Wer oder was sind FLINT-Personen? Wann benutzt man den Begriff queer? Und wie ist Rassismus definiert? In politischen Diskussionen werden heutzutage oft Begriffe und Codes benutzt, die einigen völlig unbekannt sind und vielleicht sogar einschüchternd wirken können. Diesem Problem will sich der Instagram-Account erklär mir mal annehmen: Einmal pro Woche erklärt das 15-köpfige Team einen Begriff oder Sachverhalt in einem IGTV-Video und holt Expert*innen dazu, die von ihren Erfahrungen mit dem Thema erzählen oder ihr Wissen einbringen. Die Begriffe kommen aus den Bereichen Queer und Feminismus, (Anti-)Rassismus, Politik und Gesellschaft sowie Open Space.

Den Instagram-Account gibt es seit Mai, die Idee dafür stammt von Maja Bogojević. Mittlerweile wird das Projekt erklär mir mal von ComE In – Community, Empowerment, Intersektional gefördert, einem Programm des Migrationsrats Berlin. Die jungen Menschen von erklär mir mal kennen sich aus dem Studium oder von verschiedenen aktivistischen Veranstaltungen, eigentlich sind sie Studierende, Journalist*innen, Pädagog*innen und Filmemacher*innen. Für den Instagram-Account haben sie die verschiedenen Aufgaben von der Moderation und Recherche über Supervision und Produktion bis hin zu Illustration und Schnitt unter sich aufgeteilt.

Dabei sind neben Maja auch Brenda Geckil, Moderator*in im Bereich Queer und Feminismus und Naima Limdighri, die Recherche für Politik und Gesellschaft betreibt. Wir haben mit ihnen über den Account gesprochen.

ze.tt: Maja, Brenda, Naima, seit Mai gibt es den Instagram-Account erklär mir mal. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Maja: Ich habe schon länger darüber nachgedacht, wie man das ganze Wissen, das es in aktivistischen und akademischen Kontexten gibt oder das sich aus den Erfahrungen von Menschen nährt, bündeln und für alle zugänglich machen kann. In vielen Kontexten wird heute mit Codes gearbeitet, mit Begriffen, die nur Leute verstehen, die sich dort bewegen. Wir wollten die Barrieren, die dabei entstehen, aufbrechen. Dafür habe ich Leute aus meinem eigenen Bekanntenkreis rekrutiert. Wir haben einen Bildungsanspruch, aber auch einen Empowerment-Anspruch.

Warum habt ihr euch entschieden, diese Begriffe ausdrücklich aus der (post-)migrantischen und queeren Perspektive zu erklären?

Brenda: Zum einen hat es einen Repräsentationscharakter: Menschen mit Migrationsgeschichte sind in den Medien unterrepräsentiert. Aber es geht nicht nur um die Sichtbarkeit vor der Kamera, sondern auch darum, die eigenen Narrative in die Debatte einzubringen. Wir wollen ein Verantwortungsbewusstsein bei jungen Menschen etablieren, vor allem im Umgang mit Sprache. Es geht außerdem um Kompetenzentwicklung für Menschen, die selbst betroffen sind.

Maja: Repräsentation alleine wird uns nicht retten. Wir müssen uns in den politischen Diskurs einmischen.

Wie wählt ihr denn die Expert*innen aus, die in euren Beiträgen zu Wort kommen?

Naima: Aktuell ergeben sich Sachen oft aus eigenen Kontakten. Mit zunehmender Professionalisierung würden wir uns wünschen, dass das langfristiger geschehen kann und wir einen Pool an Menschen aufbauen, mit denen wir gerne zusammenarbeiten wollen. Die Intersektionalität zwingt uns dazu, uns mit anderen Realitäten auseinanderzusetzen, die bei uns nicht stattfinden. Wie man Expert*innen auswählt, ist am Ende daran geknüpft, aus welcher Realität man kommt. Man muss an der Stelle hinterfragen: Warum zitiere ich schon wieder einen weißen Kriminologen und nicht Vanessa Thompson, eine Schwarze Frau, die dieselbe Arbeit macht?

Maja: Wir wollen generell die Idee von Expert*innentum hinterfragen. Wer gilt für welche Themen eigentlich als Expert*in? Bei uns können auch Menschen ohne Ausbildung, aber mit Erfahrungswissen, Expert*innen sein. Das ist ja eine in unserer Gesellschaft gängige Denke: Dass man einen Masterabschluss haben muss, damit der eigenen Position Wert zugeschrieben wird.

Repräsentation alleine wird uns nicht retten. Wir müssen uns in den politischen Diskurs einmischen.
Maja

Und wie entstehen eure Beiträge? Wie wählt ihr die Themen aus?

Naima: Einmal pro Woche veröffentlichen wir einen Videobeitrag. Im Team sammeln wir Begriffe, die wir thematisieren wollen. Am Anfang sind wir dabei nach Trial and Error gegangen und haben vieles nach Aktualität behandelt. Dann haben wir aber schnell eingesehen, dass es noch keinen Sinn macht, zum Beispiel über Outsourcing zu reden, wenn wir noch gar nicht so richtig über ausbeuterische Lohnverhältnisse gesprochen haben. Du kannst ja auch nicht direkt bei Marx anfangen, sondern musst früher ansetzen, beim Konstrukt vom Staat. Deshalb wählen wir unsere Themen jetzt kleinteiliger und verfolgen eine sinnige Chronologie, die sich in ihrer Komplexität steigert – anstatt Menschen direkt zu überfordern und wieder in die Akademiker*innenblase zu rutschen.

Immer wieder heißt es, die Debatten heute werden durch die vielen neuen Begriffe, die ihr erklärt, verkompliziert. Man dürfe "nichts mehr sagen". Was antwortet ihr darauf?

Brenda: Dieses "nichts mehr sagen dürfen" klingt für mich total defensiv. Dabei ist die einzige Forderung, sich gegenseitig zu respektieren. Dazu gehört eben auch, größere Dynamiken infrage zu stellen und sich mit strukturellen Ungleichheiten auseinanderzusetzen. Es geht gar nicht darum, dass jede*r alles wissen kann, jeden Begriff versteht und so spricht, dass die meisten Menschen inkludiert werden. Es geht vielmehr darum, dass man den Willen hat, sich selbst zu reflektieren und dass es eine Priorität ist, sich weiterzubilden und Kritik annehmen zu können. Gleichzeitig ist dieses "man darf nichts mehr sagen" eine Täter-Opfer-Umkehr, es unterstellt eine Art Meinungsdiktatur – und das geht völlig entgegen unserem Wissen über hegemoniale Strukturen.

Naima: In die Kritik zu gehen, sobald es um eine inhaltliche Auseinandersetzung geht, die ein bisschen tiefer geht und sich mit den Lebensrealitäten der Menschen auseinandersetzt, finde ich faul. Wenn diese vermeintliche Kritik von jüngeren Menschen über die Political-Correctness-Schiene kommt, dann finde ich es nicht nur faul, sondern ignorant. Ich komme selbst aus einem familiären Kontext, wo diese ganzen Diskussionen als problematisch empfunden werden und stoße an meinem eigenen Esstisch immer wieder an Grenzen. Ich finde es auch einen guten Realitätscheck, zu sehen: Menschen kommen teilweise nicht mit. Aber ich würde da auch meiner Familie einfach eine gewisse Faulheit und Ignoranz unterstellen. Ich weiß, dass ihnen oft die Ressourcen gefehlt haben, aber wir bieten genau diese Ressourcen, online und kostenlos.

Maja: Ich finde es verschiedenen Communities gegenüber respektlos. Leute können sich nicht daran anpassen, dass andere nicht mehr "Ausländer*in" genannt werden möchten, sondern sich lieber selbst benennen. Wenn man auf diese Leute keine Rücksicht nimmt, die in der Gesellschaft schon immer marginalisiert wurden und jetzt Forderungen formulieren, ist das respektlos.

Naima: Morgen wieder marginalisierte Menschen ernst nehmen – gar keinen Bock.

Brenda:

(lacht) Interessant ist auch, dass diese Aussage meistens von weißen Menschen getätigt wird.

Wenn jüngere Menschen über die Political-Correctness-Schiene kommen, finde ich es nicht nur faul, sondern ignorant.
Naima

Gerade über Rassismus wird aktuell viel gesprochen, auch von weißen Menschen. Häufig wurde da kritisiert, wer zu Talkshows eingeladen wird und öffentlich in der Debatte zu Wort kommt. Wie seht ihr das: Gute Sache, aber die "falsche" Perspektive?

Brenda: Wie Medienhäuser oder auch große Marken das Thema ansprechen, hat ganz klar damit zu tun, wie diese Diskurse in den Mainstream überschwappen – das gilt für Rassismus wie zum Beispiel für queere Themen. Besonders nach dem Tod von George Floyd und den vielen Black-Lives-Matter-Protesten haben viele Firmen versucht, das für sich zu nutzen, zum Beispiel mit dem Black-Out-Tuesday. Damit haben sie dann zwar etwas gemacht, aber es bleibt inhaltslos und bringt den Diskurs nicht voran. Beim Black-Out-Tuesday hat man gesehen, dass das auch kontraproduktiv ist. Da wurde oft kritisiert, dass die schwarze Kachel viele Updates zu Protesten oder Aufklärungsarbeit übertönt hat. Ähnlich ist es mit den Talkshows: Wenn drei Leute eingeladen werden, die eigentlich derselben Meinung sind und dazu eine, die die (post-)migrantische Perspektive einnehmen soll und vor laufender Kamera zerstückelt wird, wurde es zwar angesprochen, bleibt aber kontraproduktiv.

Naima: Und es werden Menschen eingeladen, die vermeintlich – aufgrund ihrer Position oder ihres Aussehens – eine gewisse Perspektive im Diskurs einnehmen. Das gaukelt uns ein völlig falsches Bild von dem vor, was Vielfalt bedeutet – nämlich pure Repräsentation. Ein Parteipolitiker Cem Özdemir hat mit mir nichts gemein. Was fehlt, ist eine materielle Auseinandersetzung mit den Lebensrealitäten, über die wir sprechen. Das würde ich dann auch nicht unbedingt die falsche Perspektive nennen, sondern den falschen Unterbau.

Maja: Der Rassismus-Diskurs in Deutschland hinkt Jahre hinterher. Seit Ewigkeiten betreiben Migrant*innen-Selbstorganisationen und BIPoC-Initiativen diese Arbeit, die einfach nicht sichtbar ist. Dann kommt das Thema wieder hoch und Leute fragen: Gibt es denn überhaupt Rassismus in Deutschland? Und dann müssen wir erst mal wieder beweisen, dass diese strukturellen Machtungleichheiten existieren. Dabei wollen wir eigentlich viel später anknüpfen.

Naima: Wenn man sich das wie ein Alphabet vorstellt: Andere Länder sind schon bei F angekommen, und wir sind nicht mal bei B.

Wenn Medienhäuser und große Marken Rassismus ansprechen, bleibt es oft inhaltslos und bringt den Diskurs nicht voran.
Brenda

Wie schafft man es denn, zum B zu kommen – und noch weiter? Wie kann man gerade für die (post-)migrantische und queere Perspektive in Deutschland eine ausreichende Plattform schaffen?

Brenda: Es gibt sehr viele Menschen, Gruppen und Organisationen, die dazu viel Wissen haben. Es fehlt nicht am Inhalt und der Bereitschaft der Menschen, diesen Inhalt aufzuarbeiten. Das Problem ist, dass das dann meistens ehrenamtlich oder mit sehr kleinem Budget passiert. Das sortiert auch wieder, wer zu Wort kommt. Man bräuchte Plattformen, wo Leuten der Raum geboten wird, über Themen zu sprechen, die ihnen wichtig sind. Aber ohne, dass sie sich gleichzeitig ausbeuten müssen.

Maja: Es bedarf aber auch einer Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft. Migrant*innen-Selbstorganisationen und Widerstände gab es schon, bevor es Gastarbeiter*innen in Deutschland gab. Aber sie werden konstant klein gehalten. Das ist auch das, was wir ganz oft sagen: Wir erfinden hier bei

erklär mir was nichts neu, sondern beziehen uns auf bestehendes

Wissen aus den Communities. Das wird seit so langer Zeit gesagt. Aber die Mehrheitsgesellschaft muss auch zuhören – damit auch wir uns nicht wieder einen aberklären, ohne dass es am Ende erhört wird.