Immer wieder gibt es Diskussionen über Kleidervorschriften an Schulen. Aktuelles Beispiel: die neu eingeführte Kleiderordnung an einer Hamburger Schule. In der aktualisierten Hausordnung ist nun festgeschrieben, dass "alle Mitglieder der Schulgemeinschaft eine der Institution Schule und der Atmosphäre des Lernens und Lehrens angemessene Kleidung" zu tragen haben (PDF). Bei sommerlichen Temperaturen sei deshalb auf "übertiefe Dekolletés, bauchfreie Shirts, pofreie Shorts, zu kurze Röcke etc." zu verzichten.

Dass diese Regeln in den meisten Fällen natürlich die Kleiderwahl von Mädchen betreffen, liegt auf der Hand. Dennoch findet dieser Sexismus in den meisten Berichten und Kommentaren kaum Beachtung.

Sexistische Kommentare unter dem Deckmantel des Respekts

Dieses eigentlich unübersehbare Detail offenbart sich vor allem in den Diskussionsbeiträgen im Netz. Viele Online-Portale werden nicht müde, immer wieder über das Thema debattieren zu lassen: "Sind Sie für oder gegen ein Verbot von Kleiderordnungen an Schulen? Dürfen Schulen den Schüler*innen wirklich vorschreiben, was sie anzuziehen haben?" Ein dankbares Thema um das Sommerloch zu füllen: Viele Nutzer*innen diskutieren fleißig mit – und offenbaren dabei unbewusst den Sexismus der Kleidervorschriften.

Unter dem Vorwand des respektvollen Umgangs miteinander, den die Kleiderordnungen angeblich zu unterstützen gedenken, schlägt eine sexistische Äußerung die andere. Beispielsweise freut sich eine Userin über die neuen Vorschriften an der Hamburger Schule: Jetzt dürften Mädchen nicht mehr wie Prostituierte gekleidet den Unterricht aufsuchen. Ein anderer Nutzer ist sich sicher, dass die männlichen Schüler nun nicht mehr von den tiefen Ausschnitten der Mädchen abgelenkt werden. Selbst von Lehrern ist die Rede, die nicht mehr konzentriert ihrer Arbeit nachgehen könnten. Ein User ist gar der Meinung, dass mit dem Verbot von freizügiger Kleidung zukünftig vermutlich weniger Vergewaltigungen stattfinden werden.

Sexismus unter der Oberfläche

Diskriminierende Denkmuster dieser Art sind so tief in unserer Gesellschaft verankert, dass sie gar nicht mehr als solche zur Kenntnis genommen werden. Denn weder die Kommentierenden noch die Verantwortlichen für die Kleidervorschriften an Schulen scheinen ihren Sexismus zu bemerken.

Mädchen sollen sich wie selbstverständlich in ihrer Kleiderwahl einschränken, damit die Jungen und erwachsenen Männer sich auf den Unterricht konzentrieren können. Im Übrigen auch eine Beleidigung der männlichen Schüler, denen hier eine stereotype männlich-aggressive Sexualität unterstellt wird, die sie scheinbar nur schwer im Zaum halten können. Von den erwachsenen Lehrkräften mal ganz zu schweigen, denen ein konzentriertes Arbeiten beim Anblick entblößter Kinderbäuche und -beine angeblich unmöglich ist. Eine kollektive Beleidigung einer ganzen Berufsgruppe, der hier schon beinahe pädophile Phantasien unterstellt werden.

Ein heranwachsendes Mädchen kann nach diesen Vorschriften nur lernen, dass sein Körper Anlass zur sexuellen Provokation ist und deshalb bedeckt gehört. Auch um sich selbst vor Übergriffen zu schützen. Ein fataler Denkfehler, der in seiner Argumentation dem Prinzip des Victim Blamings folgt: Wenn sich die Schülerin zu freizügig kleidet, trägt sie demzufolge mindestens eine Teilschuld an einem möglichen Übergriff.

Folgen sexistischer Kleidervorschriften

Was also erreichen die Schulen mit so einer Kleiderordnung? Sie tragen letztendlich zur unnötigen Sexualisierung von Mädchen im Kindes- und Jugendalter bei. Dabei sollte kein Mädchen sich dafür verantwortlich fühlen, was die Jungen oder erwachsenen Männer über ihren mehr oder weniger verhüllten Körper denken könnten.

Sexistische Kleidervorschriften an Schulen sind schlichtweg der falsche Ansatz: Vielmehr sollten männliche Schüler und Lehrer lernen, dass Mädchen das Recht haben, sich so anziehen, wie sie es für richtig halten. In der Praxis stellt dies häufig auch gar kein Problem dar. Bis die autoritäre Regelinstanz eingreift.

Als ich in der sechsten Klasse war, wurde eine Schülerin nach Hause geschickt, weil ihr Top ein Stückchen Bauch freiließ. Nach diesem Vorfall war sie bei den Jungen der Klasse geradezu als Flittchen gebrandmarkt, obwohl zuvor niemand die angeblich so provozierende Kleidung bemerkt hatte. Erst die Ahndung des Kleiderverstoßes war das entsprechende Signal für die männlichen Schüler, das zwölfjährige Mädchen von nun überhaupt erst als sexuelles Wesen zu betrachten.

Erst nachdenken, dann reglementieren

Davon auszugehen, dass Mädchen willentlich mit knapper Kleidung provozieren, ist eine deplatzierte Anmaßung der reglementierenden Schulen. Vielleicht sollte man, so banal es klingen mag, einfach mal auf die Idee kommen, dass es bei warmem Wetter angenehmer ist, leichte Kleidung zu tragen.

Deshalb liebe Schulen: Seht bitte von diesen sexistischen Kleidervorschriften ab. Männliche Schüler und Lehrer müssen den Anblick von leichtbekleideten weiblichen Schülerinnen aushalten können. Nicht die Mädchen sollten sich diesen Maßstäben beugen müssen. Das haben sie nämlich schon viel zu lange getan.