begreifen – das ist die Verbindung zwischen Kopf und Herz", erklärt Beziehungsexpertin Andrea Bräu. Im Grunde gilt auch beim Herzen das Prinzip der heißen Herdplatte: Man muss mindestens einmal selbst draufgefasst haben, um wirklich zu wissen, wie es sich anfühlt.

Angst essen Seele auf – und die Liebe

Problematisch wird es, wenn dieses emotionale Gepäck unser aktuelles oder künftiges Glück beeinträchtigt, wenn Erlebnisse aus der Vergangenheit ihre Schatten aufs Jetzt werfen und unsere Empfindungen und Handlungen beeinflussen.

Dahinter steckt laut Andrea Bräu oft ein verletztes, ängstliches Ego: "Das verhindert, dass wir glücklich werden. Das Schöne, Klare, die Liebe dahinter wird nicht sicht- und greifbar." Wer also die Angst vor wiederholter Verletzung und Zurückweisung nicht überwunden hat, kann nicht glauben, dass es jemand aufrichtig gut meint. Die Konsequenzen reichen von Misstrauen über Fehlinterpretationen bis hin zu regelrechten Unterstellungen. Und all das sabotiert mögliches neues Glück.

Vergangenheit ist vorbei

Doch dagegen kann man etwas tun. Wichtig ist in erster Linie, sich mit sich selbst und seinen Gefühlen auseinanderzusetzen, sich immer wieder die Frage: "Woher kommt dieser Gedanke jetzt wirklich?" zu stellen. "Spüren kann man das, wenn man sich nach innen wendet", sagt Andrea Bräu. Es sei zudem wichtig, sich bewusst zu machen, dass alles, was wir tun, letztlich auf eigenen Entscheidungen beruht: "Und es ist auch eine Entscheidung, ob negative Gedanken uns in neuen Beziehungen behindern."

Im Zweifel also ganz bewusst für den*die Angeklagte*n. Der neue Mensch kann schließlich nichts für den alten und hat einen Start-Bonus verdient – ob er*sie ihn dann wieder verspielt, steht auf einem ganz anderen, neuen Blatt.

Aber sich absichtlich und gegen gemachte schlechte Erfahrungen fürs Vertrauen zu entscheiden, das geht nicht ohne Mut und Abschluss mit dem, was war. "Die Vergangenheit ist passé und es lohnt sich nicht, Energie zu verschwenden, weil man sie nicht ändern kann", sagt Beziehungsexpertin Bräu. Nur, wer sich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt und mit ihr abgeschlossen hat, ist wirklich bereit für etwas Neues.

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