Maher sitzt auf einem schlichten Holzstuhl in einer Flüchtlingsunterkunft im niederrheinischen Örtchen Alpen. Mit Sperrholzwänden wurde dort in einer ehemaligen Tennishalle eine provisorische Bleibe eingerichtet. Ich habe mich mit dem 26-Jährigen verabredet, um mit ihm über seine Flucht und sein neues Leben in Deutschland zu sprechen.

Seit drei Monaten lebt Maher in Deutschland. Die Flüchtlingsunterkunft findet er in Ordnung, nur eines stört ihn: Die kleinen Räume haben keine Decke. Wirklich ruhig hat er es nie in seinem Zimmer, dass er sich mit weiteren Flüchtlingen teilt. Maher wünscht sich Ruhe, damit er für seinen Deutsch-Sprachkurs lernen kann.

Oft muss er einfach nur die Zeit totzuschlagen. Wenn er fertig gelernt hat, sitzt er mit anderen Flüchtlingen zusammen. Sie reden über die Situation in Syrien und über die aktuellen Entwicklungen in Deutschland. Auch die Angriffe in der Kölner Silvesternacht sind ein Thema. Die Flüchtlinge verurteilen die Tat, haben Angst, mit Vergewaltigern in einen Topf geworfen zu werden.

Kein Strom, wenig Wasser, keine Verbindung zur Außenwelt

Maher kommt aus der syrischen Stadt Deir ez-Zor. Er besuchte dort die Universität, machte seinen Bachelor in englischer Literatur und wollte anschließend den Master machen. Sein Ziel war es, Englischlehrer zu werden. Als die Proteste gegen Assad anfingen, freute sich Maher zunächst. Die Hoffnung auf etwas Besseres war da. "Was fehlte?", frage ich. "Das Leben", antwortet Maher. Mehr will er über die Situation in Syrien nicht sagen. Teile seiner Familie wohnen noch dort, alles könnte sie in Gefahr bringen.

Wenn Maher über die Lage in seiner Heimatstadt vor der Flucht spricht, klingt seine Beschreibung düster. Er wohnte im Stadtkern von Dair Al-Sor, den die syrische Armee verteidigte. Rundherum IS-Truppen. Nur zwei Viertel der Stadt waren in der Hand der Regierung, unter anderem das Viertel in der Nähe des Flughafens, auf dem Nahrungsmittel und Hilfslieferungen ankamen. Doch der IS riegelte das Viertel ab. Keine Nahrung gelangte hinein, keine Person heraus. Auch die Regierung versuchte zu verhindern, dass die Bewohner flüchten, und baute selber Sperrzonen. Es kam zu Krankheiten und Epidemien. Die Einwohner hatten keinen Strom, wenig Wasser, wenig Nahrung und keine Verbindung zur Außenwelt.

Schließlich floh Maher mithilfe einer Schlepperbande. Gegen eine Geldzahlung schleusten sie ihn aus der eingeschlossenen Stadt und in die Türkei. Umgerechnet rund 500 Euro kostete ihn das. Als er in der Türkei ankam, lernt Maher zwei andere Flüchtlinge kennen. Fortan blieben sie auf der Flucht zusammen. Mit dem Bus fuhren sie in die türkische Küstenstadt Izmir und trafen sich dort mit einem "Schmuggler", wie Maher den Schlepper nennt. Als das überfüllte Schlauchboot morgens um 6 Uhr in Richtung Griechenland abfuhr, war keiner der Schlepper selber mit an Bord.

In der Türkei zu bleiben, war für Maher keine Option, obwohl er dort Bekannte hat. Eine wirkliche Chance für Flüchtlinge sehe er in der Türkei nicht. Sie würden ausgebeutet, bekämen für Arbeit oft kein oder nur wenig Geld. Auch die anderen Nachbarländer Syriens seien keine Alternative, sie würden ihre Grenzen vor den syrischen Flüchtlingen schließen.

Von Griechenland aus kam Maher schließlich nach Deutschland. Hier zieht sich sein Asylverfahren in die Länge, genau wie das vieler anderer Flüchtlinge. Er bleibt aber gelassen. Wenn er die Möglichkeit bekommt, in Deutschland zu bleiben, möchte Maher endlich seinen Master in englischer Literatur machen. Wer sein englischer Lieblingsautor ist, verrät er mir auch: "Shakespeare".