Bevor Soldat*innen in den Krieg ziehen, werden ihnen die Köpfe geschoren. Dieser Militärbrauch ist alt und einerseits einfach eine Hygienemaßnahme. Auf der anderen Seite führt er aber zu etwas, das das Wesen vieler Kriege ist: Soldaten werden einander gleich gemacht. Im Bootcamp sollen sie nicht nur zu Tötungsmaschinen, sondern auch zu Geschwistern werden. Diese Gleichmacherei ist auch ein Versprechen: Das Versprechen, dazuzugehören.

Die Geschichte des Vietnamkriegs ist auch eine Geschichte dieses Versprechens. Und eine Geschichte des Rassismus, nicht nur des anti-asiatischen, sondern auch des Rassismus gegen Schwarze Menschen in den USA. Denn viele von ihnen haben diesen Krieg mitgefochten, weil sie eine Hoffnung hatten: Endlich ein gleichwertiger Teil der US-Gesellschaft zu werden.

Dass das letzten Endes nicht funktioniert hat, muss man niemandem erzählen, die oder der in den letzten Wochen die Nachrichten gesehen hat. Systemischer Rassismus grassiert bis heute in den USA und auch deshalb ist es wichtig, dass es Spike Lee gibt. Denn er erzählt im neuen Netflix-Film Da 5 Bloods eindrucksvoll die Geschichte von vier Schwarzen Veteranen, die sich mit ihrer Rolle im Vietnamkrieg konfrontieren müssen.

Krieg für die Anerkennung in der eigenen Gesellschaft

Der Film beginnt mit dem eindrücklichen Zitate Muhammad Alis, der seinen Einzug nach Vietnam ja bekannterweise verweigert hat. Kein Vietnamese hätte ihn je mit dem N-Wort benannt, ihn gelyncht oder Hunde auf ihn gehetzt, warum soll er diese Menschen also töten?

Diese Frage ist der spannende Knackpunkt von Da 5 Bloods. Warum sollen Menschen, die jahrelang getötet, unterdrückt und ausgebeutet wurden, auf einmal einen unrechtmäßigen Krieg gegen Menschen führen, die die Geschichte genauso schlecht behandelt hat? Die Antwort für viele Schwarze Soldat*innen war eben: Um dafür in ihrer eigenen Gesellschaft Anerkennung zu erlangen. Der Film erzählt auch vom Trauma, dass es diese Anerkennung nie gab.

In Rückblenden sehen wir die vier immer wieder mit ihrem Anführer Norm, gespielt von Chadwick Boseman. Eigentlich sollten sie Goldbarren in ein vietnamesisches Dorf bringen, um es für seinen Widerstand gegen den Vietcong zu bezahlen. Doch sie werden attackiert, im Dschungel versprengt, ihr Anführer stirbt. Das Gold vergraben sie, sie wollen es irgendwann wieder zurückholen.

In einer flammenden Rede erklärt Norm, dass dieses Gold eigentlich ihnen gehört, dass sie es der Schwarzen Community zurückgeben müssen. Mit diesem hehren Ziel reisen die vier nach Vietnam und schlagen sich durch den Dschungel. Immer wieder erwähnen sie dabei die Bürgerrechtsbewegung, wichtige Aktivist*innen und Kriegseinsätze. Spike Lee blendet diese dann immer wieder mit Jahreszahlen ein und wir merken: Hier sollen wir etwas lernen, und das tun wir auch.

Die wohl eindrücklichste Szene ist auch eine Rückblende: Die Soldaten sitzen im Feindesgebiet und hören Radio. Eine vietnamesische Moderatorin verkündet, dass Martin Luther King soeben getötet wurde und ermahnt alle Schwarzen GIs, ihren Kampf gegen die ebenso unterdrückten Vietnames*innen zu überdenken. Sie schalten das Radio aus.

Spike Lees blinder Fleck

Spike Lee gelingt es dabei wirklich eindrucksvoll, die Multidimensionalität des Krieges immer wieder aufzuzeigen, dabei verzeiht man ihm auch einige künstlerische Fehlgriffe. Manche Szenen werden zu lange gehalten, andere völlig zerschnitten, der Look erinnert mitunter an eine Fernsehserie und die Dialoge wirken manchmal etwas gestelzt.

Gerade wenn die Frage der Solidarität zwischen Schwarzen Soldaten und Vietnames*innen aufgeworfen wird, ist das spannend, leider hat Spike Lee hier einen blinden Fleck.

Denn die vietnamesischen Protagonist*innen verkommen oft nur zu Stichwortgeber*innen oder – noch schlimmer – Kanonenfutter. Wer einen Vietnamkriegsfilm dreht, will natürlich nicht nur den Vietnamkrieg erörtern, sondern auch, wie Hollywood mit ihm umgegangen ist.

So wie Quentin Tarantino versteht es auch Spike Lee, Genres durch Nachahmung zu reflektieren. Und so ist man beim Schauen von Da 5 Bloods nicht nur an Apocalypse Now erinnert, sondern auch an die Rambo-Filme, nur eben mit Schwarzen Protagonisten. Was deshalb auf der einen Seite wie Empowerment im besten Blaxploitation-Sinne wirkt, degradiert die vietnamesischen Charaktere leider mitunter zu gesichtslosen Anderen.

Das wird vor allem gegen Ende klar, als die Frage gestellt wird, ob nicht ein Teil des Goldes auch in Vietnam bleiben sollte. Ja, vielleicht schon, aber dann doch bitte ausgehändigt durch eine weiße NGO, die durch koloniale Ausbeutung finanziert wurde.

Der Film ist sich dann nicht zu schade, die Reparationszahlungen an Vietnames*innen durch einen weißen NGOler zu symbolisieren, der – umgeben von vietnamesischen Kindern – zu einer Fanfare als Held verehrt wird. Das ist einfach misslungen. Solche Bilder werden oft als White Saviorism (zu deutsch: weißer Retter*innenkomplex) kritisiert und auch, wenn sicherlich nicht jede NGO-Arbeit problematisch ist, fragt man sich doch, wieso Lee hier diesen Weg gewählt hat. Durch diese Szene werden Vietnames*innen eben wieder nur als "die Anderen" paternalisiert. Die, die sich nicht helfen können und wenn sie es doch versuchen, dann ballern sie einfach wie bescheuert mit der Kalaschnikow durch den Dschungel.

Da 5 Bloods ist eine wichtige Geschichtsstunde zur richtigen Zeit

Vietnam ist ein Land, das in seiner Geschichte immer wieder von Kriegen zerrüttet wurde. China, Japan, Frankreich, die USA: Viele Nationen haben es unterdrückt, ausgebeutet und seine Bevölkerung ermordet. Der Vietnamkrieg, dessen Soldat*innen noch heute in den USA verehrt werden, trägt dort einen anderen Namen: der amerikanische Krieg. Das wird im Film auch angesprochen und wir sehen im Ansatz schon, wie weit der Schmerz und die Trauer bis ins heutige vietnamesische Leben reichen, aber in letzter Konsequenz scheint sich Spike Lee dafür doch nicht zu interessieren. Dafür bleibt Vietnam zu sehr Backdrop und seine Menschen Nebenfiguren.

Trotzdem ist Da 5 Bloods ist eine wichtige Geschichtsstunde zur richtigen Zeit. In den USA ermordet die Polizei Schwarze Menschen und prügelt friedliche Demonstrant*innen nieder, in Großbritannien werden Kolonialdenkmäler von ihren Sockeln gerissen. Aber es ist eben auch die Zeit, in der anti-südostasiatischer Rassismus sich während der Corona-Pandemie verstärkt und Menschen auf der Straße angefeindet oder mit Desinfektionsmittel übergossen werden. Und gerade in dieser Zeit hätte einem Film über den "Amerikanischen Krieg" ein stärkerer Fokus auf die Perspektive der Menschen, die am meisten unter ihm gelitten haben, sicher gut getan.