Christian Lindner äußerte sich auf dem FDP-Parteitag rassistisch. Die Kritik, die ihm nun entgegenschlägt, ist daher mehr als gerechtfertigt. Ein Kommentar

Als der Parteitag der FDP in Berlin in vollem Gange war, packte Christian Lindner offenbar die Panik. Die Panik, dass niemand zuhören könnte. Beim 96. Parteitag der deutschen Liberalen tat er deshalb, was aufmerksamkeitsökonomisch sinnvoll ist: Er griff einmal ganz tief in die Schublade voller rechten Stammtischanekdoten.

Die Menschen beim Bäcker in der Schlange können nicht unterscheiden, ob ein Mensch, der in gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ein hochqualifizierter Entwickler oder ein illegal zugewanderter Ausländer ist." – Christian Lindner

In einer Anekdote sprach er über "illegale" und "geduldete Ausländer" in der Bäckerei und einem deshalb gefährdeten Sicherheitsgefühl der Deutschen. Am Ende nutzte er noch die geflügelten Worte "Rechtschaffenheit" und "Rechtsstaatlichkeit". Im Saal wurde gejubelt und gejauchzt. Lindner ging nach seiner fast eineinhalbstündigen Rede zufrieden von der Bühne.

Für Aufmerksamkeit und Stimmen bedient sich Linder am rechten Populismus

Erleichterung wollte sich aber wohl nicht so recht einstellen. Es wirkt eher, als befiel Lindner nach der Rede ein beklemmendes Gefühl: Hatte er sich vielleicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt? Auslöser dafür war womöglich Chris Payk, ein FDP-Parteimitglied. Er schrieb auf Twitter: "Christian Lindner hat in seiner Rede allen Nazis einen Vorwand geliefert dunkelhäutige Menschen zu drangsalieren." Payk trete deshalb nach sieben Jahren aktiver Mitgliedschaft aus der Partei aus und erntete dafür viel Zuspruch.

Lindner beschloss klarzustellen, dass das doch alles gar nicht so gemeint gewesen sei. Also gab der Berufspolitiker und geübte Redner eine kleine Twitter-Botschaft heraus und erklärte, wie er darauf kam, innerdeutsche Sicherheitspolitik am Beispiel von "Ausländern" und "Bäckereischlangen" zu erörtern. Inspiriert habe ihn die Anekdote eines Bekannten, der, Obacht, nämlich selbst "ein Zuwanderer" ist.

Seit einigen Jahren würden diesem in der deutschen Bäckerei vermehrt verdächtige Blicke entgegengeworfen. "Wer in meinen Äußerungen Rassismus oder Rechtspopulismus lesen will, der ist doch etwas hysterisch unterwegs", sagt Lindner. Als könne man niemandem Rassismus unterstellen, wenn man nur wüsste, dass er selbst gar keine Berührungsängste hat und sogar Einwander*innen im Bekanntenkreis hat.

Abgesehen davon hatte Lindner keine Argumente hervorzubringen, die seine Aussagen abschwächten. Denn diese Anekdote rechtfertigt noch lange nicht, dass er sich in dieser Rede im Inhalt vergriff. Die Botschaft, die Lindner auf dem Parteitag vermittelte, lässt sich nämlich folgendermaßen zusammen fassen: "Der Ausländer" ist immer an seinem "gebrochenen Deutsch" in der Bäckereischlange zu erkennen. Und "Einwanderer" teilt Lindner in die Kategorien "hochqualifizierte Inder" und "sich in Deutschland illegal aufhaltenden, höchstens geduldeten Ausländern" ein.

Diese Zuschreibungslogik ist, schlicht, rassistisch.

Lindners Kategorisierung von "Ausländern" ist menschenunwürdig

Wen genau Lindner mit "Einwanderern" und "Ausländern" meint, bleibt unklar. Für die Beschreibungen "illegal" und "höchstens geduldet" bediente er sich beim Wortfundus der Rechtspopulist*innen. Dass Lindner Menschen derart pauschal und plump einteilt, ist menschenverachtend und frech. Frech gegenüber den etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland, die oder deren Eltern nicht aus Deutschland kommen. Frech gegenüber den Menschen, denen seit Jahren verstärkt Rassismus und Antipathie begegnet. Frech gegenüber den Menschen, die mit Minijobs und in Berufen, die viele Deutsche nicht mehr machen möchten, jeden Tag ihre Integrationswilligkeit zeigen. Diesen Menschen dürften Lindners Worte gerade noch gefehlt haben.

In Lindners Logik wären "Ausländer" und "Einwanderer" nur dann willkommen, wenn sie mehr leisten als der*die Durchschnittsdeutsche. Sprich exzellent sind, hochqualifiziert. Diese Denke ist altbekannt. Profifußballer*innen und IT-Entwickler*innen taugen schon immer gerne als Beispiel dafür, dass man "nichts gegen Ausländer habe".

Darum sollte es in einem demokratischen Rechtsstaat aber nicht gehen. Vor allem dann nicht, wenn das Ziel rechter Hetze meist geflüchtete Menschen sind, bei denen ihre Qualifikation für ihr Recht auf Asyl völlig irrelevant ist.

Was ist eigentlich mit der Unschuldsvermutung, Herr Lindner?

Lindner möchte den Deutschen also dabei helfen, sich in der Schlange in der Bäckerei wieder sicher zu fühlen. Damit tut er erstens so, als sei die Angst vor Menschen anderer Ethnien in der Bäckereischlange ein kollektives deutsches Gefühl, was nicht so ist, denn sonst hätten bei der Bundestagswahl 2017 100 Prozent und nicht 12,6 Prozent für die AfD gestimmt. Und zweitens tut er so, als sei es völlig in Ordnung, jedem*r Nicht-Deutschen zu unterstellen, kriminell zu sein.

Damit verharmlost Lindner nicht nur Alltagsrassismus, er widerspricht auch einem der Grundsätze des deutschen Strafverfahrens: dem der Unschuldsvermutung. Lindner, der übrigens Staatsrecht studierte, würde es als Politiker und Mensch des öffentlichen Lebens gut stehen, sich diesen Grundsatz auch auf Parteitagsreden mit Stammtischcharakter vor Augen zu führen.

So bekommt die FDP auch keine neue Wähler*innen

Lindners Panik um die FDP ist berechtigt. Die Partei hat zu kämpfen. Um Wähler*innenstimmen, aber zuerst einmal darum, neben der AfD in der Opposition überhaupt Beachtung zu finden. Mit der öffentlichkeitswirksamen PR-Strategie der AfD, zu der mindestens einmal die Woche eine rassistische, homophobe oder antidemokratische Äußerung gehört, kann die liberale FDP nicht mithalten. Nach Angaben des Umfrageinstituts Insa hätten nur 8,5 Prozent der Deutschen vergangenen Sonntag die FDP gewählt. Das sind ungefähr zwei Prozent weniger als bei der Bundestagswahl.

Vielleicht täte Lindner gut daran, auf die Mehrheit in Deutschland zu setzten, statt auf rechtes Palaver. Auf Menschen, die keine Lust auf Wähler*innenstimmen-Fischerei am rechten Rand haben. Auf Menschen, die besseres zu tun haben, als in der Bäckereischlange auf die Suche nach mutmaßlichen, illegalen Einwander*innen zu gehen. Wenn Lindner die deutsche Gesellschaft wirklich "befrieden" will, wie er bei der Rede sagte, sollte er weniger auf Ressentiments setzen und seine Kritiker*innen nicht noch unverschämt als hysterisch bezeichnen.

Vielleicht würde das ja dazu beitragen, dass die FDP ihren absteigenden Ast wieder verlassen kann. Populistischer Stimmenfang jedenfalls wird keine treuen Wähler*innen anlocken. Vor allem nicht solche, die die Partei braucht.