Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik könnte sich eine Regierungskoalition bilden, die mit dem traditionellen Rechts-Links-Denken bricht. Darüber verhandeln die Grünen, FDP, CDU und CSU derzeit in Berlin. Ein Bündnis dieser Art könnte für eine Partei mit dem politischen Selbstmord enden. Die Frage ist nur: für welche Partei?

Die Grünen

Fangen wir mit der einzigen Links-der-Mitte-Partei an: den Grünen. Links-der-Mitte?, werden einige fragen und verächtlich bemerken, dass die einstige Strickpullipartei längst im bürgerlichen Lager angekommen sei. Das mag sein, trotzdem kann man die linke Vergangenheit der Partei nicht von ihr trennen. Studierendenproteste, Sitzblockaden, Hausbesetzungen, Sich-An-Bäume-Festketten, auf Schienen gegen Atommülltransporte protestieren sind Teil ihrer DNA. Die Grünen sind einer neuen Strategie des zivilen Protests entwachsen, dem sogenannten Gang durch die Institutionen. Wenn es nicht gelingt das bestehende System von außen zu verändern, so die Überlegung, muss es doch von innen möglich sein.

Die Identität der Grünen ist ein umweltbewusstes Linkssein, auch wenn sie im Laufe der Jahrzehnte deutlich in die bürgerliche Mitte gerückt sind. Die Gefahr für die Öko-Partei besteht darin, diese linke Identität in einer Koalition mit Union und FDP vollends zu verlieren. Beide verkörpern das Gegenteil dessen, was die Grünen wollen. Die FDP ist beispielsweise gegen eine strenge staatliche Regulierung des Umweltschutzes, die CSU gegen eine linksorientierte, soziale Einwanderungspolitik.

Sollte die Partei jedoch mit Union und FDP Kompromisse eingehen, die den umweltbewussten, linken Kern verraten, würde sich die Frage stellen, warum es die Grünen überhaupt noch braucht. Wenn sie ihre Identität vergisst, werden Stammwähler*innen zu Alternativen abwandern und die Grünen bei der nächsten Wahl mit einer ordentlichen Watschen abkassieren.

Die CSU

Auch die bayerische CSU sitzt mit am Russisch-Roulette-Tisch. Die Partei hat bei der Bundestagswahl innerhalb Bayerns fast zehn Prozentpunkte weniger als bei der Wahl 2013 erreicht: nur 38,8 Prozent. Kommendes Jahr finden dort Landtagswahlen statt und 38,8 Prozent könnten ein erstes Indiz dafür sein, dass die CSU bei diesen nicht die gewohnte absolute Mehrheit erreicht. Seit der Bundestagswahl rumort es innerhalb der Partei. Es ist eine gute, alte, bayerische Tradition, schwächelnde Ministerpräsident*innen abzusägen, Edmund Stoiber wird sich vermutlich noch gut daran erinnern. Und derzeit werden Stimmen laut, die Markus Söder an Seehofers Stelle sehen wollen.

Bei der CSU ist es nicht der linke Flügel, der aufbegehrt, sondern der rechte. Dieser besteht beispielsweise darauf, die Obergrenze umzusetzen, die von der Parteispitze seit zwei Jahren wie ein Mantra wiederholt wird. Die Ansage der Kanzlerin, mit ihr werde es eine solche nicht geben, fassten viele als Wortbruch auf. Die Folge: Viele wählten direkt das rechte Original, die AfD.

Sollte es Seehofer nicht schaffen, rechts-konservative Forderungen in Berlin durchzusetzen, könnte er seinen Posten bald räumen. Zum einen, weil sein Konkurrent Markus Söder schon die Finger nach dem Thron ausstreckt. Zum anderen, weil die bayerischen Wähler*innen ihn bei der Landtagswahl vermutlich noch mehr abstrafen und zur AfD abwandern werden.

Sollte die CSU durch einen Machtwechsel nach rechts rutschen, stellt sich die Frage, wie sie das Bündnis mit der CDU eigentlich aufrechterhalten will. Die Schwesterpartei sitzt unter Angela Merkel deutlich weiter in der Mitte. Sollte die CSU das Bündnis aufgrund zu großer Diskrepanzen beenden, ist fraglich, ob sie den Einzug in den Bundestag überhaupt schafft.

Die FDP

Die Liberalen erinnern sich noch gut an die vorletzte Bundestagswahl, als sie von den Wähler*innen von Regierungspartei zu außerparlamentarischer Opposition degradiert wurden. Die FDP wird demnach bei den Verhandlungen darauf bedacht sein, die wichtigsten Forderungen des Wahlkampfes auch wirklich durchzusetzen. Sollten sie das nicht schaffen, wissen sie, wie schnell man in die politische Arbeitslosigkeit abrutschen kann.

Die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition dürften demnach zäh sein. Alle Parteien sind sich dessen bewusst, dass ein Nachgeben bei eigenen Positionen bei der nächsten Wahl mit schlechten Wahlergebnissen abgestraft werden könnte.

Und jetzt?

Es gäbe Alternativen zu Jamaika. Niemand muss zwingend miteinander koalieren. Die ganze Zeit an die Regierungsverantwortung der Jamaika-Parteien zu appellieren, wie die SPD es derzeit tut, ist schlichtweg falsch. Eine Koalition, bestehend aus dem minimalsten Konsens, ist keine stabile Koalition. Vor allem wenn sie mit dem eventuellen Selbstmord einer beteiligten Partei endet und damit das Gleichgewicht der deutschen Parteienlandschaft zerstört.

Da wären zum einen Neuwahlen, die man ausrufen könnte. Die zweite Alternative wäre eine Minderheitsregierung. Viele Beobachter*innen malen dieses Szenario stets mit dem Verweis auf Italien in den schwärzesten Farben aus. Das Land galt zwischen 1953 und 1985 als kaum regierbar, da sich keine Regierungskonstellation lange durchsetzen konnte und Abgeordnete häufig die Fronten wechselten.

Dabei gibt es durchaus positive Beispiele. Etwa in Portugal. Dort regiert seit 2015 eine sozialistische Minderheitsregierung, die von zwei weiteren Parteien toleriert wird: dem Linksblock, ein EU-kritisches Bündnis aus Trotzkist*innen und Marxist*innen, sowie einer grün angehauchten kommunistischen Partei. Als diese Regierung antrat, fürchteten Beobachter*innen schon ein Griechenland II. Doch die portugiesische Regierung schaffte es, sowohl mit der Sparpolitik der EU zu brechen, als auch das Land aus der Wirtschaftskrise zu führen. Unter dem Bündnis ist die Arbeitslosigkeit gesunken, das Wirtschaftswachstum gestiegen und das Haushaltsdefizit gesunken.

Statt also mit einseitigen Negativbeispielen Minderheitsregierungen per se als instabil und nicht regierungsfähig zu verurteilen, sollten sie als ernsthafte Alternative zu einer unter Zwang zusammengeschusterten Koalition erwogen werden.