Ihr versteht euch blendend, lacht über dieselben Witze, teilt euch die Hausarbeit gerecht und stressfrei auf, beim Sex wackeln die Wände, die Gespräche sind deep, das gemeinsame netflixen muckelig. Es könnte schöner nicht sein.

Und dann ist da auf einmal dieser Gedanke. Dieses Gefühl, dass all das ein Stück zu schön ist, um wahr zu sein. Dass es irgendwo einen Haken geben muss und du ihn einfach nur nicht siehst. Zweifel schleichen sich ein. Und nun?

Erst mal googeln, was da los ist

Wer bei Google "Beziehung läuft" eintippt, dem*der schlägt die Autovervollständigung unter anderem "Beziehung läuft zu gut", "Beziehung läuft gut trotzdem Zweifel" und "Beziehung läuft zu perfekt" vor. Es gibt also durchaus Menschen, für die das ein Thema ist und die im Internet nach Hilfe und Informationen suchen.

Bis jemand Google um Rat fragt, ist meist schon ein gewisser Gedankenprozess abgelaufen, das Problem aber unter Umständen so verzwickt und intim, dass es nicht mit Freund*innen besprochen und noch nicht mal richtig vor sich selbst zugegeben werden kann. Der US-Wissenschaftler und Ex-Google-Mitarbeiter Seth Stephens-Davidowitz hat über einen Zeitraum von vier Jahren Google-Daten aus den USA analysiert und in seinem Buch Everybody Lies geschrieben: "Menschen sagen Google Sachen, die sie sonst niemandem erzählen." Die Suchmaschine diene oft als Beichtstuhl für peinliche oder schambehaftete Gedanken.

Die Beziehung läuft zu gut – genau das ist eines der Probleme, auf die die Mehrheit der Mitmenschen mit Unverständnis reagieren dürfte. Anders als Google. "Wenn man jemanden kennenlernt, der oder die sehr unkompliziert und nicht zickig ist und nicht aus jeder Kleinigkeit einen Elefanten macht, dann kommt das manchen Menschen komisch vor und sie trauen dem Frieden nicht", erklärt die Münchner Paartherapeutin Sigrid Sonnenholzer. "Dann suchen sie im Netz eine Begründung."

Und das endet so, wie es auch beim Googeln von Krankheiten passiert: Es könnte alles sein. Oder auch nichts.

Die Beziehung läuft zu gut – das steckt dahinter

Eine glückliche Beziehung, in der alles harmonisch und hervorragend läuft, ist das, wonach viele Menschen ihr Leben lang suchen. Auch kulturell wird das Narrativ von "Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende" prominent transportiert – beispielsweise in Büchern, Filmen und Serien. Da erscheint es eigentlich paradox, genau das als Problem zu empfinden. Allerdings nur auf den ersten Blick.

Denn einerseits kommt es – wie so oft – darauf an, welche internalisierten Vorstellungen und Prägungen jemand mit in eine Beziehung bringt. "Sehr oft stecken Erfahrungen in der Herkunftsfamilie dahinter, bei Scheidungskindern oder wenn die Eltern viele Konflikte ausgetragen haben, ist programmiert, dass Partnerschaften schwierig und kompliziert sein müssen", sagt die Beziehungsexpertin. "Und im tiefsten Inneren rechnen diese Menschen immer damit, dass das doch so schön nicht bleiben kann."

Wenn du also gelernt hast, dass zur Liebe immer Drama gehört, ist es kein Wunder, dass dir Frieden und Harmonie verdächtig vorkommen.

Und andererseits kann totale Harmonie tatsächlich problematisch sein. Nämlich dann, wenn sie nicht natürlich entsteht, sondern durch Unterdrückung von Bedürfnissen und Überanpassung. "Wenn Konflikte nur deshalb nicht ausgetragen werden, weil eine*r oder gar beide sehr konfliktscheu sind und zusätzlich sehr harmoniebedürftig, dann werden auch wichtige Dinge, die der Klärung bedürfen, nicht angesprochen", erklärt Sigrid Sonnenholzer. "Dennoch ist eine innere Unzufriedenheit vorhanden."

Diese Unzufriedenheit liegt dann verschüttet in einer dunklen Ecke der Seele und brodelt unter der Oberfläche. Langfristig kann Überanpassung zu einer Art Rebellion führen. Dann explodiert jemand, bricht aus oder haut ab, vermeintlich aus heiterem Himmel.

Auch dieses Phänomen habe laut der Paartherapeutin mit der Herkunftsfamilie zu tun: "Wenn man seine Bedürfnisse nicht äußern durfte oder nicht gehört wurde, dann hält man es auch in der Partnerschaft für selbstverständlich, dass die eigenen Wünsche nicht wirklich wichtig sind. Daraus entsteht diese Überanpassung."

Falls du also das Gefühl hast, dass deine Beziehung zu gut läuft, ist es ist erstens sinnvoll, zu prüfen, was du unter einer normal guten Beziehung verstehst und warum. Und zweitens, mal genau nachzuschauen, ob eine*r von beiden oder gar alle beide nicht gelernt haben, Grenzen zu setzen und ihre Bedürfnisse zu artikulieren.

Konflikte sind wichtig

Zu einer stabilen, erfüllten und gesunden Beziehung gehören Konflikte dazu. Sie dienen unter anderem dem Aushandeln von Grenzen und der kontinuierlichen Gestaltung der Zweisamkeit. Dieser Austausch ist wichtig fürs gemeinsame Wachstum und die Entwicklung.

Es kommt sehr darauf an, wie sie ausgetragen werden: reif und erwachsen, auf Augenhöhe, respektvoll und konstruktiv – oder unreflektiert, emotional, manipulativ und verletzend. Ersteres ist ein gutes Zeichen für die Beziehung, Letzteres logischerweise nicht.

"In einer gesunden Beziehung werden Konflikte lösungsorientiert angesprochen. Es gibt keine tagelangen Streitereien und keine Abwertung der Person bei einem Fehlverhalten", sagt auch Paartherapeutin Sigrid Sonnenholzer. "Das Paar ist daran interessiert, den Streit so schnell wie möglich beizulegen, aber mit einer Lösung des Themas."

Oder anders gesagt: Eine Beziehung läuft zu gut, wenn sie eigentlich nicht gut läuft.

Außerdem auf ze.tt: Diese Fotos zeigen, wie schön Liebe und Intimität aussehen