Bei Devi Lockwood ist gerade Sommer. Sie schreibt viel in diesen Tagen – mit ihrem Fahrrad und ihren Aufzeichnungen ist sie derzeit in Whanganui, Neuseeland. Sie gönnt sich eine Pause, nachdem sie tausende Kilometer durch Australien und Neuseeland geradelt ist und Geschichten sammelte. Devi, heute 23 Jahre alt, reiste langsam, mit dem Fahrrad oder per Boot, um das Klima möglichst wenig zu belasten.

Jetzt gießt sie die Pflanzen im Garten ihrer Gastgeber, backt Brot, rudert über den Whanganui-River und schreibt Emails an Literatur-Agenten.

Die Idee für die Reise kam ihr im Krankenlager: Ein Kreuzbandriss fesselte die Harvard-Studentin vor drei Jahren an ihr Bett. "Ich war so deprimiert, wie noch nie in meinem Leben", erzählt sie in Erinnerung daran. "Ich ziehe so viel Energie aus der Bewegung – Tanzen und Rudern zum Beispiel. Und das war mir genommen. Ich musste still liegen, damit mein Körper heilen kann."

Nach einiger Zeit begann sie mit kurzen Touren zur Uni, steigerte sich langsam – und wollte mehr.  Das passte ganz gut in die Zeit ihrer Abschlussarbeit in Volkskunde und Mythologie. "Ich wollte eine lange Strecke fahren und die Geschichten der Menschen sammeln, denen ich begegne." Genauer: Sie wollte den Mississippi entlangradeln. Devi hatte wieder ein Ziel.

"Auf dieser Reise ist so viel Magie passiert, rund um die Menschen, denen ich begegnet bin. Ich wusste, ich wollte weiterfahren, sobald ich meinen Abschluss hatte." Die Uni gab ihr ein Reisestipendium für ihr Projekt, Devi entschied sich für Fiji und Tuvalu. "Das Jahr begann und endete wieder, aber ich beschloss, weiter zu machen."

In Neuseeland kam wieder das Fahrrad ins Spiel. Sie radelte von Auckland nach Bluff, bestieg ein Frachtschiff nach Australien und fuhr dort von Melbourne nach Townsville – rund 3000 Kilometer in entspannten fünf Monaten. Sie traf Menschen, sie hörte ihnen zu. Über die Radfahrer-Community warmshowers.org fand sie immer wieder eine Couch zum Schlafen.

1001 Geschichten will sie erzählen. Bei sich trägt sie ein Diktiergerät, das sie den Menschen um sich herum neugierig unter die Nase hält, 443 Erzählungen hat sie schon zusammen. Wie die der Violinistin Jasmine Reese, die wie Devi mit dem Rad unterwegs ist. Oder wie diese über die Wasserversorgung in Nukuloa auf Fiji. "Erzähl mir eine Geschichte über den Klimawandel", diese Aufforderung trägt Devi auf einem Schild bei sich.

Am Anfang standen ziemlich normale Sorgen: "Als ich Boston verließ, hatte ich große Angst, nie wieder Freunde zu finden. " Heute, viele Monate und noch mehr Kilometer später ist diese Sorge weg. "Meine Reise zeigt mir – wieder und wieder – wie völlig lächerlich diese Angst war. Es gibt in jedem Eckchen der Welt wundervolle Menschen und ich bin froh, sie getroffen zu haben. Die Freundlichkeit von Fremden ist der Grund, warum ich weitergemacht habe."

"Die Menschen, die ich bei meiner Reise traf, haben mich gestützt – und ganz buchstäblich: am Leben gehalten."

– Devi Lockwood

Auch bei harten Touren in der Hitze Neuseelands. Es gab diesen einen Tag, an dem sie nicht mehr konnte. Ihr Gastgeber hatte wenig Verständnis, als sie ihn wegen einer Verzögerung anrief, er schrie sie an und legte auf. Devi hatte keine Kraft mehr und keinen Platz zum Schlafen. Sie setzte sich in den Schatten eines Bürogebäudes und brach in Tränen aus.

Ein Mann las sie auf, nahm sie mit zu seiner Familie, machte ihr ein Jalapeño-Omelette und dann redeten sie bis tief in die Nacht. "Die Menschen, die ich bei meiner Reise traf, haben mich gestützt – und ganz buchstäblich: am Leben gehalten."

Ihre wichtigste Lektion: "Ich nehme Erfahrungen, wie sie kommen. Ich habe nicht mehr schlechte oder gute Tage als der Durchschnittsmensch, der an einem Ort lebt, den er Zuhause nennt. Der Unterschied ist: Ich bin in Bewegung. Das birgt Herausforderungen – aber auch eine intensive Schönheit. Ich liebe es, wie sich das Radfahren auf meine Texte ausgewirkt hat. An den Orten, an denen ich ankomme, fühle ich mich präsenter. Wenn es regnet, werde ich nass. In diesem Gefühl liegt eine besondere Schönheit."

"I like the serendipity", sagt Devi, sie mag die glücklichen Zufälle. "Jeder Tag ist neu. Auf dem Fahrrad weiß ich nie, wie der Tag wird." Wer über so weite Strecken fährt, der gibt sich dem Zufall hin. "Grundsätzlich weiß ich ja, in welche Richtung ich fahre. Aber der Rest ist der Zauber des Moments." Es ist die Langsamkeit, die Devi fasziniert. "Ich spüre jeden Atemzug bewusst, jede Umdrehung des Rades. Und ich kann die Energie meines Körpers nutzen, um ganze Städte zu durchqueren, das gefällt mir. Ich brauche Durchhaltevermögen."

"Eine Geschichte ist ein Geschenk."

– Devi Lockwood

Und sie trifft immer wieder neue Menschen. Das ist es, was ihr am meisten gibt. "Eine Geschichte ist ein Geschenk. Und die Menschen erzählen mir ständig neue Geschichten."

Ihre Station in Neuseeland ist nur eine Pause, ein Moment der Ruhe. Wie es dann weitergeht? Sie weiß es nicht, und sie plant auch noch nicht. "Diese Art zu leben ist manchmal etwas herausfordernd – aber ganz wundervoll befreiend."

Was Devi  an Gepäck dabei hat, könnt ihr in diesem Beitrag nachlesen. Spoiler: Es ist verdammt viel Zeug, darunter zwei Karabiner ("Man weiß nie, wann man braucht."), dunkle Schokolade, ein Schweizer Armeemesser und Zahnseide.

Übrigens trägt sie auch ein Notebook und eine Kamera bei sich. Ihr findet hier ihren Blog One Bike, One Year und ihre Webseite, außerdem ihre Profile bei About.meInstagram & Twitter