Deutschland, ich dachte, wir haben einen Deal. Ich arbeite hart, bekenne mich zu meiner neuen Heimat und werde im Gegenzug Teil der Gesellschaft. Kurzum: Im Gegenzug für gute Leistungen bekomme ich Integration.

Dieser Deal hat mein Leben geprägt. Ich habe immer hart gearbeitet, war immer die gute Migrantin. Heute ist mein Studienabschluss ausgezeichnet, mein Deutsch so gut, dass ich meinen Lebensunterhalt damit verdiene und meine Arbeitsmoral so hoch, dass es mir manchmal schwerfällt abzuschalten. Ich dachte, ich habe es geschafft und kann das Thema Integration für mich nun endlich abhaken.

Dann kam diese Sache mit Mesut Özil.

Mesut Özil war ein Vorbild in Sachen Integration

Mesut Özil war mal ein Integrations-Musterknabe. Symbolträchtige Oben-ohne-Fotos mit Angela Merkel zeigen das – er ist oberkörperfrei, Bundeskanzlerin Merkel selbstverständlich nicht. Oliver Bierhoff sagte damals, das Foto sei "symbolträchtig, was Integration und Stellenwert der Nationalmannschaft betrifft".

Heute sagt Bierhoff, der Manager der Fußball-Nationalmannschaft, dass man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Özil verzichtet. Obwohl Özils Arbeit bei der Fußball-Weltmeisterschaft gut war, ergießt sich nun Schimpf und Schande über ihn. Journalist*innen behaupten, er gehöre nicht zu Deutschland. Sein Erdoğan-Besuch soll sogar den Fußballerfolg der deutschen Nationalmannschaft zerstört haben. Ich warte nur auf Berichte, dass Özils Posieren mit Erdoğan Ursache für die Klimaerwärmung und Krebserkrankungen ist.

War es falsch, sich mit Erdoğan ablichten zu lassen? Gehört es sich für einen Nationalspieler mit Präsidenten zu posieren, die politische Gegner*innen einsperren lassen? Diese Fragen sollten gestellt und beantwortet werden. Was aber nicht infrage gestellt werden sollte, ist, dass Mesut Özil Deutscher ist. Er ist ein Teil der deutschen Gesellschaft. Und das sollte nicht davon abhängen, wie er sich gerade verhält.

Sollte nicht. Tut es aber.

Özil ist der Sündenbock für das WM-Aus

Diese Angriffe auf Özil sind nicht nur abscheulich, weil sie einem einzelnen Menschen Schuld am Ausscheiden eines ganzen Teams geben. Sie sind auch schrecklich, weil sie mir und all jenen, die glaubten, Leistung reiche aus, um integriert zu sein, zeigen, dass wir uns geirrt haben.

Es ging nie um Leistung. Es ging nie um gute Arbeit. Indem man uns die Karotte der Integration vor Augen hielt und uns über tausend Hindernisse springen ließ, konnte man so tun, als müssten wir Migrant*innen uns nur genug bemühen und wir könnten richtige Mitbürger*innen werden.

Durch den Umgang mit ehemals strahlenden Vorbildern wie Mesut Özil wird aber klar: Man hat uns belogen.

Wir sind die guten neuen Staatsangehörigen, solange wir uns vorbildlich verhalten. Machen wir Fehler, sind unsere Arbeit und unsere Leistungen schnell vergessen. Wir sind dann kein Teil von Deutschland mehr. Noch drastischer formuliert: Gewänne ich morgen den Nobelpreis, wäre ich Deutsche. Bringe ich jemanden um, wäre ich gebürtige Bosnierin.

Möchte ich, dass Menschen, die Migrationshintergrund haben, von Kritik ausgenommen werden? Nein. Ich möchte aber, dass meine Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft nicht infrage gestellt wird, sobald ich unbequem werde.

Deal?