Montagnachmittag, ein Café in Stuttgart. Sabine Rieker, eine zarte junge Frau mit halblangen blonden Haaren sitzt vor ihrem Apfelkuchen und einem Cappuccino – und schreibt Postkarten. Die Szene, die so sehr an einen romantisch-französischen Film erinnert, ist Sabines Alltag. Denn das Postkartenschreiben ist nicht nur ihre Leidenschaft, sondern mittlerweile auch ihr Job. "Die Postkartenschreiberin ist mein Künstlerprofil, eine Tätigkeitsbeschreibung und eine Lebensart", erzählt sie.

Schon seit sie denken kann, schreibt sie Karten. Oder wie sie es ausdrückt: "Ich bin Postkartenschreiberin, seit ich schreiben kann." Früher aus dem Urlaub und an Freunde, heute auch an Galerien, deren Ausstellung ihr besonders gefallen hat oder an Menschen, die sie beeindruckt haben. Die Karten sucht sie liebevoll aus, die Texte sind in Schönschrift verfasst. In ihrer Tasche trägt die Postkartenschreiberin eine 500er-Rolle an Briefmarken und immer eine Auswahl an Karten. Allein im vergangenen Jahr hat Sabine Rieker knapp 2.000 Postkarten verfasst und verschickt. Einige davon lädt sie auch auf ihrem Instagram-Profil, andere auf ihrem Facebook-Account hoch.

Für die Wahlstuttgarterin ist das Postkartenschreiben ihre ganz eigene Art, sich auszudrücken – und der Welt etwas zu hinterlassen. "Schon als Kind wollte ich Schriftstellerin werden", erzählt sie. Und so sieht sie ihren Lifestyle auch, sie ist Schreiberin und gibt in Cafés oder ihrer Wohngemeinschaft Lesungen, wo sie ausgewählte Texte ihrer Postkarten vorträgt.

Sie findet immer ein persönliches Detail

Auf Stress, Termine und feste Arbeitszeiten hatte die 30-Jährige keine Lust mehr. Nach ihrem Germanistik-Studium arbeitete sie in verschiedenen Jobs, machte auch eine Ausbildung zur Werbetexterin. Aber das war alles nicht das Richtige für die verträumte junge Frau, die ihre Worte am liebsten auf 14x9cm-Formaten hinterlässt. "Irgendwie hat sich das einfach so entwickelt. Ich saß in einem Café in Bonn und schrieb Postkarten an eine Freundin. Der Besitzer sah das und bestellte ein Abo bei mir", erzählt sie. Das war ihr erster Auftrag. Zuerst gab es einen Cappuccino-Deal, Kaffee gegen Karten. Nach und nach wurden mehr Leute auf ihre mit Liebe geschriebenen Postkarten aufmerksam.

In Zeiten von Social Media und Kurznachrichten ist das eine emotionale Sache

Mittlerweile schreibt sie im Auftrag für die Schüler*innen einer Segelschule oder Kunden einer Galerie. Und sie kann ihre Miete davon bezahlen. "Meine Auftraggeber geben mir etwas dafür, dass ich ihnen oder anderen Karten schreibe. In Zeiten von Social Media und Kurznachrichten ist das eine emotionale Sache." Dabei ist sie keine Ghostwriterin und schreibt etwa Liebesbriefe in anderem Namen. Auch wenn sie den*die Empfänger*in nicht kennt, findet sie immer ein Detail, eine persönliche Widmung, die sie an ihn*sie richten kann. Und wenn sie mal nicht die Muse küssen sollte, dann lässt sie es lieber. Denn sie wolle nichts erzwingen.

Seit Kurzem hat sie auch ein neues Schreibprojekt am Laufen: Sie beschriftet Geldscheine mit lieben Grüßen und schönen Gedanken und bringt sie im Umlauf. "So möchte ich meine Liebe weiterreichen." Und genau das macht sie ja auch mit ihren Postkarten.