Ich muss aufpassen, den Kopf schützen. Ständig kommt aus irgendeiner Richtung ein Kick oder Schlag auf mich zu. Ein Fehler und ich könnte eine Faust abbekommen. Mir läuft der Schweiß den Nacken hinunter, mein Taekwondo-Anzug klebt an meinem Körper. Es sind 35 Grad, ich befinde mich mitten in meiner Schwarzgurtprüfung an einem Strand in Bulgarien. Ich muss mich gegen zwei überlegene Gegner verteidigen und dabei auch noch Bretter zerschlagen. Das ist so ein Moment, in dem man gerne an seinen Fähigkeiten zweifelt. Und doch erinnere ich mich gerne daran zurück.

Seit ich acht Jahre alt bin, trainiere ich Taekwondo. Ich hatte zuvor verschiedene Kampfsportfilme gesehen und beschlossen: "Ich will auch einmal so gut kämpfen können." Gemeinsam mit meinem Vater meldete ich mich in der nächsten Taekwondo-Schule an. Wir trainierten jeden Samstag gemeinsam. Mit zwölf Jahren hatte ich alle Prüfungen auf dem Weg zum Meistergrad absolviert. Zwei Jahre später bestand ich die Prüfung zum Jugendschwarzgurt. Mit 18 Jahren machte ich in dem Trainingscamp in Bulgarien schließlich meinen Schwarzgurt.

Taekwondo hat mich geprägt, vor allem habe ich daraus viel Selbstbewusstsein gewonnen – gerade auch, weil viele Menschen nicht verstehen können, dass eine Frau sich für Kampfkunst begeistert.

Taekwondo ist eine körperliche und geistige Ausbildung

Samstagabend, Musik dröhnt aus Lautsprechern, das zweite Bier steht auf dem Tisch. Ich bin mit Freund*innen unterwegs, andere Leute kommen dazu. "Und was machst du sonst so?" Früher habe ich erst einmal überlegt, ob ich die Frage beantworten soll. Denn häufig kommen im Anschluss Sprüche wie: "Oha, du als Frau, da muss ich ja aufpassen", gefolgt von einem Lachen. Die Ansicht, dass eine Kampfkunst wie Taekwondo erstens brutal ist und zweitens nichts für Frauen, ist weit verbreitet.

Ich habe beim Taekwondo gelernt, über meine vermeintlichen Grenzen zu gehen, mich auf meine Ziele zu konzentrieren und mich nicht leicht aus der Bahn werfen zu lassen. Weder beim Taekwondo noch in anderen Lebensbereichen.

Das hat es mir früher zeitweise schwer gemacht, beim Taekwondo dabeizubleiben. Die Mädchen in meiner Klasse gingen ins Fitnessstudio, mein Hobby war dagegen eher ungewöhnlich. Ich habe immer wieder Sprüche gedrückt bekommen wie: "Du findest das doch cool, andere Leute zu vermöbeln" oder "Also ich tu was für meine Figur und geh ins Gym". Taekwondo war in den Augen anderer nicht feminin genug, ja gefährlich.

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich bei dem geblieben bin, was mir Spaß macht. Das Training gab mir Sicherheit im Auftreten. Ich habe beim Taekwondo gelernt, über meine vermeintlichen Grenzen zu gehen, mich auf meine Ziele zu konzentrieren und mich nicht leicht aus der Bahn werfen zu lassen. Weder beim Taekwondo noch in anderen Lebensbereichen.

Gewalt ist im Taekwondo nicht erwünscht

Das dritte Bier kommt, natürlich habe ich die Frage nach meinem Hobby beantwortet. Jetzt kommen die typischen kritischen Nachfragen, die vermutlich immer beim Thema Kampfsport aufkommen. "Ist das nicht total brutal?", "Macht das nicht aggressiv?", "Das Verletzungsrisiko ist doch sicher hoch?" Ich schüttele den Kopf. Kampfkunst ist hart, ja, manchmal auch schmerzhaft. Aber Gewalt wird dabei nicht akzeptiert. Taekwondo lehrt sogar das Gegenteil von Gewalt: Fokussierung, Disziplin, Selbstbewusstsein und Steigerung der Leistungsfähigkeit.

Täglich greife ich auf Werte zurück, die mir von meiner Kindheit an in diesem Sport vermittelt wurden: Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin. Die Werte begleiten mich durch den Alltag, durchs Studium, den Job, eigentlich immer. Auch im Umgang mit Konfliktsituationen. Und sie geben mir in allen Lebenslagen Halt. Insbesondere die Erinnerung an meine Schwarzgurtprüfung.

Beim traditionellen Taekwondo haben die Prüfungen, die Zeremonie und die Verleihung des Meistergrades einen besonderen Charakter. Schwarzgurtprüfungen finden meist in Camps in einem anderen Land statt, die Prüfung dauert mehrere Tage. Für mich findet die Verleihung in Bulgarien auf einer kleinen Erhöhung mit Meerblick statt. Zehn Jahre lang habe ich hierfür trainiert, etwa 1.000 Trainingsstunden liegen hinter mir. Und als ich endlich meinen Schwarzen Gürtel umgebunden bekam, war ich voll und ganz zufrieden.