Zur 69. Berlinale in Berlin stellen wir euch Kurzfilme und Dokumentationen vor, die gesellschaftliche Strukturen hinterfragen, Minderheiten Sichtbarkeit geben und zum Nachdenken anregen. Die Übersicht aller Beiträge findet ihr hier.

Ron van der Putten sieht aus, als wäre er in seine Lieblingsserie vertieft. In Shirt und kurzer Hose hängt er bequem im Sitz seines Führerhäuschens, die Beine hat er hochgelegt. Allerdings blickt er nicht auf einen Bildschirm, sondern durchs Fenster auf den Kanal hinaus. Mit der linken Hand justiert er ab und an den Kurs seines Frachters.

Van der Putten ist Schiffsführer eines Binnenschiffs – eines Frachters, mit dem er und seine Crew Güter über Flüsse, Kanäle und Seen transportieren. So entspannt, wie van der Puttens Kapitänsjob aussieht, sei er in Wirklichkeit nicht, erklärt er. Als Schiffsführer müsse er sich permanent konzentrieren, damit der Frachter auf Kurs bleibt und nicht in die Kanalmauern kracht.

Die Binnenschifffahrt ist eine Welt, die man nur flüchtig von der Uferseite kennt. Die Filmemacherin Eva Könnemann gibt in ihrem Kurzfilm Welt an Bord einen detaillierteren Einblick in das Leben auf den Frachtschiffen. Laut Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) bemisst sich die Größe der deutschen Binnenflotte im Jahr 2017 auf circa 1.900 Schiffe. Auf einem Frachter sind meist je sechs Personen tätig. Zwei Wochen haben sie Urlaub, zwei Wochen arbeiten sie durchgängig an Bord. Kanäle und Flüsse rauf und runter, durch Schleusen, in Häfen, Frachter ent- und beladen – und weiter geht die Fahrt.

Bei den Recherchen für einen anderen Film kam Eva Könnemann zum ersten Mal an einer Schleuse ins Gespräch mit der Crew eines Binnenschiffs – und sie war sofort fasziniert von dem Beruf, berichtet sie. Könnemann begann davon zu träumen, selbst einmal einen Frachter zu besitzen und Güter umherzufahren. "Die romantische Vorstellung, die ich am Anfang hatte, hat aber mit der Zahl der Fahrten ihren Zauber verloren", sagt die Filmemacherin. Als sie für die Aufnahmen an Bord von Binnenschiffen ging, stellte sie fest, dass der Alltag sich mit der Zeit sehr repetitiv gestaltet.

Die romantische Vorstellung, die ich am Anfang hatte, hat aber mit der Zahl der Fahrten ihren Zauber verloren.
Eva Könnemann

Das Leben an Bord ist wie WG-Alltag

In einer anderen Szene von Könnemanns Film steht die Crew eines Frachters an Deck. Drei Männer in T-Shirts, entspannt wie bei einem Angelausflug. Der Kahn liegt im Hafen, ein Kran greift sich die Kohleladung aus dem Frachtraum und trägt sie an Land. Die Männer wechseln sich dabei ab, mit einem Wasserschlauch Richtung Kohle zu spritzen, um den umherwirbelnden Staub einzudämmen. Sie tragen ernste Mienen im Gesicht, gesprochen wird kaum.

Doch auf Binnenschiffen gehe es in der Regel nicht bierernst zu, bekräftigt Eva Könnemann, es werde viel gescherzt. Morgens werde auf vielen Schiffen gemeinsam gefrühstückt und der Tag besprochen, manche Crewmitglieder würden für alle kochen. Die Atmosphäre sei wie in einer großen WG, berichtet die Filmemacherin von ihren Drehs.

Dennoch: Der Job sei anstrengend. Nicht nur körperlich, sondern auch für die Psyche. Auf den Schiffen gebe es kaum Rückzugsmöglichkeiten. Jedes Crewmitglied bewohne zwar eine eigene Kabine, die seien aber in der Regel gerade groß genug für ein Bett.

Frauen sind deutlich in der Unterzahl

Die Ausbildung zum*r Bootsmann*frau dauert drei Jahre. Sie lässt sich auf dem Schulschiff Rhein in Duisburg absolvieren oder im Binnenschiffer-Ausbildungs-Zentrum in Schönebeck. Um in der Hierarchie aufzusteigen, braucht man Fahrtzeit – sie wird in einem Schifferdienstbuch dokumentiert. Nach drei bis fünf Jahren auf dem Wasser kann man einen Schein zum*r Steuermann*frau machen. Weitere Patente führen schließlich in den Rang des*der Schiffsführer*in.

Frauen an Bord eines Frachtschiffes sind der Filmemacherin Eva Könnemann bei ihren Dreharbeiten selten begegnet. Sie sind rar in der Branche: Laut dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) arbeiteten 2017 4.017 Männer und 242 Frauen in der Binnenschifffahrt. Auf dem Schulschiff Rhein haben 2017 circa 290 Menschen ihre Ausbildung absolviert, etwa acht Prozent davon waren Frauen. Die meisten Absolventinnen arbeiten im Anschluss nicht auf einem Frachter, teilt die Schule mit, sondern suchen sich Jobs auf Flusskreuzfahrt- oder Tagesausflugsschiffen. Die meisten Frauen hätten keine große Lust darauf, wochenlang unter Männern zu verbringen, lautet die Einschätzung der Schule.

Immerhin eine Schiffseignerin hat Eva Könnemann für Welt an Bord gefunden. Auch sie sitzt entspannt in ihrem Sessel, der Blick geht konzentriert geradeaus. Es ist ganz ruhig in ihrem kleinen Brückenhäuschen. Nur der Motor ist zu hören, der den Frachter über das wellenarme Wasser gleiten lässt. 15 Stundenkilometer können die Schiffe fahren, auf den Kanälen sind sie meist langsamer unterwegs. Es ist ein entschleunigtes Leben, das Schiffsführer*innen und Bootsmänner*frauen führen.

"Man muss sich Gelassenheit angewöhnen", sagt Eva Könnemann. "Manchmal liegt man drei Tage im Hafen und muss warten, bis die Fracht entladen werden kann. Und dann dauert es wieder ewig, bis der Anruf mit dem nächsten Auftrag kommt."

In der Zeit dazwischen werde ferngesehen oder auf dem Smartphone rumgedaddelt, sofern Netz da ist. Manche Crewmitglieder würden sich die Zeit mit Musikmachen oder backen vertreiben.

Eva Könnemanns 29-minütiger Film fängt die Ruhe an Bord in Bildern wie Stillleben ein. Wie Binnenschiffe geruhsam durch Schleusen fahren; wie Passant*innen auf Brücken stehen bleiben, um Fotos von den trägen Schiffen zu schießen; wie ein Bootsmann gelassen die Reling streicht. Als nächstes will Könnemann einen Spielfilm über die Binnenschifffahrt drehen. Darin soll eine Frau das Männerleben an Bord aufmischen.