Trauer kommt in Wellen. Dazwischen ist es stunden- oder sogar tagelang ruhig und windstill. Wir erledigen Dinge, leben vor uns hin, alles könnte fast normal sein. Bis plötzlich ein Tsunami kommt – ausgelöst von einem Wort, einem Bild, einem Geruch, einer Begegnung – der uns mit Wucht umreißt, wegspült und alle Luft aus den Lungen presst.

Trauer ist die Folge von Verlust. Das kann eine Trennung sein oder auch eine Krankheit, durch die wir Fähigkeiten oder Körperteile verlieren. Der größte und endgültigste jedoch ist der Tod eines innig geliebten Menschen. Dabei geht jede*r von uns anders mit Verlusten und Trauer um. Das kann sich von Mensch zu Mensch, von Trauerfall zu Trauerfall und sogar von Minute zu Minute ändern.

Wir haben nicht die gleichen Bindungsmechanismen und -fähigkeiten und leben in kulturell verschieden geprägten Verbänden und Gemeinschaften. "Deshalb zu erwarten, dass alle gleich mit einem Verlust umgehen, wäre ein Irrtum", bestätigt Autor und Trauerforscher Professor Hansjörg Znoj von der Uni Bern.

Grief is the price you pay for love, you see. So it's all right.“ – aus

"Wir haben alle ein unterschiedliches Trennungsverhalten – und die Menschen, oder die Situationen, die wir verloren haben, unterscheiden sich ebenfalls", sagt auch die Schweizer Buchautorin und Psychologie-Professorin Verena Kast. "Mit der Trauer lösen wir uns von einer Beziehung zu einem geliebten Menschen, aber auch von der Beziehung von etwas, das uns sehr wichtig war. Wir nehmen die mit der Trauer verbundenen Gefühle – und es sind verschiedene – wahr und kommen dadurch wieder mehr zu uns selbst."

Ich stelle mir Gefühle vor wie Schichten oder Lagen; es gibt immer mehrere zur gleichen Zeit, aber es sind eben nicht immer dieselben ganz oben.

Zwischen Tränen und Tanzen

Manchmal ziehen wir uns zurück und weinen, manchmal schluchzen wir öffentlich. Manchmal gehen wir tanzen bis zur Erschöpfung, manchmal liegen wir tagelang nur rum. Manchmal trinken und futtern wir, manchmal bekommen wir keinen einzigen Bissen runter. Manchmal wollen wir einfach abhauen, manchmal sind wir wie gelähmt.

Und manchmal flüchten wir uns in irgendwas, zum Beispiel die Arbeit oder rettende Tagträume, weil es sonst schlicht nicht zu ertragen wäre.

Gehört sich das?

"Innerhalb einer bestimmten Gesellschaft bilden sich mehr oder weniger starke Vorstellungen aus, wie jemand um einen engen Angehörigen oder auch verstorbenen Partner trauern soll. Die Forschung hat dies aufgegriffen und spricht von Mythen der Trauerreaktion", erklärt Professor Znoj. "So zum Beispiel wird in unserer westlichen Gesellschaft immer noch der Witwer oder die Witwe geächtet, die sich offensichtlich erleichtert fühlt und man glaubt ihm oder ihr nicht, dass der Partner wirklich geliebt wurde."

Dabei kann sich der*die Trauernde in einer Sekunde erleichtert und in der nächsten bestürzt fühlen oder sogar beides zugleich. Ob irgendwas davon angemessener ist oder wie lange die Trauer dauern muss, lässt sich nicht definieren; es gibt dafür keine Faustregel. Jede*r braucht das, was er*sie braucht, um die Trauer zu verarbeiten und es dauert genau so lange, wie es dauert.

Das traditionelle Trauerjahr, in dem eine Witwe zehn Monate lang Schwarz trug und nicht wieder heiraten durfte, ist ein überholtes Relikt aus der Vergangenheit. An eines erinnert diese veraltete Sitte trotzdem: Trauer verdient und braucht eine gewisse Zeit, ebenso Raum. Eine Weile gehört der Schmerz zum Alltag, in all seinen Formen. Das dürfen wir nicht vergessen – ganz gleich, ob wir selbst von Trauer betroffen sind oder ein*e Freund*in. Liebevolle Nachsicht und Geduld mit sich und anderen, ohne das geht es nicht.

Und niemand, wirklich niemand, muss sich für seine Trauer schämen.

Was hilft, um damit klarzukommen?

Vor allem müsse man die Verlustreaktion ertragen und den Schmerz und die Einsamkeit aushalten lernen, sagt Professor Znoj. "Dabei darf man sich aber durchaus auch ablenken. Das sollte man sogar, weil dieser Prozess viel Kraft kostet." Sport treiben, etwas Schönes genießen, Lieblingsmusik hören und ja, auch tanzen. Allerdings sollten wir darauf achten, dass wir nicht verdrängen und der innere Umbauprozess, die Anpassung an das Leben mit dem Verlust, stattfinden kann.

Zudem sollten wir die Beziehungen pflegen, die uns gut tun und gut für uns sorgen, erklärt Professorin Verena Kast. "Die Gefühle zulassen", das sei wichtig. Sie schlägt vor, über den Verlust und den*die Verstorbene*n zu sprechen: "Bildhaft Geschichten erzählen vom Leben, das man hatte. Sich erinnern, was gut war, welche Freuden und Interessen man hatte. Die können auch wieder nach und nach ins eigene Leben aufgenommen werden."

Also in guten Momenten zusammen rumsitzen, die alten Geschichten erzählen. Oder vergilbte Fotos anschauen, die Augen schließen, uns erinnern. Verena Kast: "Durch den Trauerprozess wird das, was man miteinander erlebt oder geschaffen hat, in die Erinnerung zurückgeholt. Dabei wird auch deutlich, was der verstorbene Mensch in einem geweckt hat."

Oder auch: Wenn wir jemanden jahrelang innig geliebt haben und zurückgeliebt wurden, dann ist das nicht einfach weg. Der Mensch ist nicht mehr physisch anwesend, aber die Liebe verschwindet nicht. So ähnlich formuliert es auch Trauerforscher Znoj: "Wir können der verstorbenen Person verbunden bleiben, aber es braucht eine lange Zeit, bis wir keine bestätigenden Signale mehr erwarten."

Die Wellen werden mit jedem Mal ein bisschen kleiner, flacher und kommen seltener. Dabei ist jede Art zu trauern okay – Hauptsache, sie hilft dem Herzen beim Überleben. Das Wichtigste ist jedoch, dass wir mit unserem Kummer nicht allein sind. Oder wie Professor Znoj sagt: "Menschen sind soziale Wesen und sie brauchen einander, besonders auch in Zeiten der Trauer."